Das historische Portrait: Elisabeth Bachmeier – „Ich wollte immer Bäuerin werden“

„Es ist wichtig, dass die Geschichte weitererzählt wird,“ sagt Andrea Botz. „Was meine Oma alles erlebt hat, darf gerade in der heutigen Zeit nicht vergessen werden. Sie hat alles so hingenommen, aber für uns sind die Erlebnisse, die der Krieg mit sich gebracht hat, unglaublich.“ Drei Generationen sitzen gemeinsam am Tisch, auf dem Frühstück und Fotoalben ausgebreitet liegen. Elisabeth Bachmaier ist 95, ihre Tochter Brigitte Fürstberger ist 60, Andrea ist 32. Die vierte Generation, Elisabeths Urenkel, ist im Kindergarten. Elisabeth, die schon von klein auf Liese genannt wird, kann sich an alles erinnern. Nur ihr Gehör macht nicht mehr so gut mit. Ein Hörgerät möchte sie aber erst, wenn sie mal alt ist, wie sie selbst sagt. Auf trockene und humorvolle Art erzählt Liese über ihr langes Leben.

„Geboren wurde ich am 21. Juni 1924 als Elisabeth Ellinger auf unserem Hof in Pollersbach bei Kirchberg. Ich hatte zwei Brüder, den Albert und den Max. Albert war fünf Jahre älter, Max fünf Jahre jünger als ich. Ich bin in Kirchberg zur Schule gegangen und hatte einen recht braven Lehrer, der uns Kinder nicht geschlagen hat. Dann kam der Krieg. Albert musste an die Front. Er war bei der Luftabwehr, später bei der SS. Er war in der Nähe von Köln stationiert, dort hat er Wella kennengelernt und geheiratet. Die beiden bekamen ein Kind, den Karl-Heinz. Weil Köln stark bombardiert wurde, kam Wella mit dem kleinen Karl-Heinz zu uns auf den Hof. Da hatten wir es auf dem Land schon besser. Vier Wochen vor Kriegsende, als sein Sohn zwei Jahre alt war, ist Albert in Frankreich gefallen.

„Er hat nicht locker gelassen“

Durch die Kinderlandverschickung kam Hans aus Köln zu uns. Unser Vater schickte meinen Bruder Max zur Sammelstelle – er durfte sich einen Spielkameraden aussuchen. Max und Hans waren sich gleich sympathisch, sie wurden wie Brüder. Zeitweise waren auch die Mutter von Hans und seine Schwester bei uns. Hans ging mit uns in Kirchberg zur Schule und machte später bei Hatz und Loher in Ruhstorf eine Ausbildung zum Feinwerkzeugmechaniker. Nach der Lehre ging Hans nach Köln zurück, die Verbindung blieb aber bis zu seinem Tod bestehen.

In der Kriegszeit habe ich mit meiner Mutter den Hof bewirtschaftet. Wir hatten acht Kühe, sechs davon konnten vor den Pflug gespannt werden, dazu Hühner, Enten und Hasen. Max und Hans haben Hasen gezüchtet, das war was… Erst mit 16 kam ich mal weiter weg – nach Landshut zum Melkkurs. Für mich stand fest, dass ich Bäuerin werden wollte. Ein anderer Beruf hat mich nicht interessiert. Ich hab die Arbeit immer gern gemacht. Alles, vom Heumachen bis zum Melken und Ausmisten. Ich hab immer gern draußen gearbeitet.

Meinen Mann Karl lernte ich nach dem Krieg kennen. An Feiertagen gingen wir in Eggenfelden zur Kirche. Danach spazierten alle ledigen Frauen und Männer in Gruppen am Stadtplatz herum. Dabei sprach mich Karl an. Er hat mir gleich gefallen. Ich hatte auch noch einen anderen Verehrer, einen Wirt. Der Wirt hatte zusätzlich noch einen Bauernhof. Eine Wirtschaft und gleichzeitig einen Bauernhof? Das hätte noch mehr Arbeit bedeutet. Und außerdem wollte ich auf keinen Fall eine Wirtin werden. Der Wirt war ganz schön beleidigt, als ich ihm einen Korb gegeben habe. Mit meinen Freundinnen und Karl bin ich viel zum Tanzen gegangen. Nach Gern zum Oberwirt, nach Falkenberg… Trotzdem hat es vier Jahre gedauert, bis ich meinen Karl geheiratet habe. Er hat nicht locker gelassen. 1949 hab ich dann Ja gesagt.

„Was es heute nicht alles gibt…“

Karl hatte auch eine schlimme Kriegsgeschichte. Mit 17 ist er eingezogen worden. Er kam in russische Gefangenschaft und war zunächst im Lazarett, da er verwundet war. Ihm gelang die Flucht. Dazu musste er über einen furchtbar breiten Fluss schwimmen. Auf den Dächern von Zügen hat er es bis Regensburg geschafft. Von dort ist er zu Fuß nach Lohbruck bei Wurmannsquick heimgegangen und wurde auch noch von den Amis aufgehalten. Karl wollte eigentlich einen Beruf lernen, aber daraus wurde nichts. Sein geliebter älterer Bruder war im Krieg gefallen – genauso wie meiner – und so musste er den Hof übernehmen. Seine Eltern waren schon sehr alt, Karl war der jüngste von neun Geschwistern.

Also kam ich auf Karls Hof. Wir hatten Schweine, Kühe, Hühner und Enten. Und ich habe Gickerl gefüttert. Einmal sind mir alle schlachtreifen Gickerl gestohlen worden! Mein eigenes Gartl war mein ganzer Stolz. Mit den Schwiegereltern kam ich gut aus. Auf dem Hof lebte außerdem Karls Schwester, die ein lediges Kind hatte. Später ging die Schwester weg und pflegte einen Onkel. Als der starb, bekam sie sein Geld und konnte sich ein eigenes Haus bauen. Sie arbeitete in einem Krankenhaus und lebte bis zu ihrem Tod mit ihrer Tochter zusammen. Auf dem Hof lebten auch Flüchtlinge, die Familie Fritschka, ein Ehepaar mit ihrem Sohn, ganz patente Leut. Später hat Andrea übers Internet den Sohn gefunden, der lebt mittlerweile in New York. Was es heute nicht alles gibt…

„Es war schon so wie in ‚Herbstmilch'“

Und dann wurden wir selbst Eltern: Karl junior wurde geboren. Erst neun Jahre später kam Brigitte. Das war noch eine Überraschung. Ich habe mich aber sehr gefreut. Als Brigitte geboren wurde, haben wir sie in einen Wäschekorb gelegt. Als unser Karl sie zum ersten Mal sah, war er richtig erschrocken. ‚Gehört die uns?‘ hat er gefragt. Er wusste nicht, dass ich schwanger war, weil ich immer so weite Kleidung getragen habe und man früher nicht so viel darüber geredet hat. Beide Kinder habe ich daheim mit einer Hebamme bekommen. Gestillt habe ich nicht. Durch die harte Arbeit auf dem Hof hatte ich gar keine Milch. Die Babys bekamen Honigmilch und Mehlpapp. Untertags waren wir auf dem Feld, da mussten die Kinder viel allein sein. Es war schon ein bisschen so wie in ‚Herbstmilch‚.

Karls Eltern wurden beide nur 72, das ist ja kein Alter. Und seltsam ist es schon – auch Karl wurde nur 72. Karl hat im Krieg viel erlebt, aber er konnte nie was aufarbeiten. Daran hat man früher nicht gedacht, das gab es nicht. Man hatte genug zu tun. Unseren Hof hat mein Sohn Karl übernommen. Brigitte lebt in Hebertsfelden. Eine Bäuerin wie ich ist sie aber nicht geworden. Sie hat gesehen, wie hart diese Arbeit ist. Da hat sie lieber einen Beruf gelernt. Einen Führerschein hab ich übrigens nicht, das hat mich nicht interessiert. Mir hat es gereicht, wenn ich hin und wieder mit dem Bulldog gefahren bin. Karl hatte schon einen Führerschein. Er hat sich ein Auto gekauft – mit dem ist er zur Fahrschule gefahren. Wie wäre er da sonst hingekommen?

„Nur zum Lesen brauche ich eine Brille“

Heute bin ich ein altes Weib. Ich bin froh, dass ich noch so viel machen kann. Ich lebe schon 22 Jahre allein in unserem Haus, einmal am Tag kommt der Pflegedienst vorbei. Brigitte kümmert sich um den Haushalt, kauft ein und fährt mich zum Doktor. Meine Schwiegertochter kocht und bringt mir was. Nur zum Lesen brauche ich eine Brille. Nachdem ich mir die Hüfte und das Schambein gebrochen habe, kann ich leider nicht mehr lange stehen. Meine Knochen halten nichts mehr aus.

Jetzt bin ich mit dem Rollator unterwegs. Und dabei würde ich so gerne wieder mal Kiache backen. Marmelade koche ich noch selber. Letztes Jahr gab es so viele Kirschen und Zwetschgen, daraus hab ich Marmelade und Saft gemacht. Mein Sohn hat mir beim Pflücken geholfen, aber die ich erwischen konnte, hab ich noch selbst gepflückt. Früher hab ich viel eingeweckt. Wenn ich nichts zu tun habe, schau ich Fernsehen und stricke. Ich stricke Socken für die ganze Familie. Ich hab drei Enkelkinder und zwei Urenkel.

Um mein Gartl kann ich mich leider nicht mehr kümmern. Früher hab ich alles selbst angebaut – Gurken, Salat, Gelbe Rüben, alles. Und wir hatten ein extra Erdäpfel-Gartl. Mit den Erdäpfeln haben wir auch die Schweine gefüttert. Die Kühe bekamen Gunkeln, das sind Rüben, die wir auch selbst auf einem Feld angebaut haben. Heute wachsen im Gartl noch wild Himbeeren und Erdbeeren. Darüber freut sich mein Urenkel Johannes.

„Ich wünsch mir nur, dass es schnell geht“

Ich habe viele Menschen sterben sehen. Schwer war es, als mein Bruder Max starb, er hatte Krebs. Keiner aus meiner Zeit lebt mehr. Alle sind sie entweder im Krieg gefallen oder im Lauf der Zeit gestorben. Ich hatte auch Krebs, am Darm. Vor ein paar Jahren wurde ich operiert, seitdem geht’s mir wieder gut. Vor dem eigenen Tod fürchte ich mich nicht. Ich wünsch mir nur, dass es schnell geht und ich nicht leiden muss. Wenn ich mir mal selber nicht mehr helfen kann, ist es gescheiter, ich sterbe.“


Elisabeths Portrait wurde in der ersten Ausgabe des ROTTALER GSICHTER MAGAZINs, im Juli 2019, veröffentlicht.

Menschen aus früherer Zeit haben Geschichten zu erzählen. Ganz gleich, ob sie noch bei uns sind oder wir uns liebevoll an sie erinnern – es sind unsere Ahnen und sie gestalten unser Leben mit. Dank ihnen dürfen wir hier sein. Ihr Leben war anders als das unsere – zumindest die äußeren Umstände. Innerlich waren sie bewegt vom Menschsein wie wir, sie hatten Sehnsüchte und Träume, sie haben geliebt und gehofft und sie alle haben getan, was ihnen möglich war. Du denkst auch an einen Menschen von früher und würdest gerne über ihn erzählen? Oder der liebe Mensch lebt und möchte selbst erzählen? Schreib eine E-Mail an servus@rottalergsichter.de, Betreff: Historisches Portrait. Ich freue mich auf Deine Nachricht!

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Ein Kommentar

  1. Eine spannende Lebensgeschichte ist das!
    Als Tochter eines Bachmeier, der zwar 9 Geschwister hat, aber keinerlei Tanten, Onkel, Oma oder Opa für mich, ist es besonders interessant. Toll, wie hier die Generationen zusammengewachsen sind und sich gegenseitig unterstützen!
    Alles Gute für Sie!

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