Marlies Resch: Vom Zauberberg, Rosa Laub und Flokati…
Lange war ich nicht in der Dreiflüssestadt, stelle ich fest, als ich an diesem Nachmittag unter der Woche durch Passau fahre und am Klostergarten einen Parkplatz finde. Hinter dem Uni-Copy-Shop versteckt sich der Zauberberg, der Live-Musik-Club mit Marlies Resch als Geschäftsführerin vorn dran. Mit ihr bin ich verabredet, ihr Partner, Techniker und Allrounder Christoph Danböck öffnet die Tür, die Prager-Rattler-Hunde Aaron und Betty begrüßen mich ebenfalls. Links neben dem Zugang zur Location finde ich Marlies im Wintergarten, Büro, Lager, „hier leben wir untertags,“ wird sie später sagen. Jetzt nimmt sie mich herzlich in den Arm und rückt die rotgerahmte Sonnenbrille zurecht, zieht sich den flauschigen Teddy-Mantel über, lässt die langen Haare drüberfallen. Ihr geblümter 70er-Overall ist wie für sie gemacht an diesem sonnigen Tag und natürlich zieht sie die Blicke auf sich, als wir rüber ins Farmstead auf einen Kaffee gehen.
Die Student:innen sind zurück, in der Stadt ist ordentlich was los und ich stelle fest, dass mich die lange Zeit der Enthaltsamkeit entwöhnt hat, was so viele Menschen angeht. Marlies selbst ist schon wieder mittendrin und heilfroh, dass die „alte Normalität“ wieder da ist, wie sie sagt. Für den Zauberberg, für’s Rosa Laub Festival, aber auch für ihre Grunge-Rock-Band Flokati war die Corona-Zeit hart. Und auch, wenn wir uns mit dem Thema eigentlich nicht zu lange aufhalten wollen, ist es nicht wegzuschweigen, grade nicht für eine Kulturschaffende.
„Da hab ich meinen rosa Koffer gepackt“
Die 33-Jährige bestellt einen Cappuccino, dreht sich eine Zigarette, schaut beim Erzählen den vielen Leuten beim Vorbeigehen zu. Vor vier Jahren haben wir uns zum ersten Mal getroffen, bei ihr daheim in Vornbach am Inn im Gasthaus Resch, wo sie mit Christoph und den Hunden lebt und aktuell nur schläft. „Ich hab mir schon als kleines Kind gewünscht, in einem Wirtshaus groß zu werden,“ hat Marlies damals erzählt. Ihr Wunsch ging mit neun Jahren in Erfüllung, als die Mama den Wirt Woife kennenlernte. „Da hab ich meinen rosa Koffer gepackt und wir sind hergezogen. Das war genau das, was ich gebraucht hab. Ein Dorf mit Kindern, Weihern, Natur und viel Freiheit.“
Den Stadt-Land-Kontrast weiß sie heute sehr zu schätzen – auch, weil sie überall hin ein Stück Kultur leben und geben kann. In Passau war sie schon jahrelang sehr aktiv im Musikförderverein, bis sie schließlich vor vier Jahren mit Mitstreiter:innen den Zauberberg erweckte – eine einstige Disco, die schon lange Jahre still stand. Zu wenig Locations für zu viele spielwillige Bands gab es damals in Passau. Nun haben sie einen Platz und Marlies und ihr Team freuen sich, auch überregionale Bands in ihren Club auf der Bühne zu begrüßen. „Heuer ist’s schwer, Headliner zu kriegen,“ sagt sie und nippt an ihrem Cappuccino. „Die sind alle verbucht und müssen noch sämtliche geplatzte Konzerte nachholen.“
Dafür freut sie sich schon ordentlich auf’s Rosa Laub Festival, benannt nach der Figur einer Rockoper, heuer wieder mit Zelten ringsherum und Duschen am Dorfplatz. 2021 hat sie ihr längst etabliertes kleines Festl trotz sämtlicher Auflagen gefeiert, mit Sitzpflicht und Masken und ohne vieles. Grade deswegen, grade um zu zeigen, wie wichtig kulturelles Engagement auch in diesen Zeiten ist und dass es die Bands ja trotzdem gibt, auch wenn sie kaum hör- und somit kaum wahrnehmbar waren. Sie lächelt mit dem ganzen Gesicht, als sie sich vorstellt, wie das heuer wieder sein wird, zum neunten Mal ihr Rosa Laub Festival, immer im Sommer, immer im Hof in Vornbach, mit großer Bühne und kleinem Zelt, mit Kinderprogramm und gutem Essen und Trinken, mit Lampions und Girlanden in der großen Linde, mit lieben Menschen, groß und klein, mit Helfern aus dem ganzen Dorf, ohne die das alles gar nicht zu stemmen wäre. „Ich wollte einfach ein schönes Festl machen. Ein Pendant zum Bierzeltfest mit coolen Bands. Anfangs hab ich das mehr für mich selbst ausgerichtet,“ sagt sie. Noch ohne zu wissen, wie sehr es die Leute lieben würden.
Eine schöne Zeit auf dem Vornbacher Festival
Heuer werden es die Leute auch lieben, da ist sie sich sicher. Sie sieht zwei Bewegungen nach dieser Zeit: Die einen sind kaum mehr aus dem Haus zu kriegen, die anderen hungern regelrecht nach dem Leben draußen, nach Konzerten, Menschen, gemeinsamen Erlebnissen. Dem Rosa Laub Festival sieht sie aber durchwegs positiv und selbstbewusst entgegen: „Die Leute kommen, weil sie wissen, dass gute Bands spielen und sie eine schöne Zeit haben werden.“
Marlies selbst weiß genau, wovon sie spricht. Sie ist Frontfrau von Flokati. Schon mit 14 Jahren hatte sie ihre erste eigene Band, die sich Incredible Despair nannte und coverte, aber später auch eigene Nummern ins Repertoire aufnahm. Ihre Liebe zu Kultur und Musik hat sie von der Mama vorgelebt bekommen, einer Kunst- und Musiklehrerin, die selbst auch immer in Bands spielte und dazu riesengroße Bilder malte. „Mama war Vorbild für mich und ich war immer stolz, sie auf der Bühne zu sehen,“ sagt Marlies. Sie selbst bekam immer zu hören: „Mach das, was Dir Freude macht.“ Dieses Vertrauen und diese geschenkte Freiheit weiß Marlies bis heute zu schätzen.
Nach der Realschule und Kunst-FOS in Straubing war ihr schon klar, dass ein „normaler“ Job nichts für sie war. Das blieb auch nach dem Studium der Innenarchitektur in Rosenheim so, nach handwerklichen Kursen in Holzbearbeitung und Schweißen. Heute baut sie gern Dinge selbst, sei es eine Lampe oder ihre Küche. Als freie Innenarchitektin folgte sie nochmal den Ruf der Mama, was „Gscheids“ zu machen und begann ein Architekturstudium in Wien. Nach zwei Semestern war Schluss damit, Marlies erzählt knapp und berührt von einer schwierigen Zeit, vom Wunsch, nach Nichtsmüssen, nur dürfen.
„Christoph ist ein krasser Unterstützer“
Und wenn aus dem Dürfen ein Wollen wird, dann ist er wieder da, der Lebensgeist, der beflügelt und wieder Neues möglich macht. Damals in Vornbach, da hat Marlies mehr von ihrer Kindheit erzählt, die auch erklärt, woher sie den Mut nimmt, einfach zu machen, sich für ihre Herzensangelegenheiten so einzusetzen. Da gibt es die Oma, die auch wie eine Mama für sie ist. Die Oma und die Mama sieht Marlies heute aus der Perspektive der Erwachsenen, sie sieht und schätzt, wie sehr sich die Generationen unterstützt haben, sieht, was ihre Mama geleistet hat. Damals, als Alleinerziehende, als sie für Marlies da war und dann auch noch das Lehramtsstudium durchgezogen hat, neben den Musikstunden, um finanziell über die Runden zu kommen.
„Komm wieder, wenn’s dunkel wird,“ sagte die Mama zu ihrer Tochter, als Marlies in Vornbach das wilde, freie Leben genoss. Ja, dieses Vertrauen hat sie geprägt. Das hat es ihr wohl auch ermöglicht, immer ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. So, wie sie sich mit 18 vom Woife adoptieren ließ und dann erst Resch hieß. „Der Woife ist auch mein Papa, ein herzensguter Mann,“ sagt Marlies. Ihren leiblichen Papa hat sie mit ihrer Volljährigkeit kennengelernt. Da hat er den Kontakt zu seiner Tochter gesucht, wollte ihr was schenken. Seitdem treffen sie sich einmal im Jahr.
„Christoph ist ein krasser Unterstützer,“ hat sie damals auch gesagt vor vier Jahren. Das hat sich nicht geändert und Marlies sieht den Mann an ihrer Seite auch nach sieben Jahren noch so an. Der Zauberberg, das ist ihr gemeinsames Ding, hier treiben sie alles miteinander voran, durchdenken dieselben Gedanken, planen, setzen um, sie sind Ermöglicher und Teilhabende. Das gilt auch für’s Rosa Laub Festival. Die beiden schaffen Stimmungen als Gastgeber:innen, vielleicht ist das auch das Ding einer Innenarchitektin, vielleicht geschieht es aber auch aus einer zutiefst liegenden Überzeugung.
„Auf der Bühne kommt mein Freak heraus“
Ja, und dann ist da noch Flokati, die Band, die es seit 2017 gibt, die parallel zum Zauberberg und auch mit Christoph entstanden ist. Sie die Frontfrau, er am Schlagzeug, der Rest der Besetzung hat sich gewandelt, heute sind sie zu viert mit Marcel an der Gitarre und am Mikrofon sowie Matthias am Bass und ebenfalls am Mikrofon. Marlies dreht sich noch eine Zigarette, ruhig und bedächtig, aber ihr geblümter Overall verrät schon ein wenig, dass sie sich zeigen kann. Und das tut sie auf der Bühne. Bei meinem ersten Flokati-Konzert konnte ich die Augen nicht von ihr wenden, so sehr hat mich ihr Auftritt fasziniert. Im Bogaloo war das, das es heute nicht mehr gibt. Im kurzen Glitzerkleid schwang sie ihre langen Haare und den ganzen Körper, bog sich, sang in allen Tonlagen ihre Texte, dazu der satte, tiefe Sound der Band, ihre Interaktion mit den anderen, für sich, für’s Publikum, das Innerste nach außen.
„Auf der Bühne kommt mein Freak heraus, da scheiß ich mir nix. Das ist für mich wie Fasching, da mag ich ausgeflippte Klamotten,“ sagte Marlies damals und daran hat sich nichts geändert. Live erleben durften das im März die Briten, die Flokati auf ihrer UK-Tour beehrten, „unsere erste Tour überhaupt.“ Via Facebook wurde Promoter Steve auf die Band aufmerksam, seine Vision: Frauen zurück auf die Bühne! Er selbst war in den 80ern jung, eine Zeit, in der es jede Menge weibliche Bands gab. Nun, da es ihm nicht mehr ums Geldverdienen geht, übernimmt er Booking und bietet sein Haus als Schlafplatz an. Einmal im Monat gönnt er sich die Freude, im März also kam Flokati in den Genuss.
Nach zwei Tagen London war Flokati richtig angekommen und bereit für den ersten Gig in Brighton direkt an der Küste in einem kleinen Punkerschuppen voll guter Leute. Es folgten Konzerte in Shrewsbury, Rotherham, Stockport und Harrogate, die vier spielten von Mittwoch bis Sonntag durch. „Das war eine super Erfahrung, als unbekannte deutsche Band so gut angenommen zu werden,“ erzählt Marlies. Am 8. Mai 2022 erschien ihr erstes Album mit dem klingenden Namen „Cutting no Age“, was so viel heißt wie „Ich lass nix aus“. „Wir entwickeln uns grad schnell, es passiert viel, wir sind ein Dreamteam,“ fasst Marlies zusammen.
Geplant: eine Dreiländer-Tour
Am Anfang eines neuen Songs steht meist ein Konzept, ein Thema, zu dem eine Geschichte erzählt wird, textlich und instrumental, mit Einleitung, Höhepunkt, Kehrtwende und vielleicht einem Happy-End, „wie in einem Spielfilm“. Das geschieht gemeinsam. „Manchmal kommt es aber auch vor, dass einer eine Nummer allein schreibt und die dann sofort passt,“ erzählt Marlies und nimmt ihr Smartphone in die Hand, das soeben klingelt. Sie nimmt an, spricht, hört zu, legt auf, kurzes Sorry, kein Problem. Mit Flokati sind heuer noch Festivals geplant, darunter das Free Tree Open Air in Österreich. Dazu die Musiknacht in Passau Ende Mai. Und dann fällt Marlies noch eine ganz wichtige Aktion ein, die sie gerade plant, eine Dreiländer-Tour, Bayern, Tschechien, Österreich. Nicht nur mit Flokati, sondern mit Bands aus den jeweiligen Regionen. Im Herbst soll die grenzübergreifende Tour erstmals stattfinden, für 2023 will Marlies das Ganze größer aufziehen.
„Es ist mir ein echtes Anliegen, Bands zu unterstützen und sie aus dem eigenen Gäu zu holen. Das ist viel Arbeit, die kein Geld bringt, aber trotzdem wichtig ist für mich,“ begründet Marlies ihr Engagement. Ganz leicht ist das nicht immer, die Connections mit Tschechien müssen geknüpft werden, die Sprachbarriere ist nicht zu leugnen. „Wichtig ist es, die Leute in echt kennenzulernen. Nur so lässt sich echt was vorantreiben. Das hat gefehlt in der letzten Zeit.“
Ja, die Leute in echt – die haben auch im Zauberberg eine lange Zeit gefehlt. Keine Bands, keine Gäste, keine Partys, DJ-Abende, kein Kino und kein Theater – nichts von alldem, was es schon gegeben hat im Zauberberg. „Die staatlichen Hilfen waren gut, das ja. Finanziell hatten wir eine sorgenfreie Zeit,“ gibt Marlies zu. Teils von den Unterstützungen organisierte sie eine mobile Bühne, die im Sommer 2021 als Kultur Express mit einem ausgefeiltem Sicherheits- und Hygienekonzept durch Niederbayern zog und lokalen, aber auch überregionalen Bands die Möglichkeit gab, Konzerte zu spielen. Das Presseecho war enorm, Staatsminister Bernhard Sibler konnte sie als Schirmherren gewinnen: „Damit wollte ich zeigen, dass die Szene seriös ist und nicht unter Subkultur abgestempelt werden soll.“ Das Publikum blieb mancherorts bescheiden verhalten. Geschuldet war dies den strengen Hygieneverordnungen bei Veranstaltungen im Freien und teils der Freizeitverlagerung aufs Private.
Flokati • Zauberberg Livesessions – YouTube
Auch geplant: „Passau meets Munich“
Die regelmäßige Änderung der Auflagen verunsicherte beide Seiten – die der Gäste und auch die der Veranstalter. Marlies erinnert sich mit Grausen an die Zeit nach Mai 2021, als der Zauberberg zwar wieder öffnen konnte, aber unter strengsten Auflagen: Die Gäste mussten sitzen, Masken tragen und Abstand halten. Verantwortlich für die Einhaltung war sie und ihr Team: „Wir waren gezwungen, das durchzuziehen, obwohl wir ja eigentlich dem Gast nicht sagen wollen, was er darf und was nicht.“ Marlies hatte ständig Angst vor Kontrollen und ist heute so glücklich, dass alle Maßnahmen gefallen sind – „dem Team und den Gästen geht es ebenso.“
So fällt es auch leichter, weiter zu planen, egal, wie sich die Lage Richtung Herbst entwickelt. Für den 28. Januar 2023 hat Marlies das Feierwerk in München klargemacht, unter dem Namen „Passau meets Munich“ soll dem Namen alle Ehre gemacht werden. „Im ländlichen Raum gibt’s mehr Rockbands, in größeren Städten mehr Popbands,“ stellt Marlies fest. „Als wir damals in München waren, haben sich die Städter sehr gefreut, mal was anderes zu hören und zu sehen.“
Dass Passau was zu bieten hat, ist spätestens nach dem Projekt „Sounds like Passau“ klar: Um in der schwierigen Zeit die Bands zu unterstützen, hat Marlies und ihr Team mit den staatlichen Hilfen noch was Ordentliches auf die Beine gestellt. Eine Live-Show mit eingespielten Konzerten sämtlicher Passauer Bands bot und bietet den Zuschauer:innen Musikgenuss verschiedenster Genres. Auch auf CD ist das Projekt festgehalten. „Schön auch die Zusammenarbeit mit dem Team des Café Museum, das uns ihr technisches Equipment geliehen hat,“ erinnert sich Marlies.
Rosa Laub Festival 2022 Trailer – YouTube
„Einfach alle an einen Tisch!“
Fest steht, dass in den letzten Jahren viel passiert ist in der Kulturszene: „Wir haben ständig was gemacht, weil wir was voranbringen und die Bands unterstützen wollen. Manche Bands haben sich aufgelöst, aber parallel hat sich Neues entwickelt.“ Marlies trägt einen großen Wunsch in sich und es ist ihr merklich anzusehen wie ernst es ihr ist: „Die Veranstalter sollen mehr zusammenarbeiten und sich gegenseitig helfen. Soll es nicht darum gehen, wie man das Leben für alle schöner machen kann? Einfach alle an einen Tisch, dann wird das was.“ Und sie ist noch nicht fertig: „Die Bands sollen das auch tun! Ich finde es nicht schön zu sehen, dass manche ihr Konzert spielen und dann einfach abhauen, ohne den Bands nach ihnen zuzuhören.“
War da noch was? Marlies steht auf, schaut sich um, da, das große Blumenbeet passt doch ideal zu ihrem Overall. Mit den Stiefeln tappst sie zwischen den Stiefmütterchen und Gänseblümchen herum, zieht den Teddy-Mantel aus, „Wie soll ich schauen, was soll ich machen?“ Sie dreht sich ein paar Mal im Kreis, streckt die Arme aus, zieht wieder die Blicke auf sich, bemerkt sie es nicht oder ist’s ihr egal? „Meine größte Angst war es, einen Job zu haben, in dem ich mich nicht ausleben kann,“ sagt sie und lacht. „Es war tatsächlich ein langer Kampf, alle Sicherheiten über Bord zu werfen. Aber was hat man schon zu verlieren, wenn einem materielle Dinge oder Urlaub nicht wichtig sind?“ Eben. Und wenn die Blumen überall blühen, die Sonne scheint und sich die Zeiten wandeln.