Von Kinderbüchern, Tieren und Freigeistern: Die lebendige Welt der Diana Grüner

In Diana Grüners Bude herrscht Leben. Es duftet nach Kaffee und auch ein wenig nach Zigaretten, das Auge hat in jedem Winkel viel zu entdecken, Diana selbst wuselt umher und lacht und spricht und dann sind da noch Patinka, die Katze und Chess und Silvie, die Hunde. An den Wänden hängen Fotos von Diana und ihrer Tochter Florentina, das Regal in der Küche war eigentlich einmal ein Fenster und die Anrichte eine Werkbank. Fast an jeder Wand sind Spiegel zu finden und das große, selbst gebaute Etagenbett erzählt von ziemlich gemütlichen Stunden. Diana sagt voller Freude: „Das ist meine Wohnung. Sie gehört mir. Klein und fein.“ Und sie lacht rau und herzlich, wuschelt sich durch die roten Haare und zündet sich eine Zigarette an.

Durchs offene Fenster scheint die morgendliche Frühherbstsonne herein und Patinka springt aufs Fensterbrett, um schließlich draußen in der Wiese zu verschwinden. Da hinten kommt nichts mehr. Da ist Stubenberg längst zu Ende. Die Stubenberger Wohnung ist seit gut zwei Jahren Dianas Heimat. Vorher, ach, vorher, wo anfangen, wo aufhören. „Zucker und Milch? Stört es eigentlich, wenn ich rauche?“ Diana lacht, drückt die Kippe in den Aschenbecher, trinkt einen Schluck Kaffee und fährt fort, ohne Punkt und Komma zu erzählen.

„Das war die beste Therapie meines Lebens“

Die 36-Jährige ist so sehr lebendig, dass es sich für sie bisher einfach nicht gelohnt hat, im Leben etwas nicht zu tun, etwas ausgelassen zu haben. Ihre Interessen, ihre Konsequenz und ihr Drang, sich von den Ideen des Lebens mitreißen zu lassen, haben aus ihrem Lebenslauf eine sagenhafte Zeichnung gefertigt. „Du bist wie ein Zigeuner,“ sagte schon Dianas Papa zu ihr als Kind. Sie selbst bezeichnet sich lieber als Freigeist. „Ich hab die Schule geschmissen,“ sagt sie. „Darum hatte ich erst mal keinen Abschluss.“ Gestört hat Diana das erst, als sie merkte, dass sich das Leben der Freunde weiterentwickelte – und ihres irgendwie stehen blieb. „Also hab ich mit 17 den Abschluss nachgemacht,“ erzählt sie und schmiert sich eine Semmel, löffelt Marmelade drauf und schmunzelt ein wenig über sich. „Arbeiten wollte ich aber nur, um Geld zum Verreisen sparen zu können.“ Mit kleineren Aushilfsjobs hat sie ihr Ziel erreicht: Thailand, USA, Irland, Portugal. Ein bisschen was hat Diana schon von der Welt gesehen.

 

Zufrieden war sie dennoch nicht. „Ich bin überhaupt nicht achtsam mit mir umgegangen. Ehrlich gesagt ging‘s mir richtig schlecht,“ sagt Diana. „Wenn sich das Umfeld nicht ändert, kann man sich selbst auch schwer ändern.“ Also zog sie die Konsequenzen. „Ich hab Arbeit und Wohnung gekündigt, einen Hausflohmarkt gemacht und eine Abschiedsparty gegeben.“ Ihre Freunde ließen einen Hut herumgehen, sammelten 240 Mark für sie. Genug für einen Flug nach Portugal. Zwei Monate verbrachte Diana dort und tingelte mit dem Rucksack umher. „Das war die beste Therapie meines Lebens,“ sagt sie über ihren Trip. Nach der Rückkehr war für sie klar, dass sie nicht mehr in Hessen bleiben wollte, wo sie eigentlich herkommt. Aufgewachsen ist sie in Heppenheim an der Bergstraße. In Niederbayern lebte schon ihre Mama – da wollte sie mal hin. Vielleicht für ein Jahr, vielleicht zwei. 17 Jahre lang ist das nun her und Diana denkt nicht mehr daran, das Rottal zu verlassen.

„Beim Schreiben habe ich viel verarbeitet“

Auch, wenn aller Anfang wirklich schwer war, wie sie sich erinnert. Die Hunde seufzen gemütlich auf dem Bett, Diana schenkt Kaffee nach und schmiert sich die andere Hälfte der Semmel. „Die erste Fragen im Rottal waren: Was hast gelernt? Was hast?“ erzählt sie lachend. Auf ihre Antwort „Nix“ folgte Schweigen. Das Gespräch war da für viele beendet. „Ja, ich hatte mit Ende 21 noch keine Ausbildung,“ sagt die heute 36-Jährige. Die 21 war für Diana ein magisches Alter. „Nach meinem exzessiven Lebensstil schrie alles nach einem Umbruch. Und der begann nach meiner Reise erst mal mit einem fiesen Keuchhusten.“

 

Die Kinderkrankheit brachte Diana nach Bad Reichenhall auf Kur. „Zwischen Pelzmänteln und Mozartkugeln gab es nicht viel zu tun,“ erzählt sie. Gut, dass sie ihren Laptop dabei hatte: „Geschrieben habe ich schon immer gern. Mit dem Tagebuchschreiben habe ich viel verarbeitet.“ Und so kam es, dass die Alpenluft nicht nur Dianas Husten linderte, sondern auch ihre Fantasie anregte. Daraus entspann sich schließlich Dianas erstes Kinderbuch. „Die etwas anderen Geschichten der Sara Su,“ nannte sie ihr Werk. Wieder daheim, verschwand der Text aber in der Vergessenheit, in den Tiefen ihres Laptops. Diana kümmerte sich lieber um eine Ausbildung. Kinderpflegerin wollte sie werden. Dachte sie. Nach ihrem Abschluss begann sie dann doch lieber die zweite Lehre zur Hotelfachfrau. Nach eineinhalb Jahren ließ sie die Ausbildung sausen. „Das war finanziell ein Desaster,“ sagt sie heute. Da verdiente sie „einfach so“ in der Gastronomie mehr. Zumindest so viel, dass es einigermaßen zum Leben reichte. Denn Diana hatte auch sonst genug zu tun.

„Ich hab mir ein Stück verlorene Kindheit zurückgeholt“

Während sie erzählt, lacht sie viel, schaut versöhnlich auf sich zurück, wirkt ganz im Reinen mit sich selbst. Lebendig und doch in sich ruhend. Wohl wissend, dass sie einen Erfahrungsschatz in sich trägt, den ihr keiner mehr nehmen kann. Nebenbei engagierte sie sich für den Tierschutz. Ehrenamtlich flog sie zweimal in die Türkei, rettete Hunde aus Tötungsstationen. „Irgendwann hatte ich selbst ziemlich viele Tiere daheim,“ sagt sie lachend. Und das, obwohl sie als Kind absolut allergisch auf jedes noch so kleine Tierhaar reagierte. „Ich war Asthmatikerin, vor allem Katzen gingen gar nicht,“ sagt sie. „Irgendwann reichte es mir aber und ich sagte zu mir selbst: Das kann doch nicht wahr sein – ich liebe doch die Tiere und die Natur!“

 

Also mutete sie sich eine Radikalkur zu. Diana schaffte sich eine Katze an. „Das war furchtbar krass,“ erinnert sie sich. Doch bald wurden die Symptome leichter. Heute hat sie kein Problem mehr mit Allergien oder Asthma. „Die Ärzte konnten das gar nicht fassen,“ sagt Diana und lässt wieder ihr raues, lautes Lachen hören. „Aber ich war so froh. Ich hab mir ein Stück verlorene Kindheit zurückgeholt.“ Und so kam es, dass ihr Hunde, Katzen, Meerschweinchen, Kaninchen, Ziegen und Hühner und Laufenten Gesellschaft leisteten. Auf einem alten Hof bei Stubenberg, den sie gemietet hatte, wo sie mit ihrem Mann und Florentina lebte. „Das war mein Kindheitstraum. Und ich wollte auch, dass Florentina so aufwächst. Mitten in der Natur, mit Tieren.“

„Durch die Schwangerschaft hab ich so viel Kraft bekommen“

Von diesem Traum übrig geblieben sind nur die Mischlingshunde Chess und Silvie, beides Tiere, die Diana gerettet hat. Und Patinka, die Katze, sowie ein paar Kaninchen und Meerschweinchen, die hinten im Garten in ihrem Gehege friedlich mümmeln. Die Ehe gibt es nicht mehr. „Manchmal muss man Menschen loslassen, auch wenn man sie liebt,“ sagt Diana. Sie haben sich scheiden lassen, es ging nicht mehr miteinander. Also lebt sie mit den Tieren und Florentina ohne Mann in ihrer Stubenberger Wohnung. Als Alleinerziehende hat sie sich ein gutes Netzwerk aufgebaut. Freunde und Nachbarn sind für sie da, wenn Diana arbeiten geht oder sonst Not am Mann ist.

 

Auch die Zeiten in der Gastronomie sind vorbei. Und Diana arbeitet auch nicht mehr als Filialleiterin im österreichischen Schönheitsinstitut „Figurella“. Und auch nicht mehr als Pilateslehrerin. Und sie führt auch keine Hundewanderungen mehr. „Ach, ich hab mich kreativ voll ausgelebt,“ sagt Diana rückblickend. „Finanziell war das halt schwierig und unsicher.“ Und genau das wollte die 36-Jährige nicht mehr, als sie schwanger wurde. „Eigentlich hatte ich die Diagnose: unfruchtbar. Ich hab mich von der ersten Sekunde an so gefreut, ein Kind zu bekommen,“ sagt Diana und schaut nachdenklich zum Fenster hinaus. „Ich habe dadurch so viel Kraft bekommen. Manchmal weiß ich gar nicht mehr, wer ich vorher war.“

„Da steckt einfach zu viel Herzblut drin“

Mit dem Mamasein hat sich alles geändert, obwohl die Beziehung zum Papa nicht hielt. Heute ist Florentina acht Jahre alt und Mama und Tochter pflegen ein gutes Verhältnis zum Vater. Und Diana arbeitet nun ganz seriös bei der Merkur-Versicherung in Österreich. Als „äußerst witzig“ bezeichnet sie selbst ihren Werdegang. Jetzt ist sie nach alldem doch glatt staatlich geprüfte Versicherungsfachfrau. Und doch noch ganz sie selbst. Kostümchen und Stöckelschuhe sind nicht ihr Ding: „Ich gehe ganz unverkleidet arbeiten. Und ich mag meinen Job wirklich gerne.“

 

Und was ist nun eigentlich mit Dianas Kinderbuchheldin Sara Su passiert? Es gibt sie demnächst tatsächlich zu kaufen. Acht Jahre lang dauerte der Schlummerschlaf in den Tiefen des Laptops, bis Diana ihre Geschichte in der Schwangerschaft wieder entdeckte und sich daran machte, das Buch fertigzustellen. „Ich habe es auch selbst illustriert,“ erzählt sie mit Stolz und Freude in der Stimme. Neben eigenen Zeichnungen finden sich echte Naturmaterialien wieder: Gepresste Blumen und Blätter sowie Federn. Und einige vierblättrige Kleeblätter. „Davon habe ich in der Schwangerschaft ganz viele gefunden,“ erinnert sie sich. Nachdem ihr Werk komplett fertig war, suchte Diana nach einem Verlag. „Ich wusste nicht, dass Verlage gar nicht an fertigen Büchern interessiert sind,“ sagt die 36-Jährige. Heinz Lang vom Lichtland-Verlag aus dem Bayerischen Wald riet ihr zum Selbstverlag. Sie solle das Buch nicht verändern – es sei so perfekt. Und auch Diana wollte nicht, dass jemand anders darüber bestimmte, wie das Buch letztendlich aussehen würde: „Da steckt einfach zu viel Herzblut drin.“

„Florentina soll ihren eigenen Weg gehen dürfen“

Vor Frust und Ratlosigkeit gingen nochmal vier weitere Jahre ins Land. Das Geld zum Selbstverlag hatte Diana nicht. Schließlich entdeckte sie „Books on Demand“, einen Service für Autoren, deren Bücher nur dann gedruckt werden, wenn sie ein Interessent bestellt. Diana hielt das für die beste Lösung, Sara Sus Geschichten doch noch gedruckt zu erleben. Das Fantasiemädchen wird von Gott erschaffen, da die Engel reichlich überfordert von den Fragen der Kinder sind. Und Sara Su beantwortet diese Fragen auf ihre ganz eigene Weise. „Im Buch bekommen Kinder eine Geschichte – und lernen gleichzeitig was. Nach jedem ‚Märchen‘ erkläre ich, wie es wirklich ist,“ sagt Diana.

 

Sie selbst ist unglaublich froh, dass mit der Veröffentlichung dieses Schreibprojekt abgeschlossen ist. „Ich hatte viele weitere Ideen, konnte aber mit dem unfertigen Buch nicht weitermachen,“ sagt sie. Demnächst will sie ihr Buch an der Montessori-Schule in Rotthalmünster vorstellen, Florentinas Schule. Ihre Tochter besucht keine Regelschule, „weil ich nicht will, dass sie einfach was reingepresst kriegt,“ sagt Diana. Sie selbst vermutet, dass ihr Leben anders gelaufen wäre, hätte sie mehr Verständnis in ihrer Schulzeit erfahren. „Florentina soll ihren eigenen Weg gehen dürfen. Sie ist blitzgescheit und wird das schaffen, was sie sich vornimmt.“ Außerdem schätzt Diana die Weltoffenheit des Montessori-Konzepts. „Hier werden Probleme des echten Lebens angesprochen und Zusammenhänge erklärt. In der Regelschule ist dafür gar keine Zeit, da geht es nur um Leistung.“

„Familie, das sind nicht unbedingt Blutsverwandte“

Das Bewerten, das Einordnen – Diana hat damit in ihrer Kindheit keine guten Erfahrungen gemacht. So hatten ihre Eltern auch kein Verständnis dafür, dass sie mit sechs Jahren beschloss, kein Fleisch mehr zu essen. „Man hat mich zum Psychologen geschleppt,“ erzählt sie und lacht. „Ich hab das aber durchgezogen.“ Wie so vieles in ihrem Leben. Nun ist sie also da, in Stubenberg, in ihrer eigenen kleinen Wohnung. „Man schafft so vieles, wenn man auch zunächst nicht mehr weiter weiß,“ sagt sie und schaut nachdenklich, bevor sie sich noch eine Zigarette anzündet. „Ich will es keinem mehr recht machen. Mich muss nicht jeder mögen,“ überlegt sie weiter. „Für Florentina ist es wichtig, hier Familie zu haben. Und Familie, das sind nicht unbedingt Blutsverwandte.“ Mit den Nachbarn hat sie guten Kontakt, mit Napi und Nani, einem älteren Paar, sitzt sie gern in deren Gartenhaus und lässt sich abends ein Radler schmecken. „Ja, und die Liebe ist wichtig. Wer nicht liebt, ist tot,“ beendet Diana ihre Gedanken und lächelt pfeilgeradeaus.

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