Frannie Irl: Zum ersten Mal richtig angekommen

Franziska Irl sitzt am Küchentisch in ihrem Haus in Taufkirchen, vor sich eine Tasse Kaffee, dazu ein Teller voll Gebäck, der riesige Rhodesian Ridgeback-Rüde Ivo hat sich auf dem Teppich ausgestreckt, später wird sich noch Katze Fritzi, eine von den drei Miezis, dazugesellen. Die Kinder und der Mann sind aus dem Haus und Franzi, wie sie alle nennen, hat sich Zeit genommen, ihre Geschichte zu erzählen, bevor sie in die Werkstatt gehen und an ihren Aufträgen arbeiten wird. Sie ist freudig aufgeregt, über ihr Leben zu reden und gleichzeitig strahlt sie eine große Ruhe aus, die errät, dass sie jetzt mit 41 Jahren zum ersten Mal in ihrem Leben richtig angekommen ist… Die Geschichte einer starken Frau. Von Anfang an.

Geboren ist sie in München, da hat sie bis zur vierten Klasse mit ihren Eltern und zwei Geschwistern und dem Hund gelebt. Die Eltern haben sich in der Bayerischen Hauptstadt beim Studieren kennengelernt und sind dort hängengeblieben, die Mama Musikerin, der Papa Chemiker. Franzi hat die Montessorischule besucht und staunt heute, dass sie in München zu Fuß zur Schule gegangen ist, von Nymphenburg in den Olympiapark, später dann hat sie den Weg mit dem Radl zurückgelegt, ganz normal war das. Die fünfköpfige Familie hat sich mit dem Hund drei Zimmer geteilt, eins für die drei Kinder, eins als Wohn- und Schlafzimmer für die Eltern und das dritte war das Musikzimmer der Mama und der Kleiderschrank der ganzen Familie.

„Ich war eine Rebellin mit knallroten Haaren“

Der beengten Lage wollte die Familie mit einem Wochenendhaus ein wenig entfliehen, sie stellten dann aber schnell fest, dass sie doch lieber gleich aufs Land ziehen wollten. Sie fanden zwischen Reischach und Erlbach einen Hof und nun besuchte Franzi die Regelschule, vierte Klasse, nicht des Bairischen mächtig, ein bayerisches Preißnkind aus der Stadt. „Das war nicht lustig,“ sagt sie rückblickend. Nach der Grundschule ging sie aufs Gymnasium in Altötting, wiederholte dort die siebte Klasse, wechselte auf die Realschule – eine einstige Bubenrealschule, die sich damals gerade das zweite Jahr auch für Mädchen geöffnet hatte. „Trotzdem waren wir nur vier Mädels und wir mussten uns extrem beweisen, auch wenn ich in Mathe, Physik und Chemie gut war. Ich war eine Rebellin, hatte knallrote Haare und man hat mir nahegelegt, sie zurückzufärben.“

Nach der Mittleren Reife wurde Franzis Leben erst richtig chaotisch, wie sie selbst sagt. Sie macht sich noch einen Kaffee, mir noch einen Tee, schließt die Finger um den Becher, schaut nachdenklich, legt Pausen beim Reden ein. Es ist spürbar, wie sie sich in ihre Vergangenheit nochmal einfühlt, die Franzi, die damals noch Unsinn mit Nachnamen hieß – und wo der Name tatsächlich oft Programm war. Denn Sinn ergab für die junge Frau nicht immer alles.

„Mit 17 bin ich von daheim aus- und mit meinem Freund zusammengezogen. Ich hab mir nicht viel sagen lassen und es war bestimmt nicht leicht mit mir. Was ich wollte, wusste ich nicht genau, ich habe hier und da gejobbt,“ erzählt sie. Bis sie sich an einen Ferienjob in der Schulzeit erinnerte: bei einem Kirchenmaler in Marktl war das, bei dem sie Wandgemälde freigelegt, Figuren restauriert und vergoldet hat. Franzi erkundigte sich, informierte sich zum Beruf der Restaurateurin und erfuhr, dass die Voraussetzung dafür eine Ausbildung zur Schreinerin war. Also machte sie sich auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz – erfolglos. Wie das? „Die Betriebe waren nicht angerichtet. Ein paar hätten mich gern genommen, hatten aber keine extra Toilette für Frauen, was Vorschrift ist.“ Was heute selbstverständlich ist, war damals noch gang und gäbe.

„Fuck Welt“

Und Franzi sollte doch noch zu ihrer „Lehre“ kommen… Bei einem Urlaub am Attersee mit einer Freundin kam sie auf die Idee, bei einem ansässigen Schreiner nachzufragen. Der sagte zu, Franzi zog nach Österreich und legte los. Sie sagt: „Ich war jung und dumm und habe jedem vertraut.“ Das bisschen Lohn trudelte immerhin ein, unterschrieben hatte sie auch. Aber hatte auch ihr Lehrmeister unterschrieben und was war eigentlich mit der Berufsschule? Franzi erfuhr es, als es zum Streit kam, ihr Chef handgreiflich wurde und sie daraufhin kündigte. Da musste sie feststellen, dass es nichts zu kündigen gab und sie nie als Auszubildende gemeldet war. Die „Lehre“ zur Schreinerin war keine, hat nichts gegolten und war allerhöchstens eine Lehre für’s Leben.

Franzi runzelt die Stirn, nickt, erinnert sich daran, wie geknickt sie nach ihrer Rückkehr bei der Mama in der Küche saß und diese sagte: „Du, beim Weko suchen sie einen Mediengestalter.“ Franzi war’s wurscht und weil sie eh nicht wusste, was sie sonst hätte machen sollen, fuhr sie zur Jobbörse, wie man das damals so tat, erkundigte sich, was ein:e Mediengestalter:in überhaupt so machte und dachte sich: „Ok.“ 21 Jahre war sie, als sie den Ausbildungsplatz bekam und sie freute sich über den damals echt hippen Beruf.

Ja, und dann wurde Franzi mit ihrer Tochter Amelie schwanger, noch während der Ausbildung. „Glücklicherweise konnte ich verkürzen, die Abschlussprüfung war knapp vor der Geburt, ich saß hochschwanger drin und hab’s geschafft.“ Nun war Franzi frisch gebackene Mediengestalterin und vor allem Mama. Was schön klingt, war es aber nicht. Amelies Vater hatte Franzi noch in der Schwangerschaft verlassen, ihre Arbeit konnte sie auch nicht behalten. „Ich hätte sofort wieder arbeiten müssen, wollte aber gern zumindest ein halbes Jahr bei meinem Baby bleiben.“ So fand sie nun mit ihrer kleinen Tochter eine Bleibe bei den Eltern, verlassen, arbeitslos und mit einem Gedanken: „Fuck Welt.“

„Ultraanstrengend war das…“

Kurz dachte sie an Selbstständigkeit, aber wie sollte das gehen ohne Berufserfahrung und dazu mit Säugling? Also machte sie sich auf Jobsuche und wurde fündig. Als Mediengestalterin arbeitete Franzi nun Vollzeit in Eggenfelden, „die Mama hat auf mein Baby aufgepasst.“ Franzi zögert. „Und ich hab mit Amelie in meinem Kinderzimmer gelebt. Die Situation wurde immer schwieriger, es gab einen Riesenstreit mit meiner Schwester und ich dachte nur noch, dass ich da raus muss.“ Franzis Augen glänzen, eine Träne rutscht heraus. Ivo brummt auf dem Teppich, streckt sich, ich muss schlucken, so spürbar hart sind die Erinnerungen für Franzi.

Sie musste also raus, zog nach Gumpersdorf, „ultraanstrengend war das, was folgte.“ Während die Mama auf Amelie aufschaute, war sie auf der Straße und in der Arbeit. Und als die Mama krank wurde und sich nicht mehr um die kleine Enkeltochter kümmern konnte, wusste Franzi zunächst nicht, was tun. „Eine Tagesmutter für 900 Euro engagieren, nur dass ich in die Arbeit gehen kann? Das konnte es ja nicht sein. Vom Staat habe ich keine Unterstützung bekommen, dazu hab ich wiederum zu viel verdient.“ Sie zuckt die Schultern. Und vom Kindsvater hat sie keinen Unterhalt gekriegt. „Also bin ich nach Eggenfelden gezogen, um im Einzugsgebiet für einen Ganztagskindergarten zu leben.“ Aber auch das brachte nicht die erhoffte Erleichterung in Franzis und Amelies Leben. Die Ganztagsgruppe entpuppte sich in eine Vormittags- und eine eigene Nachmittagsgruppe. „Alle haben geweint, es war unerträglich,“ fasst Franzi das Zuviel für Mutter und Kind zusammen.

Also wechselte sie nochmal den Kindergarten und das war endlich besser für Amelie. Franzi betont das „Besser“, denn gut – gut hätte sie gefunden, mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen zu können. „Ich hab mich aber nicht rausgesehen, finanziell wären wir sonst nicht über die Runden gekommen. Also konnte ich meine Stunden nicht reduzieren.“ Irgendwann zog sie mit Amelie nach Mühldorf zu ihrem damaligen Lebenspartner, wo gleich neben dem Haus ein Kindergarten für das Mädchen war. Jetzt hatte Franzi aber wieder die Fahrerei nach Eggenfelden…

Fünf Hörstürze in einem Jahr

Da rollt noch eine Träne bei Franzi, die Erinnerung an die erschöpfenden Situationen steht ihr ins Gesicht geschrieben: „Wir sind von einem Scheiß in den nächsten getreten.“ Denn auch in Mühldorf sollten Amelie und Franzi nicht dauerhaft bleiben. Nach vier Jahren fand die Beziehung ein Ende und die beiden sich in Eggenfelden wieder. Franzi überlegte, ob nicht eine offene Ganztagsschule cool wäre? Nicht cool, stellte sich schnell heraus, als Amelie nach einem ganzen Tag in der Schule abends noch Hausaufgaben machen musste, weil diese nachmittags nicht betreut wurden. Und als Franzi die Schule wechseln wollte, hieß es: Geht nicht, Sie haben einen Vertrag über vier Jahre unterschrieben.

Durch Zufall oder wie man es auch nennen mag, gab Franzi ein Interview bei einem Passauer Radiosender. „Ich war damals schon in einem Verein für Alleinerziehende,“ sagt sie. „Und dann hat es plötzlich geklappt.“ Amelie kam in den Hort, das hat gepasst und obendrein lernte sie Leni, ihre beste Freundin im Hort kennen…

Bei Franzi ging indessen nicht mehr viel. In einem Jahr hatte sie fünf Hörstürze. Die Sorge ums Geld, der ständige Stress, pünktlich sein zu müssen, alleine alles stemmen zu müssen und am Ende des Tages doch das Gefühl zu haben, zu wenig Zeit mit dem liebsten Menschen, dem eigenen Kind verbracht zu haben, das nagte an ihrer Seele und an ihrer Gesundheit. Nochmals rollen die Tränen, diesmal auch bei mir, als Franzi sagt: „Ja, so haben wir uns durchgefrettet.“

Schließlich wechselte sie zum Weko, ihren einstigen Ausbildungsbetrieb. Die Bezahlung war besser und sie konnte Amelie in den Ferien mitnehmen, sie durfte ihren Urlaub immer als Erste buchen, „drei Wochen im Sommer.“ Das klingt ein wenig nach Erleichterung, dennoch hatten die vergangenen Jahre ihre Spuren hinterlassen. Bei einem Routinebesuch stellte der Frauenarzt die Vorstufe zum Gebärmutterhalskrebs fest, Stress, Angst, Tränen, eine Operation. Und Franzi dachte sich: „Wenn sich nicht bald was ändert…“

Eine Familie für Amelie und Franzi

Sie wischt sich die Tränen aus den Augenwinkeln, lacht ein wenig, trinkt ihren Kaffee aus, Ivo steht auf, schaut Frauli an, ob alles passt, Katze Fritzi kommt herein und fordert den Hund zum Spielen auf. Franzi lacht, denn jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem sich tatsächlich endlich was änderte. Nicht über Nacht, aber langsam und gesund. Franzi lernte Alex Irl kennen, der damals noch in der IT bei Weko beschäftigt war. Schnell stellten sie fest, dass sich ihre Kinder kannten: Amelie und Leni, die besten Freundinnen im Hort. Öfter mal unternahmen sie was zu viert und wurden schließlich ein Paar. Da waren die Mädels neun, im Jahr 2013.

Zwei Jahre später starb Amelies leiblicher Vater. Den Anruf bekam Franzi im Auto mit Amelie und unglücklicherweise hatte sie die Freisprechanlage an. Nur selten hatte Amelie ihren Vater gesehen, obwohl sich das Mädchen zum vierten Geburtstag gewünscht hatte: „Einen Bleistift, einen Radiergummi und den Papa sehen.“ Damals machte ihn Franzi über Facebook ausfindig, ein Treffen kam zustande, das Interesse des Vaters hielt nicht an. Was Franzi nach der Nachricht gedacht hat? „Es klingt seltsam, aber ich war fast ein wenig erleichtert. So wurde meine Tochter nicht mehr enttäuscht…“

Stattdessen geschah etwas, das Franzi und Amelie zuvor nicht gekannt haben: eine Familie. Im selben Jahr zogen sie mit Alex in das Haus, wo sein Vater aufwuchs und wo Franzi hier und jetzt in der Küche sitzt. Die dicken Mauern, die alten Türen, das Pflaster – noch ist nicht alles renoviert und überhaupt soll das Haus viel von seinem alten Charme behalten. Das Haus, in dem erst eine Hafnerei, dann eine Schneiderei war. „Alex wollte immer in diesem Haus leben,“ sagt Franzi. Nachdem beide lange in kleinen Wohnungen in Eggenfelden gelebt hatten, ist dieses große Haus mit großem Garten einfach wunderbar.

„Wir sind uns oft sehr ähnlich“

2019 hat das Paar geheiratet: „Alex hat mir einen Antrag gemacht und dann Amelie gefragt, ob er sie adoptieren darf.“ Nun waren sie die Irls – eine Familie. Alles hat seitdem Hand und Fuß und Franzi ganz besonders berührt, dass Amelie nun einen Papa hatte, der sie wirklich wollte. Dazu ist Leni regelmäßig hier und seit mittlerweile fünf Jahren Moritz, Franzis und Alex‘ gemeinsames Kind. Dass in einer Patchworkfamilie keine paradiesischen Zustände herrschen, muss auch klar sein. Aber in welcher Familie ist das schon der Fall? So, wie es jetzt ist, das schätzt Franzi schon sehr.

Amelie und Leni sind jetzt 18, Amelie lebt noch daheim und hat gerade eine Ausbildung begonnen. Leni ist hauptsächlich bei ihrer Mama, aber auch regelmäßig hier. Seid sie sowas wie Schwestern sind, hat sich ihre Freundschaft verändert, klar. Sie mögen sich sehr, haben aber unterschiedliche Freundeskreise. Über Amelie zu sprechen, fällt Franzi gerade nicht ganz leicht, da ist einfach dieses Schuldgefühl aus der Vergangenheit, das sich mit dem Verstand nicht einfach wegwischen lässt. „Wir sind uns oft sehr ähnlich, was es oft nicht leicht macht – aber sie weiß hoffentlich, dass ich immer alles tun würde, damit es ihr gut geht. Es gibt Phasen, da sind wir sehr eng, aber auch solche, in denen wir weit voneinander entfernt sind. Das ist sicher auch das Erwachsenwerden. Jedenfalls sind wir stark miteinander verbunden durch all das, was wir durchlebt haben. Und ich weiß, dass Amelie viel Zeit mit mir gefehlt hat.“ Nun glänzen Franzis Augen wieder.

„‚So bin ich halt‘ gilt nicht“

Ihre Vergangenheit und ihre Probleme hat Franzi in einer Therapie aufgearbeitet und es ist ihr ein Anliegen, das auch zu sagen: „Eine Therapie ist wichtig, da man sich selbst gegenüber so blind ist. Das Argument ‚So bin ich halt‘ gilt nicht, finde ich.“ Zu ihren Eltern hat Franzi heute wieder ein regelmäßiges und gutes Verhältnis. „Ich habe mir noch nicht alles verziehen, was Amelie angeht, aber ich denke, ich bin auf einem guten Weg,“ sagt sie.

Das ist sie auch mit Alex, „mein Mann und mein bester Freund. Er unterstützt mich in all meinen Vorhaben.“ Mit ihm kann sie gut reden, was aber Streit nicht ausschließen muss. Sie sind aneinander gewachsen und durch ihn hat sie gelernt, über das zu reden, was in ihrem Innersten vorgeht. Franzi lacht: „Und wir verbannen das Wort ‚anstrengend‘ und sagen lieber ‚anspruchsvoll‘ oder ’spannend‘. Es ist oft ganz schön ’spannend‘, das Leben.“

Als ich nach dem zweiten Tee kurz das stille Örtchen aufsuche, fällt mir auf, dass die Fliesen gestrichen sind, überall liebevolle selbst gemachte Deko zu finden ist. Die Treppe im Hausgang ist teils gestrichen, teils abgeschliffen. Und damit beginnt Franzis berufliche Geschichte, was sage ich, ihre Berufung, über die sie am Ende was ganz, ganz Schönes sagen wird. „So hat’s angefangen, mit dem Renovieren vom Haus,“ sagt sie und nickt, lässt ihren Blick durch die Küche schweifen. „Da hab ich mich eingefuxxt.“

Es begann mit dem blauen Nachtkastl…

Über Kleinanzeigen hat sie ein altes Nachtkastl gefunden, hat es abgeschliffen, in der Lieblingsfarbe ihres Mannes gestrichen – blau – dem Möbel neue Griffe verpasst und es stolz und freudig in ihren WhatsApp-Status gestellt, bevor sie es ihm schenken wollte. Wollte – denn dazu kam es nicht. Prompt hatte sie fünf Anfragen, was denn das Kastl kosten würde. „Beim nächsten Kastl war’s wieder dasselbe,“ erzählt Franzi und lacht. Über den Status hat sie die Restauration dokumentiert und die Möbel waren weg, bevor sie überhaupt damit fertig war.

Das war in der Corona-Zeit, als sie Kurzzeit gearbeitet hat. Zuerst hat sie die eigenen Möbel aufgearbeitet, schnell kamen aber Anfragen, ob sie auch die Möbel der Kunden upcyceln würde? Upcyceln, ja, so sagt man, wenn aus etwas Altem was Neues entsteht und damit wieder eine Wertigkeit erhält. So erhielt Franzi die ersten Auftragsarbeiten. Wie es geht, seiner Passion zu folgen, hat sie schon bei Alex beobachten können: Der Ex-ITler hat nach langen Arbeitsjahren eine Ausbildung zum Zimmerer gemacht und arbeitet heute selbstständig als Zimmerermeister. Also redete Franzi mit ihrer Steuerberaterin und meldete schließlich im Sommer 2022 ihr Gewerbe an, in dem sie Vollzeit arbeitet. Hier nennt sie sich Frannie Irl und deren Auftragsbücher sind gut gefüllt.

Warum Frannie? „So nennt mich einer der besten Freunde und Arbeitskollege meines Mannes. Der Lukas. Und ich mag diesen Spitznamen einfach schrecklich gern. Alle nennen mich seit Jahrzehnten Franzi und ich würde nie auf die Idee kommen, mich jetzt mit ‚Frannie‘ vorzustellen. Darum darf mein ’neues Ich‘ Frannie heißen – mein Gewerbe.“

„Es beflügelt mich, Möbeln neues Leben einzuhauchen“

„Ich upcycle ein Möbel nach dem anderen. Wie lange ich für ein Stück brauche, kann ich nie einschätzen, da ein jedes anders ist. Das sage ich meinen Kund:innen auch.“ Viele Anfragen erreichen sie über Instagram und übers Weitersagen. Es freut sie unbandig, wenn die Möbel, die schnell mal als „altes Zeug“ angesehen werden, nicht weggeschmissen werden und auch ein alter, dunkler Eichenschrank mit einer hellen Farbe versehen eine gewisse Leichtigkeit bekommt. „Schön, wenn die Leute nicht immer meinen, Neues, aber im Endeffekt meist minderwertige Möbel kaufen zu müssen. Es beflügelt mich, den Möbelstücken neues Leben einzuhauchen.“

Jetzt wird es Zeit, sich Franzis Werkstatt anzuschauen. Einst war das eine Abstell- pardon, Rumpelkammer, bevor sie den Raum mit Alex ausgeräumt, gestrichen, eingerichtet hat. Zuvor war sie in einem Raum, wo es schließlich reingeregnet hat. Zwischendurch meinte sie, irgendwo was anmieten zu müssen, was sie schnell verwarf. Zu teuer und auch nicht nah am Haus. Dann arbeitete sie übergangsmäßig im Hausgang, was auch nicht für dauerhafte Freude sorgte. Und schließlich fiel dem Paar die Werkstatt ein. Ein Holzofen spendet Wärme. Auf der Werkbank, an den Wänden und vor allem hinten im Lagerraum stehen Möbel, die darauf warten, dranzukommen. Farben, Tapeten für die Schubläden, Griffe, Hölzer, die Schleifmaschine, Masken, alles da. Und eine strahlende Franzi, die sich mit mir alles ansieht, als würde sie es auch zum ersten Mal betrachten.

Zum ersten Mal Freude an der Arbeit

„Ich mache meine Arbeit, das Haus, den Garten, mache die Büroarbeit für meinen Mann und bin für die Kinder da. Das ist viel, aber ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine unglaubliche Freude an meiner Arbeit,“ erzählt sie. Sie gibt zu, sich den Wecker stellen zu müssen, um nicht zu vergessen, ihren Buben vom Kindergarten abzuholen. So sehr ist sie dann im Flow, wenn sie schleift und streicht und repariert und leimt: „Das Abschleifen ist oft eine Riesenarbeit, da braucht man gute Masken und eine gute Schleifmaschine.“ Erst nach guter Vorarbeit kommt Farbe ins Spiel: Am liebsten arbeitet Franzi mit Kreidefarben, die sie lebendiger als Lack empfindet – auch wenn diese Farbe versiegelt werden muss und somit mehrere Arbeitsschritte nötig sind. Manchmal verwendet sie auch Lacke, aber eher selten. Sie findet: „Glanz macht die Stücke tot. Matt verleiht gerade alten Stücken Lebhaftigkeit.“

Zum Leben werden die Möbel auch durch die Geschichten der Besitzer:innen erweckt. Oft hat sie es mit Erbstücken von Vorfahren zu tun, denen der Duft aus vergangenen Zeiten anhaftet – immer lustig ist das nicht. Aber sie hat Mittel und Wege, mit denen sie sich zu helfen weiß. Sie erzählt: „Die Upcycling-Community ist der Wahnsinn. Da gibt man sich gern Ratschläge, unterstützt sich und lernt viel voneinander.“ Franzi freut sich auch über die Zusammenarbeit mit hiesigen Unternehmen, wie die Malerei Schwarz in Arnstorf oder auch Kapstok, die mit eigener Kollektion, sowie Preloved Mode ihren Laden in Eggenfelden betreibt – ein echtes Match.

„Jetzt kommt wieder mehr die Franzi raus“

Franzi hat noch viel vor – zum Beispiel Rattanstühle neu aufziehen. Was sie sich einfallen lässt, was sie aktuell macht, daran lässt sie ihre Follower:innen teilhaben. Die Vorher-Nachher-Bilder kommen gut an, auch wenn es oft keine Vorher-Bilder gibt, weil Franzi sich voller Tatendrang auf die Möbel stürzt, ohne noch schnell das Smartphone zu zücken. Franzi schließt die Werkstattür hinter sich, zeigt noch ihr weiteres Lager nebenan im alten Bulldogschuppen, wo sich Alex eine Miniramp zum Skateboarden gebaut hat. Mitten auf der Halfpipe, aber auch sonst überall stehen viele Möbel, denen es man nicht direkt unmittelbar ansieht, dass sie einst schön sein werden, gebraucht, benutzt, gemocht – wie zu einer anderen Zeit. Übrigens – sein blaues Nachtkastl hat Alex noch immer nicht bekommen. Aber irgendwann ist’s soweit, Franzi glaubt fest dran.

„Ich fühle mich zum ersten Mal mit allem richtig angekommen. Das gibt mir viel Kraft. Ja, die letzten Jahrzehnte waren unglaublich kraftraubend. Aber jetzt kommt wieder mehr von der Franzi raus.“ Das sagt sie, steckt die Hände in die Jackentaschen, schaut mit glänzenden Augen den Garten an, in dem eine einzigartige Lounge aus dem alten Dachstuhl des Hauses steht, eine goldene Badewanne und so manches mehr, das der Kreativität der Bewohner:innen geschuldet ist. Auch das Gartentor hat lauter unterschiedliche Lattenabschlüsse, hinter dem ich nach einer herzlichen Umarmung und der Gewissheit auf ein Wiedersehen verschwinde.

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Frannie Irl

Franziska Irl

Anschrift: Hofmarkstraße 32
84326 Falkenberg

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