Sarah Wasner: Von Hunden und Menschen
Schwanzwedelnd begrüßen Happy, Roxy und Michel den Besuch. Mit dabei ist heute auch Besuchshund Willi, der ebenfalls freundlich abwartend neben seinen Freunden steht. Sarah Wasner kommt gerade von einem längeren morgendlichen Gassigang zurück, auch sie strahlt eine ruhige Herzlichkeit aus. In ihrer Wohnung in Simbach am Inn wird gleich deutlich, wer hier an erster Stelle steht: Im Wohnzimmer gibt es zwei riesige Hundebetten und eine ebenso große Couch, worauf sich die vier Vierbeiner gleich niederlassen. Doch Moment: Als sich Sarah und der Besuch ebenfalls niederlassen, dauert es keine fünf Sekunden, da drängeln sich Happy und Roxy auf meinem Schoß. Sarah lächelt, sie kennt ihre Tiere. Was macht sie denn nun eigentlich, wenn Hunde schon so eine große Bedeutung in ihrem Leben zu haben scheinen?
„Ende 2020 habe ich mit meiner Kollegin Kerstin Dieler eine Hundeschule übernommen,“ sagt Sarah. „Und hauptberuflich arbeite ich als Streetworkerin in Eggenfelden.“ Ihre Liebe zu Hunden währt schon seit ihrer Kindheit, als sie sich sehnlichst ein eigenes Tier gewünscht hat, die Mama aber dagegen war. So begnügte sich Sarah damit, die Nachbarshunde auszuführen und damit ihr Taschengeld aufzubessern. Nach der Schule entschied sich die heute 31-Jährige, Sozialpädagogik zu studieren. Während des Studiums pendelte sie zwischen Regensburg und Simbach, „ich war schon immer sehr heimatverbunden. Und ich hatte damals schon ein Pferd.“ Bis schließlich 2014 auch das erste Pfotentier bei ihr einzog: Happy, die Dackel-Terrier-Hündin mit dem braun-melierten Fell. Acht Jahre ist das nun her und Sarahs Tierliebe ging so weit, dass sie ihre Bachelor-Arbeit zum Thema tiergestützte soziale Arbeit verfasste.
„Die Hunde sind ein Eisbrecher“
Was sie seit 2015 in ihrer Arbeit als Streetworkerin tut, lehnt sich indirekt genau daran an: Oft begleiten sie ihre drei Hunde ins Büro, in dem sie Termine vor Ort wahrnimmt sowie auf ihren Runden durch die Stadt. Dort begegnet sie Jugendlichen an ihren Treffpunkten, kommt mit ihnen ins Gespräch. „Ganz eindeutig sind die Hunde dabei beim Erstkontakt ein Eisbrecher. Inzwischen werde ich schon gefragt, wo die drei sind, wenn ich sie mal nicht dabei habe,“ sagt Sarah. Dass sie die Stelle im Landkreis bekam, bezeichnet sie als großes Glück: „Da war ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Schon das Vorpraktikum und das Praxissemester machte sie bei Streetwork Rottal-Inn, getragen von der Katholischen Jugendfürsorge. Sarah sagt: „Jeder Tag ist anders. Ich gehe an Schulen, zeige Szenepräsenz, biete Gesprächstermine an, berate und begleite Jugendliche, zum Beispiel zum Jugendamt, zur Polizei, zum Jobcenter. Für Notfälle gibt es auch finanzielle Unterstützung. Dazu bieten wir ein abwechslungsreiches Freizeitprogramm an.“ Bayernweit ist Streetwork ein großer Trend, für die Arbeit werden aktuell viele neue Stellen im ländlichen Raum geschaffen. „Es gibt auf jeden Fall genug zu tun,“ bestätigt Sarah.
Dass ihre Hunde Sarah bei der Arbeit begleiten können, ist keine Selbstverständlichkeit: Zum einen würde nicht jeder Arbeitgeber damit einverstanden sein, zum anderen wäre das auch nicht mit jedem Hund möglich. Auch Happy war nicht immer so folgsam und lieb wie heute, wie Sarah erzählt: „Mit einem Jahr kam bei ihr der Jagdtrieb durch. Sie hat Ballwerfen geliebt – und ich habe nicht erkannt, dass ich dadurch ihren Trieb erst richtig anheize. Ich habe Bücher gelesen, versucht, mit Leckerlis und Pfeiferl zu arbeiten, aber nichts hat geholfen, ihr das Jagln auszutreiben.“ So kam sie schließlich zu einer Hundeschule in Stammham. Happy und ihr Frauli haben dort unterschiedliche Kurse und Stunden besucht, es hat gedauert, was auch verständlich ist: Denn warum sollte man mit etwas aufhören wollen, das einem im Blut liegt und so viel Freude macht? Heute hat Sarah ihre Happy super im Griff und kann sie sogar frei laufen lassen.
„Hundetraining ist immer auch Menschentraining“
Von da an hat sich Sarah brennend dafür interessiert, wie es überhaupt möglich war, diese Veränderung bei Happy herbeizuführen. Begeistert hat sie noch mehr Bücher gelesen und noch mehr Kurse besucht, die sich vor allem der Körpersprache der Hunde widmeten. Diese lesen zu können, ist schließlich der Schlüssel zur Kommunikation zwischen Mensch und Tier. Denn davon ist Sarah völlig überzeugt: „Nicht das Tier ist das Problem, sondern vor allem der Mensch. Wir Hundehalter:innen sind es, die ihren Tieren nicht erwünschte Verhaltensweisen antrainieren, oft, weil wir ihre Körpersprache und ihr Wesen nicht verstehen. Schaffen wir es, richtig zu kommunizieren, läuft dies beiderseitig ab und wir können auf viele Kommandos verzichten, wenn wir uns nur so bewegen, dass der Hund weiß, was wir von ihm wollen oder auch nicht. Hundetraining ist immer auch Menschentraining.“
Auch durch die Hundeschule hat Sarah erfahren, wie schön es ist, wenn mehrere Hunde auf einem Haufen sind. Wie sie sich gegenseitig ausgleichen können, wie anders sie sich zeigen, wenn sie in ihrem „Rudel“ nicht der einzige Vierbeiner sind. So kam es, dass 2016 Roxy, die Jack-Russel-Terrier-Hündin mit den Stehohren, ins Haus kam. Happy war gleich happy mit der neuen Mitbewohnerin, die damals zweijährige Hündin akzeptierte den kleinen Welpen auf Anhieb. Ein Jahr später, nachdem auch Roxy fleißig zur Hundeschule gegangen war, beschloss Sarah, die Hundetrainerausbildung zu machen. In München beschäftigte sie sich bei Teamtraining Mensch-Hund mit den Grundlagen des Hundetraining, mit körpersprachlichen Arbeiten und beglückt sich seitdem laufend zu ganz unterschiedlichen Themen. Auch ihr Partner ist gern mit dabei, unterstützt sie und ist für die Hunde da, wenn Sarah mal allein unterwegs ist.
Schon kurz nach ihrer Ausbildung begann Sarah, in der Hundeschule in Stammham mitzuarbeiten, gab selbst ihre ersten Stunden und Kurse. Währenddessen kam auch noch Michel in ihr Leben. Der heute fünfjährige Border-Collie-Mischling stammt aus dem Tierschutz, wurde von seiner ersten Familie abgegeben, da sie nicht mehr mit ihm zurechtkamen. Michel schnappte und verteidigte sein Futter über die Maßen. Welche Erfahrungen ihn zu diesem Verhalten geleitet haben, darüber kann Sarah nur spekulieren. Wichtig ist für sie heute nur noch, dass sie ihn mit Liebe und Geduld auf einen friedlichen Weg gebracht hat – und nicht nur sie: „Die Mädels hatten ihn sofort im Griff. Happy und Roxy sind in ihrem Wesen sehr stabil, dadurch konnten sie ihn gut beruhigen.“ Sarah bezeichnet Michel als richtigen Clown, passend zu seinen Namen, der von einem gewissen Buben aus Lönneberga stammt.
Verstehen können, was der Hund sagt
Zu Beginn der Pandemie beschlossen die ehemaligen Besitzer:innen der Hundeschule schließlich, in den Norden zu ziehen. Sarah ergriff die Gelegenheit und übernahm mit Kerstin 2020 die Stammkund:innen, startete ihre eigene Hundeschule namens Die Hundespezl. Der Name sagt alles – er drückt die freundschaftliche Verbundenheit zwischen Mensch und Tier aus, verdeutlicht eine gewisse Augenhöhe. Sarah hat in ihrer zweiten Berufung, die sie neben ihrer Vollzeitstelle als Streetworkerin ausübt, schon viel erlebt. Oft vermenschlichen die Besitzer:innen ihre Tiere, lieben sie über alle Maßen und reagieren dann doch mit Strenge auf ungewünschte, jedoch selbst forcierte Verhaltensweisen. Das ist heute ihr oberstes Ziel: das Verständnis zwischen Mensch und Hund fördern. Sarah gibt zu, dass sie den Hunden stundenlang einfach nur zuschauen könnte. Besonders am Herzen liegt ihr das Körperspracheseminar: „Es gibt doch nichts Schöneres, als zu verstehen, was mein Hund gerde wirklich sagt.“
Nur ein halbes Jahr später war der Zulauf so groß, dass Kerstin inzwischen ihren Hauptjob gekündigt hat und zusätzlich drei Mitarbeiter:innen auf geringfügiger Basis angestellt sind. Die Kund:innen kommen von überall her – aus dem ganzen Landkreis Rottal-Inn, aus Altötting und Mühldorf. Sarah sieht den Grund für die hohe Nachfrage auch bei den „Coronahunden“. Allüberall haben sich damals viele Leute einen Vierbeiner zugelegt, um das Spazierengehen attraktiver zu gestalten und vielleicht das Alleinsein daheim zu verschönern. Mit den neuen Familienmitgliedern kamen aber auch die ungeahnten Herausforderungen – schließlich ist ein Tier ein lebendiges Wesen, das sich meist nicht ohne weiteres einfügt und wie ein Kind eben auch einen sicheren, klaren Rahmen braucht.
Einzigartig im Umkreis: die Raufergruppe
Die Hundespezl bieten Gruppenstunden an, aber auch Einzelstunden auf dem Platz, machen Hausbesuche, gemeinsame Gassirunden – und behalfen sich in ihrer Anfangszeit während den Corona-Einschränkungen mit Online-Beratungen. Dazu gab es kontaktloses Welpenspiel – die Besitzer:innen hängten ihre Tiere mit der Leine an den Zaun und wurden ebenso wieder abgeholt. Das Angebot hat sich stetig erweitert: „Heute geben wir viele Einzelstunden und bieten auch den so genannten Social Walk an. Das sind Trainingseinheiten, um die Tiere mit ihrer Umwelt zu sozialisieren. Wie gehen sie gut an der Leine? Wie gewöhnen sie sich an einen Maulkorb? Wie reagieren sie auf Radfahrer oder andere Hunde?“ Einzigartig im Umkreis ist die so genannte Raufergruppe: Hier dürfen Hunde mit Aggressionsproblem mit Maulkorb in geeigneten Konstellationen und unter Anleitung kommunizieren und so ohne Verletzungsgefahr herausfinden, was sozial angemessen ist. „Sehr spannend ist das zu beobachten,“ sagt Sarah. „Auch wenn es wild aussieht, würden sich die Hunde in den meisten Fällen nicht verletzen.“ Durch diese besondere Gruppe und freilich zusätzliche Einzelstunden hat schon mancher Hund seine Aggressionen in den Griff bekommen.
Zu Unrecht haben die soeben erwähnten Maulkörbe oft ein schlechtes Image, findet sie. Darum bieten die Hundespezl auch extra Maulkorbberatung an und bauen diese um, damit sie optimal passen, der Hund damit trinken, hecheln und auch bellen kann. „Jeder Hund sollte einen Maulkorb kennenlernen, zum Beispiel auch für Tierarztbesuche. Mit Maulkorb sind viele Menschen entspannter und übertragen das auch gute Weise auf ihre Hunde. Das gilt auch für die Leine. Je entspannter ein Mensch die Leine in der Hand hat, je weniger auf Zug geht, desto lässiger ist auch der Hund.“ Hier werden Ängste auf direktem Wege weitergegeben, was wiederum wenig förderlich für ein gutes Miteinander ist. Was Hunde brauchen, ist eine klare Führung ihrer Herrlis und Fraulis. Sarah selbst lässt ihre Hunde schon mal gerne frei laufen, genießt es aber auch, sie an der Leine zu haben: „Dadurch sind wir eine schöne Einheit.“
„Mit Tieren bin ich geduldiger“
Ihre eigenen Hunde hat Sarah auch in der Hundeschule meistens mit dabei, „da kann ich mal was vorzeigen. Was auch nicht immer klappt.“ Sarah lacht und streichelt Willi, den Besuchshund, einen schwarzen Flat Coated Retriever, der sich gemütlich in die Runde einfügt. Gerne erzählt Sarah mehr von ihrem Erfahrungsschatz aus gleich zwei Bereichen: „Das Sozialpädagogik-Studium kommt mir auch als Hundetrainerin zugute. Ich weiß, wie ich gut beraten und Gespräche führen kann, so dass mein Gegenüber etwas annehmen kann.“ Zugute kommt ihr mit Sicherheit außerdem ihre innewohnende Geduld, die sie auch anderen beibringen möchte, wie sie sagt. Denn nichts ist wichtiger als ein langer Atem, um die notwendige Konsequenz durchstehen zu können, die es braucht, um ein Ergebnis zu erzielen. Sie lacht: „Wahrscheinlich bin ich oft mit den Tieren geduldiger. Denn Menschen kann man was mit Worten erklären.“
Ein Hundeleben ist heute meist mit zu viel Trubel verbunden, wie Sarah deutlich macht: „Hunde haben ein großes Schlaf- und Ruhebedürfnis – mindestens 18 Stunden am Tag.“ Durch einen lauten und wusligen Familienalltag, Gassigänge, vor allem innerorts und Spielen sind die meisten Tiere fast schon überfordert und können schlecht mit Stress umgehen. Sarah beobachtet das oft bei ihren tierischen Schülern und Schülerinnen, wenn die Konzentrationsphasen allzu kurz ausfallen oder sie gar nicht zur Ruhe kommen können. Zudem ist jeder Hund anders – auch das kann sie schön bei ihren eigenen Tieren beobachten. Darum ist es ihr auch wichtig, mit jedem Hund einzeln was unternehmen zu können.
„Es gibt für jedes Team einen Weg“
Michel zum Beispiel liebt es, zu laufen. Mit ihm macht Sarah Carnicross, ein Zughundesport. Der Mensch trägt dabei einen Bauchgurt, an dem er mit einer elastischen Leine mit dem Hund verbunden ist. „Das lastet Michel gut aus,“ sagt Sarah. Happy hingegen mag gern die Arbeit mit Dummies, kleinen Säckchen, die es zu suchen gilt. Sarah wirft die Dummies oder legt sie aus, der Hund muss an sie rankommen und apportieren. Diese Beschäftigung kommt aus der Jagdarbeit. „Hier kommt Happy voll auf ihre Kosten, aber eben in geregelten Bahnen,“ sagt Sarah mit einem Lachen. Und Roxy? „Sie ist eine Mantrailerin. Sie liebt es, mit ihrer Nase Personen zu suchen.“ Alle drei Hunde mögen das körpersprachliche Longieren, wobei der Hund am Kreis läuft und durch Körpersprache gelenkt wird. Schnell wird klar, dass es für Hunde weitaus mehr sinnvolle und tiergerechte Beschäftigungsmöglichkeiten gibt als nur das Balliwerfen, das eben nicht immer seinen Zweck erfüllt.
Nun wird es Zeit, nach draußen gehen, die Sonne scheint und die drei Hunde haben Lust, ein wenig in der Frühlingsluft herumzuschnuppern. Gleich hinter Sarahs Haus geht’s hinab zum Simbach, da können die Hunde ein wenig herumstrolchen. Michel riecht an allen Büschen und Gräsern, hebt hie und da sein Bein, Hundemädchen Happy tut es ihm auf drollige Art und Weise nach. Und Roxy entdeckt ein Mauseloch, in das sie erst kräftig hineinpustet und dann gemäß ihrer Rasse zu graben anfängt, dass die Erdkrümel nur so fliegen. Das interessiert freilich auch Happy, die eifrig mitmacht. Michel und Willi scheint das nicht zu kümmern, sie warten ab, was sonst noch so passieren wird. Sarah schaut dem Treiben der Hunde froh zu. Als Hundespezl wünscht sie sich: „Es gibt für jedes Team einen Weg. Wichtig ist, nicht zu schnell aufzugeben. Jeder Hund hat es verdient, dass sich sein Mensch mit ihm intensiv auseinandersetzt, um zu verstehen, was er sagen will.“