Schauspielerin Birgit Zamulo: „Bad Griesbach ist mein Las Vegas“
Wir treffen uns in Birgit Zamulos Appartement, mitten in Bad Griesbach, im Herzen der Therme. Birgit ist seit knapp zwei Jahren Rottalerin – sie hat schon fast überall gelebt. Hier fühlt sie sich wohl, hier hat sie ein Zuhause gefunden. Das Appartement im „Haus München“ ist klein und gemütlich. Links neben der Eingangstür ist die kleine Küchenzeile, rechts das Bad und geradeaus der Wohn- und Schlafraum. Und der Balkon. Ihr Reich ist voller Bilder und plüschiger Kissen, Lichtlein und interessanten Figuren, flauschigen Decken und Teppichen und tausend kleinen Sammelsurien. Birgit ist Schauspielerin. Sie hat viele Bühnen erlebt, stand auch für Film und Fernsehen vor der Kamera. Die zierliche, kleine Frau mit dem blonden, kurzen Haar erzählt herzlich, ehrlich und offen über ihr Leben, ihre Leidenschaft, ihre Lieben, ihre Sehnsüchte und ihre Ängste. Immer mit dabei ist Oliver, der kleine Chihuahua-Rüde. Birgit macht mir einen Grüntee, der fein nach Vanille duftet. Und wir reden.
Heimat: „Bayern ist für mich das Paradies“
Birgit, wo kommst Du eigentlich her?
Ich komme aus dem Ruhrpott, das ist die Häßlichkeit überhaupt. Wenn man da hineinfährt, ist schon alles verhangen mit schwarzem Dreck und Dunst. Bayern ist für mich das Paradies. Ich gehe durch Bad Griesbach und kann gar nicht fassen, dass ich hier zu Hause bin. Das beruhigt mich, weil ich hier eine Kraft spüre.
Und woher aus dem Ruhrpott kommst Du genau?
Aus Dortmund. Eine sehr häßliche Stadt. Viele Menschen, viele häßliche Häuser. Bei uns war natürlich alles durch den Krieg zerstört. Ach, die ganzen schönen Häuschen hier lieb ich schon sehr.
Seit wann lebst Du denn in Bad Griesbach – und bist Rottalerin?
Seit fast zwei Jahren. Ich bin vor allem wegen der Hunde gekommen. Ich hatte damals drei kleine Hunde und habe einen Ort gesucht, wo die gut raus können. Die Hunde haben das sehr genossen.
Warum hast Du Dich fürs Rottal entschieden? Kanntest Du die Gegend durchs Theater an der Rott?
Nein, durch eine Freundin. Ich wäre mal an Weihnachten fast alleine in München gewesen, bis mich diese Freundin eingeladen hat. Und zwar nach Griesbach in ihr Ferienappartement. Damals hab ich schon gedacht, dass ich hier hinziehen muss. Ich kann’s nur wiederholen. Bad Griesbach ist für mich Seelennahrung.
Was tut Dir so gut am Rottal?
Wenn ich morgens aufstehe, gehe ich gleich spazieren. Ich gehe jeden Tag sechs, sieben Kilometer spazieren. Wenn ich durch den Wald gehe, krieg ich so ein Wohlgefühl… Man kann die Tiere beobachten, die verschiedenen Jahreszeiten sind deutlich – es ist total schön. Und die Luft ist gut. Dann gibt’s auch noch die Therme. Aber ich muss gestehen, dass ich da schon gar nicht mehr hinkomme, weil ich so viel laufe.
Vor dem Rottal warst Du in München?
Ja. Viereinhalb Jahre lang. Und davon habe ich zwei Jahre lang fast durchgehend gespielt. Also war ich nie da und hab nur die Wohnung bezahlt.
So ging also Dein Weg. Vom Ruhrpott über München ins Rottal…
Für mich ist das hier Las Vegas. Bad Griesbach ist auch eine künstliche Stadt. Alles ist luxuriös und sauber und vom Feinsten. Man kann überall toll essen. Früher hab ich immer gesagt, dass ich irgendwann mal nach Las Vegas auswandern werde. Und jetzt hab ich tatsächlich mein Las Vegas gefunden.
Theater: „Ich bin eine Verfechterin des Stadttheaters“
Und jetzt gerade kommst Du aus Linz?
Genau. Und da fahre ich morgen auch wieder hin. Ich bereite gerade mit meinem Kollegen Tom Pohl die Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens vor. Das wird eine szenische Geschichte. Wir sind auf Schloss Wildberg, wunderschön idyllisch. Vorher hab ich in den Sommermusicalfestwochen Bad Leonfelden und in Bad Hall in „My Fair Lady“ die Mutter Higgins gespielt. Das hat viel Spaß gemacht. Das war eine magische Produktion. Ich hab wirklich viel Theater gemacht – aber dass eine Vorstellung immer so dermaßen funktioniert hat, hab ich noch nie erlebt. Es war 25 Mal ausverkauft – und das Publikum saß immer mit riesigen Augen davor. Und das bei einer dreistündigen Vorstellung. Ich hab die Rolle ja schon mal gespielt – in Hagen am Opernhaus. Der Intendant hat das dort auch toll inszeniert, mit einem super Higgins, dem Hartmut Volle, der spielt auch im Tatort. Aber die Vorstellung ging nicht so ab. In Linz haben die Leute wie bei einem Rolling-Stones-Konzert reagiert. Wir hätten das noch x-Mal weiterspielen können.
Wie erklärst Du Dir das?
Das ist Magie. Eine Freundin meinte, in München hätte das nicht funktioniert. Das glaub ich nicht. Ich glaube, sowas hat gar nichts mit der Stadt zu tun. Das hängt mit einem Ensemble zusammen. Und mit der Magie in der Vorstellung, die man nicht benennen kann. Könnte man das, hätten wir nur noch grandiose Vorstellungen. Ich meine dabei gar nicht, dass die Produktion so überaus künstlerisch wertvoll war. Es geht mir um den Dialog mit dem Publikum, der so außerordentlich intensiv war.
Du sagst, sowas hättest Du noch nie erlebt. Du bist ja schon sehr lange im Geschäft. Wie lange eigentlich?
Ich bin seit dreißig Jahren in einem festen Ensemble. Jüngere Kollegen können das gar nicht nachvollziehen. Es waren ja keine Stückverträge, die ich da hatte. Ich bin seit dreißig Jahren fest engagiert. In Linz war ich sechs Jahre, sieben Jahre in Pforzheim, ich war in Osnabrück, in Coburg, in Esslingen. Durchgängig. Das ist heute sehr selten. Heute gibt es fast kein Ensembletheater mehr – weil das Geld fehlt. Irgendwann wird’s wohl ein Ensemble geben, das ganz Deutschland bespielt. Peter Brook, ein echter Theaterpapst, hat gesagt, das Stadttheater ist die Häßlichkeit der Kunst. Man kann nicht Kunst nach Plan produzieren, sondern nur nach Kreativität. Da hat er gewiss Recht – trotzdem bin ich eine Verfechterin des Stadttheaters, eben weil ich so lange in Ensembles war und wirklich tolle Karrieren erlebt habe. Und weil nur da Kontinuität der Arbeit eines Schauspielers an sich erfolgen kann.
Schauspielerin: „Ich hab einfach Glück gehabt“
Wie war Dein persönlicher Weg in die Schauspielerei?
Der war schon merkwürdig. Schon mit sechs Jahren habe ich im Kindergarten Theater gespielt. Und auch in der Schulzeit – das Spielen war mir immer wichtig. Für mich war immer klar, dass ich Schauspielerin werde. Und ich habe Ballett getanzt – bis mich mein Vater von der Ballettschule genommen hat, weil er das nicht gut fand. Dann musste ich Sprachen lernen… Und irgendwie bin ich dadurch beim Theater gelandet, hab die Ausbildung gemacht. Vom ersten Engagement an in Esslingen ging das immer so weiter. Ich bin dabei geblieben. Und ich dachte: Das ist normal – so geht das. Erst jetzt weiß ich, dass das gar nicht normal ist. Ich hatte einfach großes Glück, an die richtigen Leute gekommen zu sein.
Bist Du an die richtigen Leute gekommen – oder lag es nicht auch an Deinem Talent, dass Du Erfolg hattest?
Ich glaub, gut sind sie alle. Die Leute, die von der Schauspielschule kommen – die Leute, die für den Beruf brennen, sind alle gut. Ich hab einfach Glück gehabt. Das war Schicksal. Das sollte so sein.
Was gibt es Dir, wenn Du in eine Rolle schlüpfen kannst?
Freiheit. Unendlichkeit. Vor allem Freiheit von der Zeit. In der Rolle bin ich unsterblich. In der Rolle bin ich ja nicht ich. Ich spüre das manchmal, wenn ich vor dem Auftritt stehe und wenn es mir dabei gut geht und ich nicht angstgestresst bin. Dann habe ich sekundenlang ein Gefühl von Unendlichkeit. Auf der Bühne steht die Zeit. Das ist eine Parallelwelt. Und es ist auch toll, in die verschiedenen Charaktere zu schlüpfen. Da kann ich ganz viel ausleben. Manchmal kommen da Dinge, die man selbst gar nicht weiß. Das ist ein toller Beruf.
Reisen: „Ich verdanke meinem Beruf eigentlich alles“
Wie alt bist Du eigentlich?
Alt. Jedenfalls bin ich bekennende Seniorin. Das Alter muss ich nicht verraten, oder? Ich befürchte, damit könnte ich mir in meinem Beruf schaden. Nun ja – Schauspielern war das, was ich immer machen wollte. Und das war auch der einzige stabile Faktor in meinem Leben. Wenn es in meinem Leben ein Drama gab, hat mich immer der Beruf aufgefangen. Ungewöhnlich, denn eigentlich hat man ja die Familie, die einen fängt. Und ich hab durch meinen Beruf Weltreisen gemacht. Plötzlich fiel eine Kollegin aus und bat mich, auf die Queen Elizabeth zu gehen. Auf der Caronia war ich auch. Ich machte Weltreisen und hab auf den Schiffen gespielt. Das hätt ich mir so nie leisten können! Die Queen Elizabeth ist ja der Ferrari unter den Schiffen. Da hatte ich in der ersten Klasse eine Außenkabine. Ich verdanke meinem Beruf eigentlich alles.
Was hast Du dadurch von der Welt gesehen?
Die Queen Elizabeth hat in Southampton abgelegt – mit Ziel New York. Mit der Caronia bin ich von Brasilien in die Antarktis. Dann war noch eine Mittelmeerreise dabei. Ich hab auch schwere Wetter erlebt. Da waren die Schiffe leer, weil alle seekrank waren. Die Requisiten kamen mir auf der Bühne entgegen. Und ein ganz schlimmes Erlebnis hatte ich… Da hab ich „Lola Blau“ gespielt. Und ein Mann bekam einen Herzinfarkt. Das war ein alter Jude, der nie mehr nach Deutschland gefahren ist, weil er im KZ war. Ich hatte Original-Reden von Hitler und Konsorten auf meinem Band. Der Mann hörte das und war so geschockt, dass er tatsächlich einen Herzinfarkt bekam. Dann durfte ich das nicht mehr machen und ersetzte den Abend durch „Shirley Valentine – Oder die Heilige Johanna der Einbauküche“. Der Mann starb glücklicherweise nicht. Ich wollte mich bei ihm entschuldigen – das hat er nicht angenommen. Obwohl ich ihm sagte, dass ich ja für Menschen wie ihn das Kreisler-Stück spiele. Er konnte es nicht annehmen, weil ihn Hitlers Stimme sein Trauma wieder erleben ließ. Auch eine Seite des Berufs…
Begegnungen: „Komischerweise bleiben viele Leute“
Was gibt Dir das Schauspielern noch?
Begegnungen! Ich habe ein Hörbuch gemacht – mit dem Mann von Sabine Sinjen, einem Filmstar der 60er Jahre. Der war viel jünger als sie und Dramaturg in der Josefstadt in Wien. Den habe ich kennengelernt und wir machten das Hörbuch. Neulich wollte ich wissen, was mit ihm ist. Ich habe herausgefunden, dass er schon seit zehn Jahren tot ist. Er ist an einer ganz schrecklichen Krankheit gestorben. Solche Begegnungen hat man auch…
Du hast in Deinem Theaterleben viele Menschen getroffen. Was bleibt von all den Begegnungen?
Komischerweise bleiben viele Leute im Herzen und manche im Kopf. Und zwar auch Leute, von denen ich es nicht dachte. Es bleibt ganz doll der Mann, mit dem ich zweimal verheiratet war. Peter Ehret. Er war ein glänzender Schauspieler und Synchronstar, der heute noch im Netz verehrt wird – und sich mit 26 umgebracht hat.
Und Du hast ihn zwei Mal geheiratet?
Ja. Weißt Du, was verrückt ist? Ich hab bei Facebook für ihn eine Fanpage gemacht. Jetzt hat sich bei mir eine Patrizia Rommel gemeldet, die mit ihm befreundet war, kurz vor seinem Tod. Da war sie 17. Sie sagte mir, Peter hätte sie auf den Weg zu diesem Beruf gebracht. Sie hat inzwischen einen Oscar bekommen und lebt in Los Angeles. Sie war am Film „Das Leben der Anderen“ beteiligt. Jetzt hat sie mich nach Los Angeles eingeladen, weil ich im Januar ohnehin zu meiner Schwester nach San Francisco fliege. Ich weiß aber noch nicht, ob ich sie wirklich besuche. Auch das macht der Beruf – er bringt die Leute zueinander.
Freut es Dich oder schreckt es Dich, wie klein die Welt dadurch ist?
Es schreckt mich manchmal auch. Ich hab mich wahnsinnig gefreut – aber wenn ich ehrlich bin, hab ich auch jetzt schon Angst, hinzufliegen. Weil ich mich frage, was es mir bringt, zwei Tage in dieser Hollywood-Welt zu sein, von der man als Schauspieler nur träumt. Und dann stelle ich wahrscheinlich fest, dass das Büro wie jedes andere Büro auch aussieht. Und die Leute sehen auch so aus wie in allen Büros. Die rennen ja nicht immer mit dem Oscar herum. Vielleicht fahr ich gar nicht hin.
Familie: „Die wollen nix mit mir zu tun haben“
Und Deine Schwester lebt in San Francisco?
Meine Schwester lebt schon seit ewigen Jahren in Amerika. Schon viel länger, als sie in Deutschland gelebt hat. Sie spricht auch nur noch Englisch. Ihr Mann ist vor einem Jahr gestorben. Mit ihm hat sie in Minneapolis gelebt – jetzt ist sie nach San Francisco gezogen. Jetzt zur Weihnachtszeit hatte ich so nostalgische Sehnsüchte nach meiner Familie. Und darum fliege ich im Januar zu ihr.
Hast Du noch mehr Familie?
Nein. Leider nicht. Das ist die Schattenseite von meinem Beruf. Die Familie, die ich hätte – aus meiner Sicht spießige, aber ordentliche, akademische Leute – die wollen mit mir nix zu tun haben. Die Kinder meiner Schwester sehe ich auch kaum. Eine ist Anwältin, einer Chirurg. Ich glaube, die finden mich nicht so ganz doll. Das ist nicht ihre Welt. In Amerika zählt Reichtum. Und den hab ich nicht. Das, was ich als Reichtum empfinde, gilt für die nicht. Manche Verwandte kommen zwar gern ins Theater, freuen sich dann auch und haben den Rotary-Club im Schlepptau. Mehr aber auch nicht. Zu Hochzeiten werde ich nicht eingeladen. Zu Trauerfeiern auch nicht. Das ist schon hart.
Woran liegt das denn?
Die denken immer noch: Hilfe, die Komödianten kommen und nehmen uns die Wäsche weg…
Hast Du Kinder?
Ja, zwei Töchter. Eine lebt in Düsseldorf und eine in München.
Deine Schwester lebt also in Amerika. Und Du? Bist Du froh, dass Du in Deutschland geblieben bist?
Ja, natürlich. Nach Amerika wäre ich nicht gegangen. Es sei denn, meine Schwester hätte gesagt: Komm, wir sind jetzt beide alt und allein. Dann hätte sie es mir schwer gemacht. Aber was hätt ich da gemacht? Ich bin ja froh, wenn ich hier spielen kann. Das ist mein Lebenselixier. Das war es immer. Und wenn ich das ein, zwei Mal im Jahr machen kann, bin ich schon ganz glücklich.
Film und Fernsehen: „Filmjobs sind so selten“
Hast Du auch mal vor der Kamera gestanden?
Ja, das hab ich gemacht. Sogar relativ viel und einigermaßen erfolgreich. Ich hab auch in Wien einen Kinofilm gemacht – der ist zwar gefloppt, aber er wurde immerhin in Berlin beim Film-Festival vorgestellt. Der hieß „Der Schatten des Schreibers“. Das Problem war – ich konnte Film und Theater nicht gemeinsam machen. Die Agentur hat verlangt, dass ich frei für Angebote war. Das geht mit Theater natürlich nicht. Darum musste ich zwei, dreimal Filme absagen. Solange ich am Theater fest engagiert war, wollte ich auch spielen. Und schließlich war ich frei. Und wurde prompt von einer Kölner Agentur angerufen. Allerdings wollten die dann ein Show-Reel-Band von den letzten Filmen innerhalb des letzten Jahres. Das hatte ich aber nicht – und wurde deshalb nicht genommen. Heute schauen sich die Regisseure wohl nur noch diese Bänder an und wählen danach aus. Damit hab ich das ad acta gelegt. Das war vor viereinhalb Jahren. Da hatte ich noch Hoffnung – ich dachte, auch Alte würden gesucht werden. Aber ohne das Band geht das eben nicht.
Aber Du hast schon davor Fernsehproduktionen gemacht?
Ja. Ich hab in zwei Serien jeweils eine tragische Mutter gespielt, die am Hartz IV-Tuch nagte, der es schlecht mit Kinder- und Männergeschichten ging. Die eine Serie hieß „Sechs Millionen“, die andere „Familie Engelkamp“. Ach, und wenn „Der Schatten des Schreibers“ gezündet hätte, dann wäre ich vielleicht aus dem Theater ausgestiegen. Wer weiß, wo ich dann jetzt wär… Filmjobs sind so selten. Eine Bekannte dreht relativ viel – aber selbst die stöhnt. Es ist die Angst vor keinem Anruf, dass man nicht gebucht wird. Theater ist für mich meine Familie. Da hab ich überall Menschen, die ich kenne – und die mich auch holen, wenn sie mich brauchen.
Ehe: „Ich war acht Mal verheiratet“
Du sagtest, die Arbeit war Dein Rückhalt – und nicht das Private?
Die Arbeit hat mich immer aufgefangen. In allen privaten Desastern in meinem Leben – und davon hatte ich viele. Das habe ich schon in den Talkshows erzählt. Weil ich mich davon auch befreien wollte. Ich war acht Mal verheiratet – was ich mir selber jetzt gar nicht mehr vorstellen kann. Jetzt lebe ich ein totales Einzelleben.
Wann hast Du zum ersten Mal geheiratet?
Da war ich 19. Ich bin von Zuhause abgehauen, ganz romantisch. Der Mann war Franzose, hat in Poitier studiert und ich war Au-Pair in London. In Dortmund haben wir uns getroffen und beschlossen, ein Kind zu machen. Das war zu der Zeit ein Grund, heiraten zu müssen. Wir waren ja noch nicht volljährig, wir brauchten das Ok der Eltern. Der Plan war also, zu heiraten, wenn ich schwanger war. Dann sollte ich aus London zu ihm und dann wollten wir für immer und ewig zusammen bleiben. Also sind wir immer mit Decken in der Natur herum gestreift, bis ich schwanger war. In London habe ich mich meiner Land-Lady anvertraut, bei der ich in der Familie war. Die war sehr lieb mit mir und wollte meine Eltern anrufen. Ich hab sie gebeten, das nicht zu tun – mein Vater würde mich daheim einsperren. Dann bin ich nach Frankreich. Ach, wir hatten einen Riesenkrieg mit unseren Eltern. Mein Vater hat mich rausgeschmissen und gesagt, ich sei nicht mehr sein Kind. Einen Franzosen hat er nicht akzeptiert. Mein Vater war in französischer Kriegsgefangenschaft. Meinem Mann ging’s auch nicht besser: Seine Eltern haben ihn vor mir geschlagen. Da haben wir noch gut zusammen gehalten. Das Tragische kam erst: Unser Kind starb nach der Geburt. Damit wurden wir sehr alleine gelassen – wir waren ja selbst noch Kinder. Wir hatten von nix eine Ahnung. Ich wusste gar nicht, wie eine Geburt geht. Ich hatte wahnsinnige Schmerzen, kam ins Krankenhaus, wo man Wehen feststellte. Ich wusste nicht, dass ich Wehen hatte. Der Tod des Kindes war das Aus für die Ehe. Das haben wir beide nicht verkraftet. Wir waren zwar noch zwei Jahre lang verheiratet und haben immer wieder versucht, zueinander zu finden. Meine Eltern waren gegen ihn, seine Eltern waren gegen mich.
Kinder: „Ich war einfach viel zu jung“
Wie bist Du als Mutter mit dem Verlust Deines Kindes umgegangen?
Ein Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was es gibt. Heute weiß ich, dass ich traumatisiert war – aber damals wusste ich das nicht. Ich konnte nicht mehr auf die Straße gehen, ich konnte nicht Straßenbahn fahren, ich konnte nicht U-Bahn fahren. Da musste ich immer würgen. Mir wurde schlecht, ich bekam Schweißausbrüche. Ich hab mich versteckt, bin in Keller gerannt. Als ich zu einem Frauenarzt ging und ihm die Symptome erzählte, hat er gemeint, das sei eine normale Reaktion auf den Tod des eigenen Kindes. Damals hatte man noch nichts von Traumata gehört, die psychologisch behandelt gehören. Mein Zustand hat zwei, drei Jahre gedauert. In der Zeit musste mich mein „Kindmann“ auch noch mit durchziehen. Er hatte immer Bonbons in der Tasche und wenn wir irgendwo hin mussten, hat er mir permanent Bonbons in den Mund gesteckt. Ich hatte einfach Angst. Und irgendwie ging es dann gottseidank weg. Ich war einfach viel zu jung. Meine Mutter war in Amerika, die kam gar nicht. Und mein Vater war vollkommen überfordert mit der Situation. Er hat die Beerdigung organisiert, ich war noch im Krankenhaus. Das war alles furchtbar. Von dem Geld, das uns mein Vater für ein Kreuz für das Grab gegeben hat, haben wir uns einen Plattenspieler gekauft. Wir waren 19. Wir wollten Musik haben. Das würde ich heute auch alles anders handhaben.
Verzeihst Du’s Dir?
Das ist genau das Thema, mit dem ich mich grade beschäftige. Ich hab mit vielen Sachen Probleme. Grad in Bezug auf meine Kinder. Das verdränge ich ganz arg. Verzeihen tu ich’s mir nicht wirklich. Ich glaub, ich kompensiere das mit meinen Hunden, die ich abgöttisch liebe. Das ist schon nicht mehr normal. Dazu stehe ich aber. Besser, ich hab einen Hund, als eine Therapie, in der ich nicht klar komme. Der Hund ist meine Therapie. Heut hab ich erst gelesen, „Der Hund ist ein Herz auf vier Beinen“. Das ist es. Das Verzeihen ist schwer. Anderen zu verzeihen ist einfacher. Bei sich selbst denkt man immer, das hättest Du doch anders machen müssen, warum hast Du denn nicht? Man müsste, wenn man jung ist, das Wissen haben, das man jetzt hat. Dann würde ich vieles anders machen. Wenn man die Einsicht hat, ist es für vieles zu spät. Das ist das Verrückte. Für eine Beziehung ist es auf jeden Fall zu spät, und so eine suche ich auch nicht mehr.
Alter: „Im Kopf bleibst Du ja immer Du“
Wann hast Du mit dem Thema abgeschlossen?
Ich glaube, mit meinem letzten Ehemann. Ich weiß gar nicht, ob ich den wirklich geliebt hab. Das ist ja so schwer mit Liebe. Der war sehr viel jünger. Er war Afrikaner, der Papiere haben wollte. Mir hat er was von großer Liebe erzählt. Dass er mich gar nicht geliebt hat, glaube ich aber auch nicht. Aber sicher war ich für ihn eine alte Frau. Wenn man auf der Kippe zum Altwerden ist, will man das nicht wahrhaben. Dann denkste, mit so einem jungen Mann biste wieder jung. Das ist aber eben nicht so. Dann bist Du richtig alt. Ich konnte nicht mit ihm in die Disco gehen, sonst hätten die Leute blöde geguckt. Selbst auf der Straße haben die Leute blöd geguckt. Nach dieser Ehe war für mich klar, dass ich diese Art von Verletzung nicht mehr brauche. Und einen alten Kerl will ich auch nicht. Wer will denn so einen alten Mann? Im Kopf bleibst Du ja immer Du. Wenn ich mich im Spiegel sehe, erschrecke ich manchmal und denke, mein Gott, bin ich alt. Trotzdem lebt man nicht mit dieser Zahl. Eigentlich bin ich aber sehr glücklich mit meinem Alter. Deswegen wollte ich auch unbedingt dieses Seniorenprojekt in Eggenfelden, am Theater an der Rott. Ich wollte in die Altersheime gehen, ich wollte mit den alten Menschen Workshops machen, einen Chor, ich wollte mit ihnen im Bus nach München fahren, um die dortige Seniorengruppe zu besuchen. Ich hatte so viele Pläne. Und alles scheitert am Geld.
An welchem Geld?
Am Geld vom Theater und damit vom Landratsamt. Und an meinem Geld. Ich hab eben keine Wohnung in Eggenfelden und die Pendelei kostet Geld, obwohl ich noch nicht mal ein Auto hab. Ich muss jetzt gucken, dass ich mir mit meiner Rente und dem Geld, das ich vom Theater bekomme, ein schönes Leben mache. Und zwar kein belastetes Leben mit Schulden. Vielleicht bin ich aber auch einfach nicht der Typ, der sowas leiten kann. Oder doch? Ich weiß es nicht. Ich hätte einfach gern alte Menschen motiviert. Hast Du „Quartetto“ am Theater an der Rott gesehen?