„Ich bin schon viel allein“: Sabine Aslani und das fehlende Glück

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„Aslani“ steht in glitzernden Buchstaben auf dem mittleren Klingelschild neben der Haustür des Reihenhauses, das in Kößlarn direkt an der Straße liegt, die nach Triftern führt. Eine schmale Holztreppe weist zur Wohnung hinauf. Zwei Zimmer, kleines Bad. Direkt hinter der Wohnungstür liegt die Wohnküche, ordentlich aufgeräumt, reichlich dekoriert, ein bisschen kühl ist es vielleicht. Der Fernseher läuft, Sat1, auf dem Wohnzimmertisch tummeln sich ein Tablet, eine leere Tasse Kaffee und eine Schachtel Zigaretten. An den Wänden hängen selbst gemalte Bilder, mehrere Fotos von einem kleinen Buben und die Wohnungstür ist mit künstlichen Blumen geschmückt. Hier lebt Sabine Aslani.

„Tiere sind mir das Allerliebste“

Sabine fragt, ob es zu kühl sei. Die Nachtspeicheröfen schaltet sie nicht ein, nur einen mobilen Heizkörper mit Steckdosenbetrieb, wenn es so gar nicht mehr gemütlich ist. „Zu teuer,“ sagt sie. Zu teuer ist der 42-Jährigen vieles, was ihr lieb ist. Pastellkreiden, Benzin, ein eigenes Haustier. „Tiere sind mir das Allerliebste,“ sagt sie, die mit Menschen keine guten Erfahrungen gemacht hat. Von klein auf nicht. „Aber wenn ich für ein Haustier nicht sorgen kann, brauch ich auch keins.“ Sabine schaut zu Boden, zuckt mit den Schultern, steckt sich eine Zigarette an und lacht verlegen. Ihre Augen sprechen nicht mit.

Derzeit ist sie krankgeschrieben und arbeitslos. Ihr Knie ist kaputt, der Arzt sagt, sie bräuchte eigentlich ein neues. „Da hatte ich einen Unfall, als ich mal ein Kind aus einem Weiher gerettet habe,“ sagt sie. „Das war 2000.“ Sabine kann nicht sagen, was sie den ganzen Tag lang macht. Sie schürzt die Lippen. „Manchmal zum Edeka und sonst eigentlich nichts. Ich warte auf den Brief, dass ich zur Reha kann.“ Sie wartet in ihrer Wohnung. Gesellschaft leisten ihr der Fernseher und das Tablet, ihr wichtigster Kontakt zur Außenwelt. „Tiere und der Tierschutz, das ist mir wichtig,“ sagt sie. „Und meine drei besten Freundinnen.“ Eine dieser Freundinnen hat ihr auch das Tablet vorgestreckt, Sabine zahlt die Raten ab.

„Mein Leben ist scheiße“

Dankbarkeit und Freude sprechen aus ihr, als sie von den Freundinnen erzählt, die leider bei Frankfurt und Stuttgart leben. „Aber wir sind so,“ sagt Sabine und zeigt ihre verschränkten Finger. Kennen gelernt hat sie die Frauen über Facebook in einer der vielen Tierschutz-Gruppen, die da Namen tragen wie „Vergessene Katzen in Not“ und „Elba Katzeninsel“. Seit drei Jahren ist Sabine im „Sozialen Netzwerk“ aktiv. „Wir telefonieren jeden Tag und schreiben über WhatsApp,“ sagt Sabine. Besucht hat sie ihre Freundinnen auch schon. Nach ihrer Reha will sie mit den Freundinnen ins Allgäu fahren. „Die eine hat da ein Ferienhaus. Sie hat mich eingeladen, einfach so,“ sagt sie, zuckt mit den Schultern, ein wenig ungläubig, dass ihr auch mal was Gutes passiert.

 

Denn das Leben hat es nicht gut gemeint mit der 42-Jährigen. „Mein Leben ist scheiße,“ sagt sie und lacht. Sie zeigt die Traurigkeit nicht, die in ihr wohnen muss wie ein alter Begleiter. Der Fernseher plappert leise im Hintergrund, der alte Kühlschrank surrt, draußen fahren die Autos vorbei und Sabine erzählt. Aufgewachsen ist sie in Pocking. „Ich habe eine böse Mama,“ sagt sie und nickt. „Sie hat mich nicht gemocht. Ich war nicht gewollt. Sie hat mich gehauen und eingesperrt.“ Einmal ist sie weggelaufen, mit sieben Jahren. Der Vater lebt heute nicht mehr. Vom Hörensagen weiß sie, dass er ihre Mutter geschlagen hat. „Scheiße war meine Kindheit,“ bekräftigt Sabine und zündet sich noch eine Zigarette an.

Führerschein mit 40 – „Das war eine Sache“

„Meine Mutter hatte drei Kinder von drei Männern,“ erzählt sie weiter. Zu ihren jüngeren Halbbrüdern hat sie keinen Kontakt. „Eigentlich interessieren die mich auch nicht. Ich hab mit meiner Familie abgeschlossen.“ Sabine unterstreicht das Gesagte mit einer Handbewegung, überlegt. „Meine einzige Familie, die ich noch hab, sind meine Oma und mein Opa.“ Sie hilft den alten Leuten, wenn sie gebraucht wird, „kochen und so.“ Der Großvater hat Sabine ein Auto gekauft, sie selbst hätte sich nie eins leisten können. Ebenso wenig den Führerschein, den sie erst mit 40 über ein Programm vom Arbeitsamt gemacht hat. Anhänger, Gabelstapler, PKW – um vermittelbarer zu sein. „Das war eine Sache,“ sagt Sabine und lacht. „Fünf Monate lang jeden Tag um sechs mit den Bus nach Passau und um fünf wieder zurück.“ Eine abgeschlossene Berufsausbildung hat Sabine nicht.  So hat sie viele Jobs gemacht, zuletzt als Reinigungskraft im Altenheim und als Zimmermädchen in einem Hotel. Das ging dann nicht mehr, weil das Knie immer mehr Probleme machte.

„Oft denke ich, dass ich keine gute Mama bin“

Nach der Reha will Sabine wieder arbeiten. „Für die Arbeit würde ich auch Bayern verlassen,“ sagt sie. Etliche Bewerbungen hat sie schon geschrieben, unter anderem an Tierheime in der Nähe ihrer Freundinnen. „Das wär mir am liebsten,“ sagt sie. Und wenn sie viel Geld hätte, ganz viel Geld? „Dann würde ich ein eigenes Pflegeheim für Tiere aufmachen. Und Tiere aus dem Ausland aufnehmen.“ Für ein Tier aus dem Ausland hat sie schon was getan. Einen rumänischen Hund hat sie in Passau abgeholt und ihn tags darauf nach Österreich an den Wörthersee gefahren, wohin er vermittelt wurde. „Das lief über eine Tierschutzgruppe auf Facebook,“ sagt Sabine.

 

Die Herbstsonne scheint zum Fenster herein und lässt die gelb gestrichenen Wände ein wenig leuchten. Sabine knetet ihre Hände, lacht ein bisschen. Ihr Blick streift die Fotos des kleinen Buben an der Wand. „Ich hab einen Sohn. Der ist geistig behindert, zu achtzig Prozent Autist,“ sagt sie. Die Umstände erforderten es, dass der 16-jährige seit acht Jahren in einem Wohnheim lebt. „Wenn er überfordert ist, rastet er aus,“ sagt Sabine, zuckt mit den Schultern. Wie es ihr damit geht, zeigt sie nicht. Sie sagt aber: „Leicht ist es nicht. Aber ich bin froh, dass er dort in guten Händen ist. Und ihm gefällt es gut, das sagt er auch.“ Einmal im Monat besucht Sabine ihren Sohn, manchmal telefonieren sie. „Er sagt sogar, dass er mich lieb hat. Das beruhigt mein Gewissen. Oft denke ich ja doch, dass ich keine gute Mama bin.“

„Alleine schafft man nicht alles“

Sabine nickt ein wenig, der Fernseher spielt das Sat1-Programm ab. Sie steht auf, holt aus dem Nebenzimmer ihre Zeichnungen. Mit Bleistift und Pastellkreiden hat sie Tiere, Landschaften und Häuser gemalt. „Ich mach das gerne, nur sind halt neue Kreiden finanziell nicht drin,“ sagt sie. An der Wand hängt ein selbst gezeichnetes Landschaftsmotiv. „Je nachdem, wie das Licht ins Zimmer fällt, leuchtet das Bild mal so, mal so,“ sagt Sabine und lacht wieder ein bisschen. Sie überlegt. „Ich hab so viele schlechte Erfahrungen gemacht. Viele Freunde haben mich ausgenutzt.“ In Kößlarn kennt man sie, aber Freunde hat sie hier keine. „Alleine schafft man nicht alles. Und ich bin schon viel allein,“ gibt sie zu. „Mir ist oft langweilig.“

Auch mit der Liebe hatte Sabine bisher kein Glück. Mit dem Vater ihres Sohnes hat sie keinen Kontakt mehr. „Das war ein Türke,“ sagt sie, was freilich nichts erklären soll. Daher ihr Name Aslani? „Nein,“ sagt Sabine und schüttelt den Kopf, lacht laut. „Mit dem Aslani war ich nur kurz verheiratet. Das war ein Bosnier.“ Sie winkt ab. „Eine Familie fehlt mir schon,“ sagt sie nach einer Pause. „Klar hab ich meinen Sohn. Aber ich musste immer selbst auf mein Leben schauen.“ Hilfe nimmt sie nicht gern an. Sie schämt sich. Lieber verzichtet sie auf vieles. „Ich geh überhaupt nicht weg. Dafür spare ich für Benzin und damit ich Geld hab, um für den Tierschutz zu spenden.“

„Manchmal habe ich doch auch Glück“

Sabine weiß, dass es in der Hinsicht viele schwarze Schafe gibt. „Grad auf Facebook,“ sagt sie. Trotzdem hat sie schon viel Geld gespendet – was ihr mit ihrer knappen Kasse eben möglich war. „Und ich hab auch schon Flyer verteilt, um Katzen zu helfen. Und ich teile viel über Facebook, damit viele von den Tieren in Not erfahren.“ Sabine und die Tiere. „Ja,“ sagt sie. „Tiere können sich nicht selbst helfen. Aber der Mensch kann das tun.“

 

Sabine schaut durch den Fernseher hindurch und sagt unvermittelt: „Übrigens habe ich eine Perücke auf.“ Mit 25 Jahren fielen ihr einfach die Haare aus und wuchsen nicht mehr nach. Die Hautärzte machten sich keinen Reim darauf. „Mich nervt das sehr. Das ist kein gutes Gefühl. Und eine Perücke kostet ja auch Geld,“ sagt Sabine. „Ich muss mich damit abfinden, kann es aber trotzdem nicht akzeptieren.“ Daheim trägt sie die Perücke nicht, zum Baden geht sie mit einer Kappe. „Die Leute dachten erst, ich bin krank. Jetzt wissen sie Bescheid. Die meisten schauen auch nur am Anfang. Und meine Freundinnen akzeptieren mich sowieso.“ Die Freundinnen. „Manchmal habe ich doch auch Glück. Ich habe ja auch viel Gutes gemacht,“ überlegt Sabine und lacht wieder verlegen. Sie greift nochmal zur Zigarettenschachtel, der Fernseher plappert weiter, das Surren des Kühlschranks legt eine Pause ein und die Autos rauschen draußen immer wieder vorbei.

Neues von Sabine

Zwei Jahre ist es her, dass ich Sabine in Kößlarn besucht habe. Seitdem habe ich oft an sie gedacht. Jetzt hab ich mich wieder bei ihr gemeldet und wie schön – es geht ihr viel besser. Die Reha bekam sie genehmigt und hat ihr sehr gut getan. Und das neue Jahr beginnt spannend – Sabine zieht um, nach Tengen in der Nähe des Bodensees. Warum dorthin? Weil da ihre Freundin lebt, bei der sie Unterschlupf findet, bevor sie eine eigene Wohnung hat. Und weil diese Freundin eine Gartenbauforma hat, in der Sabine künftig arbeiten wird. „Ich freue mich schon sehr darauf. Und dann bin ich auch so richtig aktiv im Tierschutz dabei,“ sagt Sabine. Besagte Freundin hat den Verein Lebenshilfe Kuh & Co gegründet, der sich um Tiere aus nicht artgerechter Haltung kümmert. Ich wünsche Sabine einen guten Neustart – und werde mich wieder bei ihr melden, um Euch zu berichten.

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5 Kommentare

  1. Sabine Aslani ist so ein tapferer und hilfsbereiter Mensch.
    Ich glaube gerne, dass sie oft ausgenutzt wurde, denn sie ist halt auch sehr gutmütig.
    Ich hoffe, dass es ihr nach der Reha mit dem Knie besser geht, so dass sie arbeiten kann und unter Menschen kommt.
    Das Allein sein ist nicht gut und sie ist ein Mensch der eine Aufgabe bräuchte.
    Ich drücke ihr ganz fest die Daumen.
    Wenn sie in der Reha Klinik in Bad Aibling ist, werde ich sie besuchen-

  2. Das ist eine sehr schön geschriebene Lebensgeschichte von dir Sabinchen.Ich weis du hast schon sehr viel hinter dir,viel trauriges und Leid.Du bist eine tapfere Frau die sich nicht unterkriegen lässt auch wenn das Leben es nicht so gut meinte in vielerlei Hinsicht.Aber du kannst Stolz darauf sein,das du es alleine immer wieder geschafft hast egal wie sehr dich das Leben gezeichnet hat.Bleib so wie du bist!Du bist eine tolle und sehr liebe Freundin und ich bin stolz darauf dich zu kennen.HDL Marina

  3. Hallo Sabine ich finde deine Geschichte sehr traurig und möchte dir etwas helfen wenn du Lust hast kannst du mir schreiben ich würde dir auch gerne ein Päckchen schicken

  4. Liebe Eva, das Portrait von Sabine hat mich sehr berührt. Kann man mit ihr Kontakt aufnehmen? Ich würde sie gerne bei der Malerei unterstützen,damit sie dieses schöne Hobby,das ihr so viel gibt, nicht aufgibt.
    Liebe Grüße Eva

    • Liebe Eva – das freut mich sehr. Ich frage bei Sabine nach und gebe Dir dann Bescheid. Liebe Grüße und Danke!

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