Vom BizJuz zum RegioLab – Christoph Dietrich und das Eggenfeldner Großprojekt

„Lindhofmärkte“ steht auf dem Schild geschrieben, das der Besucher beim Abbiegen auf das Gelände hinter dem Kaufland begrüßt. Darunter: Drei Tafeln, eine fehlt. Bald wird das Quartett komplett sein. Zwischen den Pflastersteinen und den Rissen im Teer drängt sich das Grün heraus. Ein Gebäude nennt sich „Treffpunkt“, weiter hinten zischen die Dampfstrahler der Autoaufbereitungsfirma Wagner. Auf der anderen Seite duften die Gewürze von „San Marco“. Und gleich nebenan hüllt sich ein weiterer Gebäudetrakt in Schweigen. Noch. Über der Tür verraten Flecken, dass hier mal ein Schild gehangen sein muss. Durch die großen Fensterfronten lassen sich Stühle und Tische erspähen. Dass ich hier richtig bin, verrät mir Christoph Dietrich.

Schlichte Räume – große Pläne

Er ist der Projektleiter des BizJuz. Biz. Business. Geschäft/igkeit. Juz. Jugendzentrum. Letzteres hat sich mal hier befunden, in der Lindhofstraße. Im Gang erschnuppert die Nase wieder Gewürze. Links durch die Tür: Ein großer Raum voller Tische und Stühle und ausgedienten Sofas, einem Podest, das einst eine Bühne war. Eine DJ-Kanzel aus Sperrholz, die nun auf eine neue Berufung wartet. Wieder im Gang erblickt das Auge altes Graffiti und links einen viel bespielten Kickerkasten. Rechts öffnet sich eine weitere Tür zur früheren Tee-Theke, hinter der sich eine nagelneue Singlehaushalt-Küchenzeile präsentiert. Bürostühle und Holzstühle reihen sich um Tische, ein Whiteboard hebt sich kaum von der frisch gestrichenen Wand ab, die zu Juz-Zeiten ganz schwarz den Raum verdunkelte. Die bunten Glühbirnen wurden durch weißes Licht ersetzt und mit zwei Neonröhren ergänzt.

Christoph setzt sich. Er weiß, dass die Räumlichkeiten gelinde gesagt schlicht sind. Mehr Budget wollte der Eggenfeldner Stadtrat aber noch nicht hineinstecken in ein Projekt, das schließlich und endlich in einem viel größeren Vorhaben enden soll. Er zuckt die Schultern. Im Sommer 2020 läuft der Mietvertrag der Stadt aus. Danach soll der Umzug nach Gern erfolgen. Dann, wenn sich im BizJuz das entwickelt hat, was Bürgermeister Wolfgang Grubwinkler vorschwebt: Ein Netzwerk aus jungen und dynamischen und kreativen und tüchtigen Jungunternehmern. Im RegioLab sollen sich diese Start-Ups ansiedeln. In der Gerner Schlossökonomie, im alten Brauerei-Gebäude, das jetzt für sagenhafte knapp zehn Millionen Euro aus Fördergeldern saniert, renoviert, rehabilitiert werden soll.

„Der Heimat was zurückgeben“

Diese Summe findet nicht ein jeder Bürger lustig. Christoph nimmt’s gelassen: „Wenn nicht alles genauso funktioniert, wie es sich der Stadtrat gerade vorstellt, konnten wir wenigstens den wunderschönen Altbau vor dem Verfall retten.“ Mit ihm hat der Bürgermeister den idealen Mann gefunden: Er vereint all diejenigen Merkmale, die ein klassischer Jungunternehmer aufweisen sollte. Christoph ist 25, in Eggenfelden aufgewachsen. Er studiert in München Technologie und Managementorientierte Betriebswirtschaft, spezialisiert sich auf Energietechnik und Marktstrategie, schreibt soeben an seiner Masterarbeit. Er brennt noch. Für sein Studienfach, für Netzwerke, für die Digitalisierung, für alles Neue. Und gleichzeitig für’s Rottal, für seine Heimat Eggenfelden, der er „etwas zurückgeben möchte.“

Das BizJuz ist nun also ein Testprojekt. Christoph soll für die kargen Räumlichkeiten in der Lindhofstraße Leute finden, die in diesem Co-Working-Space arbeiten möchten. Noch mehr: Er soll ein Netzwerk schaffen, das Jungunternehmer, Kreativwirtschafter, Umtriebige zusammenbringt. Anfang Juli 2017 ist das Projekt gestartet. Bisher nutzen zwei Gründer das BizJuz. Der eine heißt David Kalina – er organisiert hier Events wie das Festival Gern Geschehen oder die Eggenfeldner Musiknacht. Der andere heißt Markus Lindner – er beschäftigt sich mit Augmented Reality, einem Trend, der sich dem Gardner Institut zufolge in den nächsten Jahren durchsetzen wird.

Die Zukunft: Ohren aus dem Drucker?

Christoph kann sich für das Thema begeistern, für den Abend hat die Stadt Eggenfelden ein Symposium organisiert, auf dem verschiedene Werkzeuge der digitalen Revolution vorgestellt werden. Mit einer Augmented-Reality-Brille sieht der Träger Dinge, die nicht wirklich vorhanden sind, kann sich aber gleichzeitig real durch die virtuelle Welt bewegen. Man erinnere sich an den kurzen, aber heftigen Trend des Spiels Pokémon Go. Einen sinnvolleren Einsatz kann die Technologie in der Arbeitswelt erfahren. Der Schreiner, der seinem Kunden die geplanten Möbel „in echt“ zeigen möchte. Der Architekt, der seine Häuslebauer durch das künftige Heim wandeln lässt. „Die Frage ist nicht mehr, ob es so kommt, sondern wie die Rottaler Unternehmer mit dieser Veränderung umgehen,“ sagt Christoph.

Wenn Markus Lindner im BizJuz sitzt, trifft er sich mit seinen Mitarbeitern im virtuellen Raum. Die Digitalisierung hat Einzug gehalten, nicht zuletzt wegen der schnellen WLAN-Verbindung, die weitere Leute anlocken soll. So auch der 3D-Drucker – wie die Büromöbel eine Spende von Biedersberger Bürotechnik. Christoph erklärt, wie der Drucker Plastikwürste schmilzt, um sie in dünnen Fäden zu einem Wunschwerk werden zu lassen. Ein Bohraufsatz. Ein Kleiderhaken. Eine beliebige Figur. Und irgendwann vielleicht sogar ein Ohr, gedruckt aus frischem Zellmaterial.

„Jeder mit Ideen kann mich anrufen“

Hochgezogene Augenbrauen? Nicht bei Christoph. „Die meisten Leute haben zunächst Angst vor Neuem. Aber alles technisch Mögliche, was unseren Bedarf decken kann, wird kommen,“ sagt er nüchtern, aber nicht unsympathisch. Geschwind ruft er in der Stadt an, fragt höflich nach, wo das neue Logo bleibt. Mit dem Bürgermeister steht er im engsten Kontakt. Nach der Christmesse im letzten Jahr hat ihn Grubwinkler angesprochen, ob er denn nicht die Projektleitung übernehmen wolle. Dabei verdient sich der Student ein Zubrötchen. Mit dem BizJuz möchte die Stadt keinen Profit machen. Stundenweise sind die Arbeitsplätze buchbar, maximal zahlt der Interessierte 60 Euro im Monat. Ein Akt gegen den Leerstand? Oder doch eine eher vorausblickende Absicht, das umstrittene RegioLab mit Leben und zahlenden Mietern zu füllen, sobald sich dessen Pforten öffnen?

Christoph nimmt seinen Auftrag jedenfalls ernst. Er will demnächst offensiver für’s BizJuz werben. Will bereits bestehende Netzwerke wie die „Neue Generation Niederbayern“ einladen, will Vorträge und Diskussionen organisieren. Er will die Räumlichkeiten für Ausstellungen nutzen, Kochkurse möglich machen. „Jeder, der Ideen hat oder Kontakt zu Mentoren knüpfen möchte, darf mich jederzeit anrufen,“ sagt er. Und er will Schüler reinholen, ihnen Platz für „Jugend forscht“ oder das Gründerspiel geben. „Es ist wichtig, dass junge Leute erkennen, was in der Region möglich ist. Die Leute kommen nach der Ausbildung nicht mehr zurück, weil sie das Potential ihrer Heimat nicht erkennen.“ Er selbst ist grade auch weg – und nur hin und wieder da. In München lebt er sein Studentenleben, kommt aber auch immer wieder gerne heim zu seinen Eltern und den sechs Geschwistern. „Ich komme ins BizJuz, wenn ich gebraucht werde,“ sagt er.

„Ich will mich noch nicht festlegen“

Geboren ist Christoph im hessischen Gießen. Zur fünften Klasse ist er mit seiner Familie nach Eggenfelden gezogen. Als Rottaler sieht er sich noch nicht ganz, obwohl er Eggenfelden als seine Heimat bezeichnet: „Rottaler bin ich erst, wenn ich hier langfristig lebe. Noch bin ich Pendler. Und ich will mich auch noch nicht festlegen.“ Das hält ihn nicht davon ab, zur Region ein Heimatgefühl zu hegen. „Der Sternenhimmel, die singenden Vögel, auch die Mücken – das hab ich in München nicht. Die Natur liegt mir aber sehr am Herzen,“ sagt er. „Hier gehe ich einfach gern mit dem Hund spazieren und genieße die pure Natur. Die Erholung in der Natur ist ja auch ein guter Grund für Unternehmen, ins Rottal zu kommen. Für Unternehmer aus der Großstadt wird das RegioLab schon eine super Rückzugsort bieten.“ Da kommt er wieder ins Politisieren, der Christoph.

Woran liegt’s? Weil er schon neun Jahre Mitglied der Jungen Union ist? „Nein,“ sagt er. „Ich sehe das nicht CSU-gebunden, sondern allein als Austauschmöglichkeit.“ Oder liegt’s doch am Studiengang, an der wilden Geschäftigkeit und unerschütterlichen Wachstumsgläubigkeit der BWLer? „Nein,“ sagt er da wieder. Er selbst würde ja schon zurückkommen ins Rottal, wenn denn die geeignete Stelle auf ihn warten würde. Für ihn, der sich bald Master nennen darf, stehen bald sämtliche Tore offen. Schon jetzt klopfen Unternehmen an sein Türchen bei XING. Noch weiß er aber nicht, ob er sich dem Duktus eines großen Konzerns hingeben oder doch lieber in einem mittelständischen Unternehmen seine Schräubchen drehen – oder aber sein eigener Herr sein möchte.

Zwischen Trompete, Tauchen und Praktika

Er muss es auch nicht wissen. Christoph ist 25. In einer Welt des  ausufernden Optionenreichtums hat er eh schon genug Entscheidungen gefällt. Zum Beispiel die, in München zu studieren. Und dabei sämtliche Angebote zu nutzen. So arbeitete er neben des Studiums bei der studentischen Unternehmensberatung „Academy Consult„. Hier beraten Studenten aus sämtlichen Fachgebieten Unternehmen für gutes Geld. Frischer Wind und neue Ideen inklusive. Darum weiß Christoph auch praktisch, wie Unternehmen ticken. Und er kennt viele Jungunternehmer und Co-Working-Spaces in der Landeshauptstadt, hat selbst bei so manchem Start-Up Praktika gemacht. All das nach Eggenfelden zu transportieren, das ist nun sein Ansinnen.

Christoph ist ein Kind der Generation Y. Diese ist gut ausgebildet, technikaffin, arbeitet lieber in Teams anstatt Hierarchien, leidet und profitiert gleichermaßen an der Multioptionsgesellschaft. Y, das spricht sich zu Englisch wie why, warum. Warum all das, warum dies und nicht jenes, warum überhaupt? Christoph leidet offenbar nicht sehr viel, schöpft aber sehr wohl die Optionen aus. Er hat in München zunächst in einem evangelischen Wohnheim gelebt, nun bewohnt er ein Zimmer mitten am Marienplatz im Wohnheim des Akademischen Gesangvereins, einer nicht politischen und nicht schlagenden Studentenverbindung. Er spielt Trompete, singt im Chor, genießt den gesellschaftlichen und philosophischen Austausch gleichermaßen. Christoph versteht es, das Notwendige mit dem Freudigen zu verknüpfen. So machte er neben einem Praktikum in Singapur seinen Tauchschein in Malaysia. Bis zum Tauchlehrer hat er es geschafft, um nach dem Bachelor erst mal ein halbes Jahr als solcher in Mexiko zu leben und zu arbeiten. Nebenbei hat er Spanisch gelernt und ziemlich wahrscheinlich Lebenserfahrung gewonnen, dort drüben auf Cozumel.

Nach seiner Heimkehr startete Christoph sein Masterstudium, eine „gute Entscheidung“, über die er nicht lange nachdenken musste. Ansonsten denkt er viel nach, wie er sagt. Über die „Generation Praktikum“, zu der er sich selbst zählen muss, über die zwingende Glückssuche, die heute betrieben wird, über das Reflektieren selbst. „Ich entscheide intuitiv, trotz rationalem Nachdenken,“ sagt er. Und so wird es auch geschehen, wenn er fertig ist mit seinem Master. Vielleicht landet er letztendlich ja selbst in Gern, im neuen RegioLab-Gebäude. Man kann nie wissen.

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BizJuz

Christoph Dietrich

Telefon: 089-23521984
Anschrift: Lindhofstraße
84307 Eggenfelden

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