Matthias Sailer: Ein Braumeister zwischen Chiemgau und Rottal
Der Kronkorken schnappt auf, Matthias Sailer hält das kleine Glas ganz gerade, gießt die goldene Flüssigkeit hinein, es schäumt kräftig. Unten ein paar Zentimeter Bier, der Rest bis obenhin voller Schaum. Matthias schaut zufrieden drein. „Schaut gut aus,“ sagt er. Was der Laie als „schlecht eingeschenkt“ bezeichnen würde, ist die ganze Freude eines Braumeisters. Und ein solcher ist Matthias.
Vom Deutschreferat zum Beruf
An diesem Samstag sitzt er auf einem Bankerl in Dobl bei Bayerbach. Eins seiner liebsten Plätze – so schön still ist es da. Die Zeit unter der Woche verbringt er in Traunstein, hauptsächlich im Hofbräuhaus, seinem Arbeitsplatz. Der 31-Jährige pendelt gern zwischen Nieder- und Oberbayern hin und her. Gründe dafür gibt es gute: Im Rottal leben seine beiden Töchter, hier sind seine Freunde, die er schon seit der Schulzeit kennt und außerdem kickt Matthias für den SV Bayerbach. Und im Chiemgau hat er außer seiner Arbeit seine Freundin.
Matthias trinkt einen Schluck vom Hellen, das er selbst gebraut hat – es schmeckt. „Ein Helles, ein Pils oder ein Heller Bock – ich mag viele Biere,“ sagt er. Und schon ist er drin in seinem Thema, das seine Faszination damals in der neunten Klasse Realschule geweckt hat. In Deutsch musste er ein Referat halten, über irgendwas. Matthias hat sich für „Bier“ entschieden, sich erstmals näher damit beschäftigt, als nur ein paar Halbe mit seinen Spezl zu trinken.
Kößlarner Weißbräu: „Eine reine Glückssache“
„Mir hat das gefallen. Bier ist eine Wissenschaft für sich. Der ganze Brauvorgang ist hochkompliziert – und obwohl es immer dieselben Zutaten sind, können ganz unterschiedliche Produkte entstehen“ sagt er. Bei der Brauerei Aldersbacher hat er ein Praktikum gemacht und beim Kößlarner Weißbräu schließlich eine Ausbildungsstelle zum Brauer gefunden. „Das war eine reine Glückssache,“ erinnert sich Matthias. Nach dem ersten Lehrjahr durfte er allein im Sudhaus brauen. In der kleinen Brauerei geht noch alles per Hand vonstatten, „da hab ich viele kleine Kniffe gelernt.“
Nach zweieinhalb Jahren war Matthias Brauergeselle, gerade mal 18 Jahre alt – und nach einem kurzen Ausflug in eine österreichischen Brauerei arbeitslos. „Ich hab mich in ganz Altbayern beworben. Nach Franken wollte ich nicht, die haben kein so gutes Bier,“ sagt Matthias und lacht. Obwohl in seinem Zeugnis nur Einser standen, hatte er keine Chance. Deshalb die Überlegung: Warum nicht gleich Braumeister werden? Aus der Not heraus ging er an die Meisterschule in Gräfelfing, die Doemens Adakemie, und ließ sich in einem Jahr Vollzeit die hohe Kunst des Bierbrauens beibringen.
Bewerbungsgespräch bei Schnitzel und Maß
Derartig qualifiziert drohte schon wieder die Arbeitslosigkeit. Viele kleine Brauereien haben aufgegeben in den letzten Jahren, Braumeister gab es zur Genüge. Doch das Hofbräuhaus Traunstein suchte einen Produktionsleiter und wollte ausdrücklich einen Schulabgänger. „Bei einem Schnitzel und einer Maß im Biergarten lief das Bewerbungsgespräch. Die Chemie hat gestimmt und drum bin ich seit 2006 dort,“ sagt Matthias und schaut sehr zufrieden aus. Er schenkt sich den Rest der Flasche ein und schaut in die frühlingsgeladene Landschaft.
Die Sonne scheint kräftig an diesem Apriltag, die Vögel balzen und zwitschern, das Grün ringsum ist unsagbar intensiv, alle heilige Zeiten fährt ein Auto oder ein Bulldog vorbei – und würde das kleine Fleckerl nicht Teufelsloch genannt werden, könnte man glatt meinen, das Paradies wäre haargenau hier. Matthias trinkt aus und schwärmt von seinem Traumberuf weiter: „Ich hatte immer viele Freiheiten, aber auch viel Verantwortung. Und ich darf viel ausprobieren.“ Zum Beispiel den Hellen Bock namens „Oh, Du mein Josef„, der jetzt wieder fest im Sortiment ist.
Der Helle Doppelbock: „Das geilste Bier“
Und einen Hellen Doppelbock gab es zum 400-jährigen Jubiläum im Jahr 2012. Damals kredenzte Matthias mit seinen Kollegen „das geilste Bier, das ich je machen durfte.“ In der Sektflasche kam das edle Bier daher, zugleich war es „lebendig und tiefbayerisch“, wie der Braumeister erzählt. Matthias redet voller Enthusiasmus über seine Berufung, schweift aus, wird aber nie langweilig. Selbstverständlich weiß er, wovon er spricht – und trotz aller Theorie erscheinen die Geschmäcker, die Gold- und Bernsteinfarben und die schäumenden Flüssigkeiten vor dem inneren Auge.
Den Hype der Craft-Biere kann Matthias schon verstehen, ihm selbst sind aber die traditionellen Biere lieber. „Craft-Bier hat Bier wieder als hochwertiges Produkt ins Bewusstsein gerufen,“ meint er. „Bierbrauen ist eine Aneinanderreihung von Veredelungsprozessen.“ Ihn selbst schmerzt es deshalb immer ein wenig, wenn er auf der Getränkekarte sieht, dass Wasser oftmals teurer als Bier ist.
Ein Auto fährt vorbei, Matthias grüßt. Fremd ist er nie geworden in der Heimat – und die Heimat selbst ist ihm auch nie fremd geworden. „Es ist aber gut, wenn man mal rauskommt und was anderes sieht,“ sagt er. Nicht nur, weil es den Horizont sprichwörtlich erweitert, sondern weil das Daheim ganz anders geschätzt werden kann. „Hier vergeht die Zeit langsamer und das ist sehr angenehm. Im Chiemgau sind die Leute umtriebiger,“ sagt Matthias, schnappt sich Bierglas und Flasche und geht zum Auto.
„Die Familie ist das Wichtigste“
In Bayerbach lebt er in einer Dreizimmerwohnung. Ein Zimmer für sich, eins für seine Mädels, eins zum Wohnen und Essen, Küche, Bad. Es ist sauber aufgeräumt, auf dem Tisch stehen Salzstangerl und Weintrauben, an den Wänden hängen Bierwerbetafeln aus Blech aus aller Herren Länder, außerdem verraten Johnny Cash und Bob Dylan Matthias‘ musikalische Vorlieben. Auch hier kein Mainstream, keine Trends, lieber Bewährtes, Klassiker halt.
An der Pinnwand hinter dem Esstisch hängen Fotos und Zeichnungen seiner Töchter, Anna ist acht, Sophie zehn. Alle zwei Wochenenden sind sie beim Papa, dazu vier Wochen während der Ferien, übers Jahr verteilt. „Sie sind mein Hauptgrund, hier zu sein. Beruf ist Beruf – aber die Familie ist das Wichtigste,“ sagt Matthias. Die Beziehung zur Mama hat nicht gehalten, „das war eine schwere Zeit.“ Jetzt hat sich alles eingespielt und funktioniert gut. Er ist ein junger Papa, der selbst sagt, dass es kein pauschal gutes Alter zum Kinderkriegen gibt.
„Die alten Geschichten haben mich geprägt“
Mit seinen Töchtern unternimmt er viel draußen, er zeigt ihnen gern die Heimat seiner eigenen Kindheit, seine Lieblingsplätze. Von „seinem“ Bayerbach erzählt Matthias ebenso begeistert wie vom Bier. Sein Papa ist Bürgermeister. „Ich wurde aber immer als eigenständige Person wahrgenommen,“ sagt er. Seine Großeltern väterlicherseits hatten eine Schreinerei im Dorf. „Die beiden waren echte Rottaler Urgesteine. Ich war ganz viel in der Werkstatt beim Opa. Das hat mich geprägt. Und sie haben viel erzählt.“
Die alten Geschichten, die alten Bilder, all das trägt Matthias mit sich herum. Nichts hat er vergessen. Heute erzählt er es seinen Töchtern weiter. Geschichten über das Rottal und die Familie. „Meine Mädels finden das total spannend und so gehen die alten Sachen nicht verloren,“ sagt er. Vielleicht lernen sie ja auch demnächst Schafkopfen, so wie Matthias es mit sieben Jahren vom Opa beigebracht bekommen hat.
Noch so eine Tradition, die Matthias pflegt, ist der Fußball. „Das ist was Damisches,“ sagt er über sein Sportlerleben. „Viel Fahrerei. Von Traunstein ins Rottal – und von hier aus noch zu den Spielen.“ Seit er fünf Jahre alt ist, spielt er Fußball. Freilich geht es da nicht nur um den Sport, sondern vielmehr fast um die Kameradschaft: „Da muss man sich nix extra ausmachen, die Leute sind einfach da.“
„Ein bayerisches Helles ist die große Kunst“
Matthias schenkt Wasser ein, schnappt sich eine Weintraube. Am Rottal hält ihn also die Familie und die alten Bande, das Heimatgefühl. Und am Chiemgau die Arbeit und die Liebe. In der Freizeit geht er dort gern Bergwandern. „Wunderschön ist das,“ sagt er. Genauso die Motorradtouren, wenn es mal ein wenig schneller gehen soll. Und Zeit für ein Buch nimmt sich Matthias auch hin und wieder. Bayerische Geschichten von Oskar Maria Graf schätzt er. „Mich interessiert, wie das Leben früher war,“ sagt Matthias. „Benno Scharl hat 1812 das erste Fachbuch der Bierbrauer geschrieben. Das les ich gerade.“
Da ist er wieder beim Thema. „Bierbrauen ist nichts Statisches, die Jahrgänge unterscheiden sich. So ist eben die Arbeit mit Naturprodukten,“ sagt der Braumeister und steigert sich schnell hinein. „Ein Craft-Bier zu brauen, ist keine Riesenkunst. Da übertreibt man mit Stammwürze und Hopfen. Ein bayerisches Helles ist aber die große Kunst.“ Da schau her. Matthias erzählt weiter und man hört ihm gern zu. Er spricht vom Gesundheitsaspekt des Biers, vom Bier als Politikum, von Malzsüße und Aromahopfen, vom edlen Ruf des Weins, den das Volksgetränk Bier nie erlangt hat. Matthias redet von pfeffrigen Noten, von Belgischem Kirschbier und von Spontangärungen.
Das Karpfhamer Fest: „Der Inbegriff von Dahoam“
Da bekommt man direkt Lust, sich mit ihm einmal zum Rieger-Wirt auf ein gepflegtes Helles zusammen zu setzen. Die Chancen stehen nicht schlecht, ihn dort anzutreffen, wenn er da ist. Oder auf dem Karpfhamer Fest, für ihn „der Inbegriff von Dahoam“. Die Spätsommeratmosphäre und die Kindheitserinnerungen sorgen dafür, dass sich Matthias ein jedes Mal Urlaub nimmt zur „rottalerischen fünften Jahreszeit“. Mit seinen Mädels dreht er dann eine Runde über den Festplatz, traditionell in der Ledernen. Und dann gibt’s eine Maß, die schmeckt ihm nicht nur selbstgebraut…