Bettina Gschneidner: Der Medienservice mit Exzellenz statt Perfektion
Wer sich erinnern kann, wo in der Alten Hofmark in Bad Birnbach einst der Schlecker war, weiß, wo sich Bettina Gschneidners Medienservice-Agentur befindet. Bettina teilt sich die großzügigen Räumlichkeiten seit 2015 mit Petra Sigl Werbetechnik. Dazu kam 2018 Anton Zupančič mit seiner Firma ZupAnto Werbebeschriftungen. Ergeben hat sich die Bürogemeinschaft nach und nach – ganz so, wie sich Bettinas Schaffen auch erst nach und nach entwickelt hat. Heute ist sie ihre eigene Chefin mit drei Mitarbeiterinnen. Angefangen hat ihr Weg aber ganz woanders…
„Ich war schon immer ein kreativer Mensch“
Bettina beginnt in ihrem Büro zu erzählen, das hinter dem offenen Empfangsraum liegt. Ohne viel Schnickschnack eingerichtet strahlt es Ruhe und Klarheit aus, so wie die 39-Jährige selbst. Das Fenster zeigt auf die große Dachterrasse ins Grüne mitten in Bad Birnbach. Vor den Bildschirmen dampft eine Tasse Tee. „Ich war schon immer ein sehr kreativer Mensch. Als Kind habe ich seitenweise Aufsätze geschrieben, gebastelt und gemalt und den Verwandten Gedichte zum Geburtstag geschenkt,“ erinnert sich Bettina. Aufgewachsen ist sie in Rottenstuben bei Hebertsfelden, „idyllisch schön“.
Nach der Realschule war ihr klar, dass sie einen kreativen Beruf lernen wollte. Schauwerbegestalterin kam ihr in den Sinn. Freilich hatte sie noch keinen Führerschein und auch an Ausbildungsplätzen mangelte es in der Region. Was also tun? Beim Arbeitsamt riet man ihr zur Fotografin. Bettina begann ihre Ausbildung, schloss sie auch ab, aber ihr Ding hatte sie damit nicht gefunden. Sie vermutet: Zu jung war sie damals wohl, um wirklich einzutauchen ins Metier, zu schüchtern, um vom Ausbildungsbetrieb mehr als nur Zuarbeiten zu fordern. Auch heute sieht sie sich als zurückhaltenden Menschen, der auch gern allein für sich werkelt. Viel werkelt!
„Ich möchte Karriere machen“
Mit 19 Jahren war Bettina Gesellin, wollte nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten – wusste aber auch nicht, was sie sonst anstellen sollte. Was nicht heißen sollte, dass sie keine Interessen hatte. Schon damals mochte sie Architektur, das Spiel mit Perspektiven, Landschaften. Und Reisen! Andere Länder und Kulturen… Bettina erinnerte sich an die Worte ihres ehemaligen Chefs, der ihr von einem Kreuzfahrtschiff erzählte. Ein schwimmender Arbeitsplatz, mit dem sie um die Welt fahren könnte – das wär’s! So dachte sie es sich, bewarb sich und wartete. Unterdessen brachte sie eine Freundin auf andere Ideen.
Damals eröffnete sich in Sachen Fotografie gerade eine neue Welt. Die Digitalisierung, die elektronische Bildbearbeitung. Das Handwerk verlagerte sich auf den Bildschirm und Bettina war fasziniert. Schließlich ließ sie sich in Waldkraiburg zur Mediengestalterin umschulen, während das Kreuzfahrtschiff ohne sie in die Welt tuckerte: „Für mich war die Umschulung ein Spaziergang, weil ich vieles bereits aus der ersten Ausbildung kannte und die neuen Themen waren so interessant, dass mir das Lernen richtig Spaß gemacht hat.“ Zum ersten Mal in ihrem Leben brach sich der Gedanke in ihr Bahn: „Ich möchte Karriere machen.“
Nicht ganz unschuldig an dieser Vision war gewiss Jochen Schweizer, bei dem sie als Praktikantin Erfahrungen sammelte. Mit seiner Eventagentur war er damals hauptsächlich für große Events und seine Bungee-Stationen bekannt, Bettina erlebte ihn live als Chef und war fasziniert. Sie bearbeitete den Onlineauftritt und war bei diversen Events selbst dabei. Unter anderem arbeitete sie an der Bungee-Station in Oberschleißheim. Selbstredend sprang sie auch selbst. Nicht nachdenken, einfach machen, sonst klappt es nicht. Ein ganz anderer Ansatz, als sie ihn bisher selbst in ihrem Leben verfolgte. Neu war auch für sie: „Zum ersten Mal habe ich gesehen, dass Arbeit auch Spaß machen kann.“
„Ich dachte, ich sei nicht der Typ dazu“
Wieder zurück in der Waldkraiburger Schule musste sie sich für einen Fachbereich entscheiden. Die Wahl fiel auf Operating Non-Print, also auf den Onlinebereich. Allein unter Männern eroberte sie damals ihren Freund Nils, mit dem sie bis heute zusammen ist. Bettina lächelt bei der Erinnerung. Sie erzählt genau und sie erinnert sich an viele Details, sichtbar ist ihre Freude über die Reflexion ihres eigenen Werdegangs. Zart wirkt sie nur auf den ersten Blick, im Gespräch wird schnell deutlich, dass sie durchaus weiß, was sie will und kann – auch ohne sich laut zu präsentieren.
Nach der Umschulung gab es eine regelrechte Schwemme von Mediengestalter:innen. Da sie nun aber ihr Ding gefunden hatte, brannte sie schon während der Umschulung dafür und lernte die Programmierung von Websites. Dennoch fühlte sie sich noch ganz am Anfang ihres Könnens, traute sich noch nicht nach Berlin, was sie damals schon auch gereizt hätte. Lange dauerte es, bis sie eine Stelle gefunden hatte, die für sie passend schien: „Ich wollte eine Agentur, in der ich weiterlernen konnte.“
Lachend erinnert sie sich an ein Vorstellungsgespräch bei einer Münchner Firma, die sich auf Sex-Seiten spezialisiert hatte. Ja, da war sie schon ein wenig im Tunnel, gibt Bettina zu. Als sie im Wartebereich auf Poster und Zeitschriften mit barbrüstigen Frauen schaute, realisierte sie erst, wo sie sich befand: „Wie macht sich diese Stelle im Lebenslauf, wenn ich Karriere im Sinn habe?“ So nett das Gespräch dann auch war – Bettina suchte weiter. Und fand eine Stelle bei einem Grafikdesigner in Bad Birnbach. „Damals habe ich mich in meinem Konzept noch nicht als Selbstständige gesehen. Ich dachte, ich sei nicht der Typ dazu,“ sagt Bettina und nimmt einen Schluck Tee.
Von Alleinunterhaltern und Osterhasen
Gemeinsam mit ihrem Freund zog sie also 2004 nach Birnbach in die Wohnung, in der die beiden auch heute noch leben. Auch Nils fand eine Anstellung direkt am Ort und das junge Paar war recht zufrieden mit der Entwicklung der Dinge. Zwei Jahre lang arbeitete Bettina in der Firma: „Das war eine schöne Zeit mit einem guten Team. Bis ich ausgestellt wurde – weil es dem Unternehmen schon nicht mehr gut ging.“ Sie erinnert sich an die gemischten Gefühle: Plötzlich ohne Job, völlig unvorhersehbar. Und nun? Dann die Erleichterung und die Möglichkeit zu einer neuen Perspektive. Erneut der Gang zum Arbeitsamt. Die Existenzgründungsförderung war kein Ding und die Ich-AG damals eine tolle Sache. Bettina war nun das, was sie sich lange nicht vorstellen konnte: selbstständig.
Zunächst wurde das heimische Wohnzimmer zu ihrem Büro, in dem sie ohne jedes Konzept alles für alle anbot. Auf Dauer war es für Bettina keine Lösung, ihre Kunden bei sich daheim auf dem Kanapee sitzen zu haben – für den Anfang aber notwendig. „Ich hab mir schon viel erkämpfen müssen, konnte mich dadurch aber auch gut persönlich weiterentwickeln,“ erkennt Bettina und lächelt auch über die schöne Erinnerung an ihr erstes eigenes Büro. In der Brunnaderstraße haben die Mädels von Sima’s ihr Kosmetikstudio und den Laden – und daneben war noch ein Raum frei. Da sie schon länger Bettinas Kundinnen waren, zog Bettina mit Schreibtisch und Computer neben ihnen kurzerhand ein. Dank der Fensterfront war das Büro hell und freundlich und es gab immer was zu sehen.
„Damals hab ich noch unendlich lange gearbeitet,“ erzählt Bettina. „Ich hab die letzten Gäste vom Sternsteinhof heimgehen sehen, dann die Küchencrew und manchmal auch noch den Sonnenaufgang.“ Witzig klingt die Geschichte vom Alleinunterhalter, der direkt hinter der Wand an ihrem Rücken im Restaurant spielte. „Ein schönes Hintergrundrauschen und ich hab mich nicht allein gefühlt…“ Und noch eine Geschichte erzählt sie von damals, von ihrem enormen Schaffensdrang, den sie heute sehr kritisch beäugt: „In der Nacht vor Ostersonntag hab ich durchgearbeitet. Wir wollten in den Urlaub fliegen und ich dachte, ich müsste noch alles schaffen. Als die Kirchenglocken zur Osternacht läuteten, wurde mir klar, dass ich nicht alles erledigen konnte, was ich mir vorgenommen hatte. Ein wenig benommen und völlig übermüdet fuhr ich heim. Im Ort hoppelte ein Hase über die Straße und ich dachte tatsächlich: Das muss jetzt der Osterhase sein…“
Immer schön brav: „Die große Belohnung kam nicht“
Nach fünf Jahren war es an der Zeit, Abschied von den Sima’s-Mädels zu nehmen. Inzwischen hatte Bettina zwei Mitarbeiterinnen und es wurde einfach zu eng. Wenn sie heute zur Kosmetikbehandlung geht, liegt sie an dem Platz, wo einst ihr Schreibtisch stand. Bettina lächelt – das hat Symbolkraft. Denn es erfolgte nicht nur der Umzug ins einstige Schlecker-Gebäude, sondern auch ein Wandel ihrer selbst. „Damals ist so viel passiert,“ sagt sie und nickt bedeutungsvoll. Gleichzeitig dachte sie, mehr Leute einstellen zu müssen, was sich langfristig als doch nicht stimmig erwies.
Bettina begann, sich ernsthaft mit sich selbst auseinanderzusetzen. Schon immer war sie analytisch unterwegs und arbeitete an ihrer Weiterentwicklung – jetzt aber war ein Punkt gekommen, an dem sie Erkenntnisse über sich selbst brauchte: „Ich bin als braves Mädchen auf dem Land aufgewachsen. Da zählte es, angepasst zu sein, alles recht zu machen, fleißig zu sein. Ich dachte, damit müsste sich mein Erfolg einstellen. Die große Belohnung kam aber nicht. Ich hätte es mir wirklich leichter machen können.“ Die 39-Jährige lehnt sich in ihrem Bürostuhl zurück und erzählt weiter: „Oft habe ich mich unter Wert verkauft und dachte in ganz verkehrten Maßstäben. Heute habe ich mich von meinen alten Mustern befreit. Das geht nicht von heute auf morgen.“
Sie lacht – aber nicht über sich selbst, vielmehr in liebevoller Erkenntnis mit sich. Früher, ja früher dachte sie, irgendwann sei alles perfekt und alle Kunden zufrieden. Eine Illusion, wie sie jetzt weiß. Das Wort „perfekt“ hat sie gestrichen, an ihren persönlichen Werten hat sie gearbeitet. Bettina hat gelernt, auf sich selbst zu hören: „Mit Perfektion hältst Du Dich nur auf, machst Dich klein. Das ist nicht richtig.“ Anstatt auf Perfektion setzt sie jetzt lieber auf Exzellenz. Und das ständige Suchen nach Harmonie erkennt sie heute als selbstsüchtig: „Wer immer nur auf Harmonie aus ist, will Konflikte vermeiden, um nur ja selbst keinen Stress zu haben. Ohne Konflikte geht’s aber nicht.“ Einer ihrer wichtigsten Werte ist Wertschätzung. Die hilft ihr, Konflikte aushalten und lösen zu können, denn: „Wenn ich jemanden grundsätzlich als Person wertschätze, aber mit seinem Verhalten nicht einverstanden bin, kann ich sein Handeln kritisieren, ohne ihn dabei persönlich anzugreifen. Ich kann freundlich bleiben und trotzdem anderer Meinung sein.“
Keine Hürden, sondern „Lerngeschenke“
Diese Erkenntnisse zu erlangen und in der Haltung sowie im Verhalten zu integrieren, hat schon ein paar Jahre gebraucht und auch jetzt ist Bettina nicht gefeit vor ihren alten Mustern. Dadurch, dass sie jetzt aber näher an sich dran ist, kommt sie sich schneller auf die Schliche. Geschafft hat sie ihren Wandel und ihr Wachstum dank Coachings und zahlreicher Bücher. Die Hürden in ihrem Leben sieht sie heute als „Lerngeschenke“, also also etwas Positives, aus dem sie stärker herausgeht. „Als ich damals feststellte, ich konnte mein Pensum allein nicht bewältigen, stellte ich mehr Leute ein – anstatt meine Arbeitsweise zu überdenken. Das wäre besser gewesen. Damals habe ich mich noch nicht getraut, auf mein Bauchgefühl zu hören und dadurch viel Zeit vertan.“ Wie sie weiß, standen Existenzängste hinter ihrem Verhalten – und wie sie auch weiß: völlig unbegründet.
Heute ist sie mit ihren drei Mitarbeiterinnen glücklich: Sonja Seiler ist seit neun Jahren an ihrer Seite, Anne Dippl und Maria Matorova seit sechs Jahren. Seit alles klar ist in ihr, leistet sie sich auf mal ein Nein. Den „Kurspatz“, das Bad Birnbacher Kurmagazin, hat Bettina zwölf Jahre lang gemacht – gestalterisch, aber auch eben redaktionell. Viel Arbeit war das. Vor zwei Jahren hat sie ihn abgegeben und ist erleichtert darüber. Auch dadurch wurde sie frei, neue Projekte endlich umzusetzen, sie ihr schon lange im Kopf herumschwirrten.
„Wichtig ist es, mit Emotionen zu arbeiten“
„Gfreidog“ heißt das niederbayerische Stellenportal, das erst im März 2022 online ging. Ein Wortspiel, sich über die Arbeit zu freuen und nicht nur auf den Freitag hinzufiebern. „Die Nachfrage nach Stellenanzeigen ist groß, meistens stehen aber nur Hardfacts drin. Was die Unternehmen ausmacht, kommt selten rüber,“ erzählt Bettina von ihrer Idee. Darum ihr Gedanke, die suchenden Betriebe als Arbeitgeber vorzustellen. Dazu kommt eine Gebrauchsanweisung für die Chefin und den Chef. Das sorgt für mehr Transparenz vorweg. „Anne fährt zu den Kund:innen raus, interviewt sie,“ erklärt Bettina den Vorgang. „Wichtig ist es, mit Geschichten und Emotionen zu arbeiten – egal, ob auf das Produkt oder die Mitarbeiter:innen bezogen.“
Ihre Philosophie beschreibt Bettina kurz und knackig: „Ich mag für meine Kund:innen so Werbung machen, damit sie zufrieden sind. Man muss wissen, was man bekommt. Dabei spielen Ehrlichkeit und Authentizität eine wichtige Rolle. Hauptsache ist es, mit Herzblut dabeizusein.“ Und nicht zuletzt: „Wenn die richtigen Leute zusammenkommen, ist Spaß bei der Arbeit möglich.“ Dass das bei ihr gut möglich ist, wird später sichtbar, als sich der Frühling von seiner besten Seite zeigt, die Sonne auf die Terrasse scheint und sich dort alle für’s Foto treffen. Heute sind Sonja und Anne hier, sie scherzen, lachen. So lässt es sich aushalten. Fast perfekt, auf jeden Fall aber exzellent.