Luan Thaci: Vom Tellerwäscher zu Bayerbachs Pizzabäcker
Gleich springt der Zeiger auf 17 Uhr. Geschäftiges Treiben an einem Donnerstagabend in der Küche der Pizzeria Piano in Bayerbach. Afrim schiebt die ersten Bleche in den heißen Ofen. Selvie schneidet Gemüse. Bianca nimmt die Bestellungen entgegen, das Telefon läutet fleißig. Und Chef Luan Thaci knetet routiniert den Teig, belegt Pizzen, behält den Überblick. Über der Gasflamme auf dem Herd köcheln sämige Soßen, auf der Anrichte in der Küchenmitte stehen Teigkugeln, Salate, werden fertige Pizzen geschnitten, in Schachteln verpackt. Pizzahungrige stehen draußen, holen ihr Abendessen ab, hier der Geldwechsel, da ein paar freundliche Worte. Der Abholservice läuft gut, wenn schon das Warten auf Restaurantgäste andauert…
Mit seiner unvergleichlich ruhigen und freundlichen Art serviert Luan Kaffee, Wein und Pizza, als sich der erste Ansturm etwas gelegt hat. Lange ist es her, dass im Restaurant jemand gegessen hat. Geputzt und aufgeräumt wartet der gemütliche Raum auf speisende Gäste, auf lange, genussvolle Abende. Luan wartet auch, geduldig und ein wenig ergeben. Seit vielen Monaten ist es halt so, wie es vor Dezember 2018 war, als es noch kein Restaurant gab und nur den Abholservice. Der 45-Jährige zuckt die Schultern. So schnell bringt ihn nichts aus der Ruhe. Derweil baut er eben eine Terrasse hin zum Bayerbach, der gemütlich neben dem Haus plätschert. Und lässt gleich noch das ganze Gebäude neu verputzen und malern.
„Ich habe lange überlegt“
Schön hat sich seine Laufbahn als Pizzabäcker und Restaurantchef entwickelt. Luan trinkt einen Schluck Kaffee, reckt ein Ohr in die Küche, wo die Bleche scheppern und Bianca fröhlich telefoniert – alles gut. Luan beginnt zu erzählen: Es war im Jahr 1995, als der damals 20-Jährige aus dem Kosovo nach Deutschland kam. Die Unruhen in seinem Heimatland waren für ihn nicht länger tragbar, die Aussichten auf ein gutes Leben unmöglich. Im Kosovo hatte er als Krankenpfleger gearbeitet und begonnen, Naturwissenschaften zu studieren. Sein Vater hatte bei einem Fernsehsender gearbeitet und durch die serbische Besatzung schließlich seine Stelle verloren. Luan denkt nach, winkt ab, „muss nicht sein, so viel darüber zu reden.“ So kam er als Wirtschaftsflüchtling an, bevor der Krieg begann.
Zunächst landete er in Deggendorf, bevor er zu seinem Onkel Azem ins Rottal kam. Seine erste Stelle: Tellerwäscher in Bad Birnbach. Er lacht. Nein, zum Millionär hat es bislang nicht gereicht. Dafür hat sich schön eins nach dem anderen ergeben und ja, wenn er ehrlich ist, hat er sich mit der eigenen Pizzeria seinen Traum erfüllt. Aber Schritt für Schritt: „Als Tellerwäscher fängst Du ganz unten an. Dann machst Du Salate, dann Pizza, dann kochst du.“ Luan hatte immer mehrere Jobs gleichzeitig. Als Kellner war er in der Region sehr beliebt. Immer freundlich, immer liebenswert. Mit dem Trinkgeld konnte er sich etwas ansparen – für seinen Plan, den er schon lange hegte.
Irgendwann fuhr er zufällig durch Bayerbach durch, als ihm die alte, leerstehende Filiale der Metzgerei Lang auffiel, unten an der Schloßstraße vor dem Bahnübergang. „Laden zu vermieten“ stand da auf einem Schild an der Tür. „Ich habe lange überlegt,“ sagt Luan. „Soll ich in einem so kleinen Ort was anfangen? Ich wollte immer was ausprobieren und hab’s dann einfach gemacht.“ Mit seiner Frau Valdete und Tochter Nora zog er von der Kreisstadt Pfarrkirchen ins kleine Bayerbach, hatte die Miete für ein halbes Jahr gespart und legte mit der tatkräftigen Unterstützung seiner Frau einfach los. Das war im Jahr 2012 und Luan sollte überrascht werden.
Doppelleben: Vollzeitjob und Pizzabacken
„Das hat gleich gut funktioniert. Die Bayerbacher waren freundlich, haben mich unterstützt und gelobt. Das hat mich sehr positiv überrascht und motiviert,“ erzählt Luan. Geschwind huscht er in die Küche, ein zweiter Ansturm, da wird jede Hand gebraucht. Das Kerzenlicht flackert, die Pizza war ausgezeichnet – knuspriger Rand, gute Soße, frischer Belag, fein zerlaufener Käse, der Wein wirkt angenehm nach. Hoffentlich ist dieses verwöhnende Gefühl bald wieder vielen Menschen vergönnt. Bianca schaut vorbei, fragt, ob alles passt – und wie!, im Hintergrund läuft leise Italo-Musik, ganz wie es sich gehört. Ach…
Da kommt Luan zurück, setzt sich, entschuldigt sich höflich mit einem kleinen Lachen – aber bitte, er ist der Chef! Ja, und schließlich hat er es gewagt, das Haus gekauft. Oben lebt er mit seiner Familie und unten ist die Arbeit, die Küche, das Restaurant. Das ganz Haus hat er renoviert, erst die Wohnung, dann den Gastraum, der vor langer Zeit schon mal einer war. Luan erzählt vom einstigen Wirt, dem Neumann Walter, lacht, freut sich, dass jetzt hier wieder Gäste bedient werden – seine Gäste.
Bis alles so war, wie es jetzt ist, sind durchaus Blut, Schweiß und Tränen geflossen, auch wenn es Luan wohl nie so nennen würde. Zu bescheiden gibt er sich da, wenn er von seinem Doppelleben erzählt: Untertags ein 40-Stunden-Job in einem Pfarrkirchener Betrieb und abends die Arbeit als Pizzabäcker. An den Wochenenden das Renovieren. „Ich hab einige Jahre nur gearbeitet und geschlafen,“ sagt er und schlägt ein wenig schuldbewusst die Augen nieder. „Da war wenig Zeit für die Familie.“ Und wenig Erholung für ihn selbst.
„Jede schlechte Seite hat auch was Gutes“
Irgendwann ging das alles nicht mehr so weiter und Luan wagte es, sein Doppelleben aufzugeben. Keine Vollzeitstelle mehr, „nur“ noch Seins. „Eine gute Entscheidung,“ wie er zugibt. „Jetzt ist alles besser, jetzt hab ich endlich wieder Zeit für meine Familie.“ Und wie gerufen, kommen Valdete und Nora herunter, die Tochter schmiegt sich an den Papa, die Frau hält sich dezent im Hintergrund. Nora ist neugierig, was sich da tut und hat Freude, sich fotografieren zu lassen. Der Papa erzählt weiter.
Davon, wie sehr er sich freut, dass er beim Renovieren nicht allein war. „Alle haben sie geholfen,“ sagt er gerührt. „Meine super Nachbarn, die Feuerwehrjungs, die Fußballjungs. Da gibt’s nichts.“ Seit nunmehr drei Jahren gibt es neben dem Abholservice das Restaurant. Fein eingerichtet, mit Liebe dekoriert, an den Wänden hängen Bilder der Bayerbacher Künstlerin Andrea Miedl alias Angelo Arte. „Ich wollte immer ein gutes Lokal, da investiere ich gerne,“ sagt Luan. Darum die neue Terrasse, die neue Fassade und natürlich die ungebrochene Hoffnung, wieder aufmachen zu dürfen.
Noch lehnt die Tafel mit der bunten Kreideschrift „Herzlich Willkommen“ etwas traurig an der Wand neben der Theke. Ist halt so. „Jede schlechte Seite hat auch was Gutes. So bleibt mehr Zeit mit der Familie,“ sagt Luan pragmatisch. „Die Leute holen viel Pizza. Mehr als zuvor.“ Er steht auf, geht wieder in die Küche, Bleche scheppern, dazu Biancas fröhliche Stimme, Lachen, noch mehr Scheppern, Bestellungen. Draußen ist es dunkel geworden. Die Scheinwerfer der Abholer leuchten beim Fenster herein.
Privat: kosovarische Küche
Noch einmal kommt Luan zurück, stützt sich auf die Stuhllehne. „Ich habe eine wirklich gute Mannschaft,“ sagt er froh. „Mit ihnen klappt das Arbeiten prima.“ Gern geht das Team auch auf Extrawünsche der Kundschaft ein. Zufrieden müssen alle sein, dann ist es Luan auch. Und da macht es ihm gar nichts, dass ihn viele für einen Italiener halten. „Pizza ist halt Italien,“ sagt er und zuckt mit den Schultern. Er selbst isst auch nach vielen Jahren immer noch gern sein eigenes Produkt – am liebsten die Gemüsevariante, wie er verrät.
Privat mag er allerdings nicht auch noch am Herd stehen. Das macht Valdete und bringt typisch kosovarische Gerichte auf den Tisch. „Aufläufe mit Reis, gefüllter Blätterteig, viel Fleisch, viel Kartoffeln,“ zählt Luan auf. Und außerhalb dieser Zeiten geht die Familie auch gern mal essen, „um Abwechslung zu haben“. Valdete hat Luan kennengelernt, als er in seiner alten Heimat Urlaub gemacht hat. Verliebt ist sie mit ihm nach Bayern gekommen, wo sich das Paar ein gemeinsames Leben eingerichtet hat. Nun, da das Renovieren ein Ende hat – nur die Pandemie scheinbar keins – bleibt mehr Zeit für das Paar. Wie Luan schon zum Thema sagte: Alles Schlechte hat auch was Gutes.
„Ich war von Anfang an zufrieden“
Das geschäftige Treiben in der Küche wird ruhiger, es geht auf 21 Uhr zu. Da legt sich der Trubel zumindest unter der Woche. Jetzt läuft alles ein wenig mehr piano, womit die Pizzeria ihrem Namen gerecht wird. Warum eigentlich Piano? „Ach, das hat mir einfach gefallen. Ich wollte immer schon Klavier spielen können,“ sagt Luan in seiner unerschütterlichen Ruhe. Bedächtig räumt er den Tisch ab, Bianca kommt herbei und hilft mit, ein eingespieltes Team eben. Luan denkt noch ein wenig dem Gesagten hinterher, hält inne: „Nein, ich habe hier nie schlechte Erfahrungen gemacht. Ich war von Anfang an zufrieden.“ Herzlich ist die Verabschiedung – so herzlich sie eben in diesen Zeiten sein kann.
Auf dem Nachhauseweg, der sich zu Fuß bestreiten lässt, breiten sich gute Gedanken aus. Die Freude, einmal wieder als Gast an einem Tisch gegessen zu haben. Die Vorfreude, hoffentlich in einer lauen Sommernacht auf der neuen Terrasse zu sitzen, mit Pizza und einem Glas Wein und den liebsten Menschen. Dazu Luans glückliche Augen, die bei all seinen Gästen Halt machen, jung und alt, die sich auf den monatlichen Stammtisch freuen, auf Feierlichkeiten, einfach auf den Restaurant-Alltag. Ein Blick zurück – da ist er mit Afrim und Bianca in der Küche, räumt auf. Irgendwann werden die Lichter ausgehen und dann wird sich Luan nach oben zu seinen Lieben gesellen, in Bayerbach, seiner neuen Heimat. Übrigens – bald wird die Familie zu viert sein…
Seit dem Erscheinen des Portraits in der Nummer Sieben des ROTTALER GSICHTER MAGAZINs hat sich einiges getan: Die Terrasse ist fertig, wunderschön und gut besucht – weil Luan wie alle Wirte inzwischen wieder geöffnet hat. Restaurant und Abholservice laufen prima und bestätigen seine gute Küche. Und das Wichtigste am Schluss: Nora hat ein Brüderchen namens Ari bekommen!