Gudrun Charlotte Paul und die Freude über ihren neuen Mut
Die Geschichte, die Gudrun Charlotte Paul über sich erzählt, handelt von Mut. Vom Mut einer Frau, die mit 64 Jahren aus sich herauskam, indem sie ihr erstes Buch veröffentlichte. Das war 2020 und seitdem setzt sich diese Geschichte immer weiter fort. Nicht nur, dass Gudrun seitdem bereits ihr zweites Werk ihrer Leserschaft nähergebracht hat, nein. Es folgten viele kleine und große Schritte, die sie immer wieder herausfordern, die Frau zu zeigen, die sie ist. „Ich hab das Gefühl, ich bin seitdem gerader,“ sagt sie, richtet sich unwillkürlich auf und lacht mitreißend. Lassen wir sie anfangen, Gudruns Geschichte von Mut…
Eine Frau mit Klasse
Konzentriert sitzt Gudrun an ihrem Schreibtisch, umgeben von vollen Bücherregalen, die bis zur Decke ragen, vor sich den Laptop. Ihre Finger berühren sie Tasten sachte und flüssig, die Worte aus ihrem Kopf manifestieren sich so wie es sein soll. So wie sie da sitzt, die blonden Haare bis zu den Schultern, die Lippen in vollem Rot, die Brille, die ihrem Gesicht noch mehr Kontur verleiht, dahinter die lebendigen blauen Augen, ihre Kleidung, ihr Schmuck – ja, so wie Gudrun da sitzt, entspricht sie dem Bild einer klassischen Frau, einer Frau mit Klasse. Und nein, das soll keineswegs altertümlich anmuten. Vielmehr ist es ein großes Kompliment, das sagen will: Sie hat ihren Stil, der Anmut und Eleganz ausdrückt und signalisiert, dass es sich bei Gudrun um eine Frau handelt, die weiß, was sie will, die geradlinig, klug und humorvoll ist.
Bestimmt hatte Gudrun diese Klasse bereits, als sie auch noch nicht so genau wusste, was sie eigentlich vom Leben und sich selbst wollte. Damals zum Beispiel, als sie mit 18 Jahren aus ihrem Geburtsort Kassel in ihre erste wirkliche Heimat München kam. „Ich habe mich sehr wohl gefühlt und dachte, ich sei ein Stadtmensch,“ erzählt sie. Bald lernte sie ihren ersten Mann kennen. Die Ehe hielt nicht lange, nahm aber auch kein Ende mit Schrecken. Man war sich einig, dass eine Trennung das Beste sei und jeder ging seiner Wege. „Wir waren ja noch so jung.“
Viel mehr als eine „Arztfrau“
Eine besondere Erinnerung nimmt Gudrun allerdings aus dieser Zeit mit: Die Reihe an Perlweiß-Werbespots, in denen sie als Zahnarztfrau die kosmetische Zahnpasta bewirbt. In den 80ern war das. Über einen Freund ging sie zum Casting, wurde prompt genommen, flog nach Hamburg und genoss es, dort zwei Tage lang vor der Kamera zu stehen. „Ein Tag davon fiel auf meinen Geburtstag. Als ich einen Spaziergang am Hafen machte, bekam ich die Gelegenheit zu einer Sonderfahrt auf der Alster. Das war herrlich,“ sinniert Gudrun und lächelt über das Erlebte. Es folgten Werbespots in Fernsehen und in Print für Margarine, Kosmetik und Schuhe. „Nach Perlweiß war ich in einer Datenbank gelistet. Man meldete sich immer wieder bei mir, da war ich schon im Rottal verheiratet und hatte Kinder. Es war schließlich eine bewusste Entscheidung, aufzuhören. Das war eine tolle Zeit, in der ich zum ersten Mal in meinem Leben super verdient habe.“ In dieser aufregenden Münchner Zeit hatte Gudrun oft mehrere Jobs, weil sie gern und viel arbeitete. Unter anderem pries sie Arztpraxen Computer an, die das organisatorische Leben vereinfachen und wirtschaftlicher machen sollten.
Schließlich kam der Tag, an dem sich so vieles für Gudrun verändern würde. Gerade eben war sie von einer Reise nach Rom zurück nach München in die WG gekommen, die sie sich mit einer Freundin teilte. Diese Freundin feierte Gudruns Rückkehr mit einer kleinen Feier, zu der auch ein gewisser Clemens Paul eingeladen war. „An diesem Abend stand fest: Wir gehören zusammen,“ erzählt Gudrun mit tiefem Glück in den Augen. „Schon eine Woche später sprachen wir darüber, wann ich bei ihm in der Praxis anfangen und wann ich nach Niederbayern ziehen wollte.“ Aus Gudrun wurde ein Landmensch, als sie 1991 mit Clemens ins Rottal zog. „Der Anfang in Niederbayern war nicht schön,“ erinnert sich die heute 65-Jährige. „Ich hab mich anfangs überhaupt nicht wohlgefühlt und es war schwer, in Freundes- und Bekanntenkreise vorzudringen. Oft war ich zuerst die Arztfrau.“
Model, Organisatorin, Mama
In der Augenarztpraxis Dr. Paul war es nicht einfach, Fuß zu fassen, doch das änderte sich bald. „Manche Leute sprachen mich manchmal mit Frau Doktor an, das hat mich irritiert und war mir peinlich,“ gibt Gudrun zu. Sie wollte schließlich als mehr wahrgenommen werden, als „nur“ die Frau, die sich einen Arzt geangelt hatte, wie ihr mehrfach und nicht nur durch die Blume vermittelt wurde. Dabei war sie diejenige, die bald unersetzlich sein sollte: In zahlreichen Fortbildungen bildete sie sich weiter und arbeitete in der Praxis ihres Mannes. „Was Neues anfangen fand ich schon immer gut,“ sagt Gudrun. Bis heute schaut sie, dass sie technisch immer am Ball bleibt – in der Praxis und privat.
Im zeitigen Frühjahr wird sich das ausschließlich aufs Privatleben beziehen, denn dann ist es für sie und Clemens an der Zeit, sich von der Praxis zu verabschieden. Ein Nachfolger ist bereits gefunden, alles bleibt in trockenen Tüchern. Während ihr Mann sich schon vorher verabschiedet, bleibt Gudrun noch ein Weilchen, damit Organisation, Qualitätsmanagement, Buchhaltung und all die anderen Kleinigkeiten einen weichen Übergang finden. „Wir waren und sind ein tolles Team,“ reflektiert sie.
Ja, und mitten in all der Arbeit gründeten Gudrun und Clemens ja auch noch eine Familie! „Carolin ist heute 28 und Christoph 25 Jahre alt. Wir waren und sind begeisterte Eltern,“ bekennt Gudrun und erzählt eine Reihe an Anekdoten, die das Gesagte unterstreichen. Die Elternschaft, der Beruf, in all dem war und ist sie gut, das weiß sie mit dem Kopf auch. Und doch nagten immer Zweifel an ihrer Richtigkeit, ihrem Platz in der Gesellschaft und bei sich selbst. „Dadurch, dass ich kein Vereinsmensch bin, hatte ich es nicht einfach, im Rottal unter Gleichgesinnte zu kommen. Das war schwierig für mich als eine, die Menschen mag.“ Sie lacht, als sie an ein Erlebnis denkt: „Da hat mich eine Frau von unten angeschaut und bemerkt: ‚So grouß san mia do fei ned!'“ Und nun?
Ein neues Hobby mit 64
Ja – und nun! Nun sind die Kinder aus dem Haus, machen wohlgeraten ihr eigenes Ding und die Zeiten des Elternbeirats, dem sie 13 Jahre lang beiwohnte, gehören längst der Vergangenheit an. Der Ruhestand ist in nicht allzugroßer Ferne erkennbar. Ruhestand! Ein echtes Unwort, wie Gudrun findet. Ach, ihr Lesekreis ist da noch, den sie bald nach ihrem Eintreffen im Rottal mitgegründet hat, weil sie ihren ersten in München vermisste. Seit 30 Jahren existiert er und die Bücher, die sie mit ihren Mitleser:innen durchgeschmökert hat, füllen ganze zwei Regale. Und da ist auch noch der Sport, dem sie regelmäßig und gern nachgeht. Laufen, das ist ihres, ganz für sich selbst, weil: „Ich bin kein Wettkampftyp.“ Abends sitzt sie mit Clemens gern in den gemütlichen Sesseln in ihrem Privatbereich, da, wo auch der Schreibtisch steht. Dann reden sie über den Tag und das Leben und lesen. Gudrun liest englische Originale, „um was für den Kopf zu tun und um die Sprache besser zu beherrschen. Ich mache aktuell einen Onlinekurs. Immerhin ist mein zukünftiger Schwiegersohn Südafrikaner.“
Nach vielen, vielen gelesenen Büchern entdeckte Gudrun schließlich das Schreiben von Romanen für sich. „Geschrieben habe ich schon immer. Schon vor 50 Jahren entstanden meine ersten Gedichte. Später kamen Kurzgedankenstücke dazu. Und eines Tages wollte ich selbst wissen, wie es mit so einer Geschichte weitergehen könnte,“ erzählt sie. Also legte sie los. Inspiriert fühlt sie sich von der britischen Autorin Georgette Heyer, deren Bücher ihr über schlechte Zeiten hinweg geholfen haben. „Ihre Bücher waren meine Stütze,“ sagt sie und fügt hinzu: „Ich will auch Bücher schreiben, die gut tun, von Liebe handeln und ein gutes Ende nehmen.“ Ja, 64 Jahre musste sie werden, um dieses neue „Hobby“ für sich zu finden, aus dem sie so viel neue Kraft schöpfen würde.
Der Reiz des Neuen
So ersann sie Figuren, die für sie zu richtigen Personen wurden. Sie recherchierte zu historischen Epochen, geografischen Merkmalen, Kultur und Spiesen, ließ Landschaften und Kulissen entstehen. Sie spann eine Geschichte, schmückte sie aus, fühlte sich in Dialoge ein und lehnte sich an die Sprache vergangener Zeiten. Um am Ende ihren ersten Roman „Emmy findet ihr Glück“ in Händen zu halten. Den ersten Band einer Trilogie, deren Schauplatz England ist. Warum England? „Ich liebe die Region einfach!“ All das geschah im Jahr 2020, nachdem sie eine Lektorin sowie den Rottaler Verlag „Basic Erfolgsmanagement“ gefunden hatte. „Egal, wie alt man ist, man kann immer was Neues anfangen,“ ist Gudrun überzeugt. „Das war definitiv ein Höhepunkt für mich – mit 64 mein erstes Buch in die Öffentlichkeit zu bringen.“
Da ist es wieder, das Neue, das sie ihr Leben lang reizt. Seit der Veröffentlichung sieht sich Gudrun immer wieder mit Neuem herausgefordert, das ihren Mut prüft. Ganz, als ob sie sich immer wieder ein Stück weit selbst beweisen müsste, ob sie es auch wirklich ernst meint mit ihrer neu gelebten Seite. Erste Lesungen taten sich auf, dann natürlich: Der zweite Band mit dem Namen „Jake kämpft um sein Glück“. Gudrun blieb beim Verlag, wechselte jedoch die Lektorin und entschied sich für mich, Eva Müller, diese Aufgabe zu übernehmen. Es folgten weitere Lesungen, darunter im Glasbau in Pfarrkirchen. Und eine Einladung in die ORF-Talkshow von Barbara Karlich zum Thema Traumerfüllung. „Manchmal ist es ganz schön anstrengend, immer wieder den Mut für Neues aufzubringen,“ gibt Gudrun zu.
Ganz zarte Pünktchen…
Anstrengend – aber auch wohltuend für sie zu sehen, wie sie sich auch mit 65 Jahren noch weiterentwickeln kann und erstmals in ihrem Leben ihren „inneren Kern“ fand, wie sie sagt: „Eigentlich bin ich ein sehr ängstlicher Mensch. Umso mehr freut mich das alles.“ Mut, Selbstsicherheit, Stärke, Selbstvertrauen – lauter Entdeckungen in ihrer Persönlichkeit, über die sie jeden Tag staunen kann. Wenn es nach den Lesungen wieder ein wenig ruhiger wird, freut sich die Jungautorin darauf, sich auf den dritten Teil der Reihe zu konzentrieren. „Diesmal steht eine weitere, bereits aus den anderen Teilen bekannte Figur im Mittelpunkt,“ verrät sie. „Und ja, das alles hat auch was mit meinem Leben zu tun. Aber nur ganz zarte Pünktchen.“ Mehr sagt sie nicht dazu, muss sie auch nicht, weil verständlich ist: Es lässt sich nur über die eigenen Gedanken schreiben – egal, ob fiktiv oder autobiografisch.
Ein gelungener Tag sieht für Gudrun so aus: Zeitiges Aufstehen. Der Genuss, lang zu frühstücken. Übers Schreiben nachdenken, um daraufhin zur Tat zu schreiten. Jeden Tag eine halbe Stunde schreiben. So lautet Gudruns Vorsatz. „Meistens wird es dann länger, wenn ich drin bin. Aber die Richtlinie brauche ich, um mich in Disziplin zu üben. So kann ich mich schreiberisch weiterentwickeln – und das muss nie enden. Das ist das Tolle daran. Ich habe so viel Fantasie in mir, da fällt mir immer was ein.“
„All das gibt mir viel Selbstvertrauen“
Gedichte sprudeln zwischendurch ganz spontan aus ihr heraus. Und auch, wenn bei ihren Romanen oder Kurzgeschichten der Grundplan vorhanden ist, führen sie ihre Gedanken und Ideen auch spontan ganz woanders hin, woran sie zunächst gar nicht dachte. „Die deutsche Sprache ist so geeignet dafür, etwas zu beschreiben,“ findet Gudrun und kommt ins Schwärmen. „Ich mag Wörter und beschäftige mich gern mit ihnen. Es ist großartig, immer noch seinen Sprachschatz zu erweitern.“ Hat sie ihr Tagespensum geschafft, widmet sie sich anderen geliebten Tätigkeiten und beschließt den Abend gern mit ihrem Mann in den gemütlichen Sesseln, um dann gerne früh zu Bett zu gehen. Halb zehn, zehn, später wird’s nicht.
So erzählt Gudrun aus ihrem Leben, aus ihrem Alltag, von ihrer neu gewonnenen Stärke. Sie resümiert: „Mein Mann, meine Kinder, mein Buch – all das gibt mir viel Selbstvertrauen.“ Es duftet nach Büchern, der Laptop summt leise, Gudrun schaut in Gedanken in die Ferne. Um ihren Mund spielt auch jetzt wieder ein kleines Lächeln, ein wenig verschmitzt und verspielt, ganz so, als hätte sie gerade wieder einen Einfall, der gleich niedergeschrieben werden möchte. Doch sie klappt den Laptop zu, streicht mit der Hand über den Deckel, nickt, lächelt bestimmt und sagt: „Es lohnt sich wirklich, den Mut dafür aufzubringen. Jeder soll sich seine Wünsche erfüllen.“