„Ich mache keinen Unterschied zwischen Menschen“ – Rupert Rieger und die Fotografie
Die Sonne scheint in Rupert Riegers Atelier. Staubkörnchen schweben durch die Strahlen hindurch, tanzen in der Stille, die nur durch die Stimme des Fotografen Unterbrechungen findet. Die schwarze Ledercouch hat sich aufgeheizt, vielleicht nicht nur durch die Sonnenwärme, sondern auch durch Ruperts Leidenschaft, die aus ihm herausströmt, wenn er von der Fotografie erzählt. Auf dem Holzboden liegen Posterdrucke, an der Wand lehnen leere und befüllte Rahmen, auf dem glänzend grauen Schreibtisch steht nichts außer einer klassischen Lampe, direkt an der Tür reihen sich Posterrollen dicht an dicht aneinander und gleich daneben hängt ein riesiges Foto, das Ruperts Tochter Anna vor einem Bild langer Frauenbeine zeigt. Im Atelier ist es nicht unordentlich, aber auch nicht aufgeräumt. Beschreibt das die Person Rupert Rieger? Wahrscheinlich ein bisschen. So klar der Aufbau seiner Werke ist, so ungestüm sprudeln die Worte über sein Künstlerleben heraus. Denn ja, auch wenn der 61-Jährige in einem unscheinbaren Reihenhaus mit chaotischem Vorgarten mitten im beschaulichen Hebertsfelden lebt – er ist ein Künstler.
„Mit den großen Kanonen kann man höchstens Seerosenfotografie betreiben“
In Ruperts Händen liegt eine ziemlich kleine Kamera mit ziemlich kleinem Objektiv. Daran baumelt ein abgewetztes Lederband. Er hält die Kamera bedächtig und spricht so über das neue Modell, dass zu spüren ist, wie sehr ihn alles an dem Stück Technik fasziniert. Es ist eine Leica Q, „die heilige Kuh“, wie sie in Kennerkreisen genannt wird. Eine Leica ist für Rupert nicht bloß eine Kamera – das wird mehr als deutlich, betrachtet man seine glänzenden Augen, sein leises Lächeln, wenn er erzählt. Seit 25 Jahren fotografiert er mit diesem Kameraklassiker. Die Haltung der Firma zur Fotografie gibt seine eigene wieder. „Leica war schon fast pleite, sie haben sich lange gegen eine Spiegelreflexkamera gestellt,“ sagt Rupert. „Mit den großen Kanonen kann man ja höchstens Seerosenfotografie betreiben.“ Da ist er, sein einzigartiger Humor. Man muss aufpassen, dass man ihn wahrnehmen kann. Schnell schießt Rupert die Pointen hinaus, lacht ein wenig leise glucksend hinzu, lehnt sich zurück und schweigt kurz, um gleich fortzufahren mit der Geschichte seiner Leidenschaft.
Fast nebenbei erwähnt er, dass er zum „Inner Circle“ der Leica Galerie Salzburg gehört und Andreas Kaufmann, den Firmenchef, ganz gut kennt. „Wenn sie nicht Jim Rakete genommen hätten, hätten sie mich genommen,“ sagt er über die Wahl des Fotografen für eine Ausstellung im Salzburger Haus. Doch, doch, er meint das ernst, auch wenn man zunächst kurz zweifeln mag am Wahrheitsgehalt seiner Geschichten. Zu unaufgeregt wirkt der 61-Jährige dabei. So schnell bringt ihn nichts aus der Ruhe. Später wird er erklären: „Ich mache keinen Unterschied zwischen Menschen. Man muss nur um seinen eigenen Stand, um seine Wirkung wissen.“ Und vom Theatermacher Karl M. Sibelius, der von 2012 bis 2014 das Rottal aufmischte, hat Rupert gelernt, immer auf den unpassendsten Moment zu warten: „Da kriegt man jeden.“
„Ich mag Marken nur aus Sparsamkeit – die halten länger“
Rupert bietet Kaffee und Bier an und huscht geschwind aus dem Atelier, um einen Louis-Vuitton-Fußball zu holen. Behutsam holt er das lederne Rund aus einem Beutel und freut sich sichtlich über diesen Besitz. „Der verliert Luft,“ stellt er nüchtern fest. Weltweit existieren nur 3000 Stück. Der war doch sündteuer? „Nein. Ich hab ihn für 800 Mark gekauft,“ sagt Rupert, bevor er zum nächsten Thema schwenken will. Leica, Louis Vuitton, jahrelanges Porschefahren, nun ist es ein Mini… Der Mann scheint auf die großen Labels zu stehen. „Ich hänge nicht an Dingen – ich liebe nur, sie zu benutzen,“ sagt er dazu und fügt nach einer kleinen Pause an: „Das klingt ziemlich kommunistisch.“ Da lacht er wieder leise glucksend und lehnt sich zurück, bevor er sagt: „Ich mag Marken nur aus Sparsamkeit. Die halten länger.“
Mit Technik kam Rupert Rieger schon als kleiner Bub durch seinen Papa in Berührung, der seinerzeit die größte Lautsprecheranlage Niederbayerns hatte. Rupert begleitete seinen Vater bei dessen Arbeitseinsätzen und kam dabei mit so mancher Prominenz in Berührung. Da war Willy Brandt doch tatsächlich im Eggenfeldener Parkkino, um ein bisschen Wahlwerbung zu machen. Und Roy Black hat Rupert Rieger bei Tonbahnaufnahmen die Hand geschüttelt. „Und der Strauß war gern beim Kegelscheiben in Gern,“ erzählt Rupert.
Ganz normal alles in Ruperts Kindheitsalltag. Irgendwie ging es dann auch so weiter. Später, als er im noblen Münchner Stadtteil Bogenhausen als Küchenplaner bei Bulthaup arbeitete und dort die Promis ihre Luxusküchen orderten. „Da war ich bei Petra Schürmann beim Kaffeetrinken. Und ich hatte einen eigenen Porscheparkplatz am Hotel, in dem ich gewohnt habe.“
„Ich gehe immer aufs Äußerste“
Bei Rupert muss es zutreffen, das altbekannte Sprüchlein von den stillen, aber tiefen Wassern. „Ich gehe immer aufs Äußerste,“ bestätigt er. Vielleicht war er deshalb so ganz nebenbei auf dem 75. Geburtstag von Woodstocklegende Brian Auger, der diesen Halb-Runden in Passau feierte. Sein persönliches Fotografen-Highlight fand aber bei einem Bier im Garten von James Palmer statt – das Gründungsmitglied der legendären Band Supertramp lebt recht verborgen bei Arnstorf.
Überhaupt – Musik ist für Rupert wichtig. War sie schon immer. Wie damals, als er kein Geld für Tickets hatte, trotzdem aber unbedingt zum Konzert von Golden Earring wollte. Kurzerhand hat er als Roadie angeheuert, durfte Technik schleppen und kam zu seinem Konzerterlebnis. Wieder eine Anekdote, dicht an dicht. „Musik ist mein Leben,“ betont Rupert nochmal. Derzeit steht Klassik ganz oben auf seiner Playliste – die Mezzosopranistin Maria Weiß hat er durch seine Arbeit am Theater an der Rott kennen gelernt. Neben der Musik hat Rupert die Literatur gern – der Fernseher hingegen bleibt allermeistens ausgeschaltet. Zuletzt gelesen hat der Fotograf „Das Kapital“ von Bischof Marx, „da rechnet er ordentlich mit dem Kapitalismus ab.“ Und seine selbst ernannte Lebensbibel heißt „Vom Glück der Faulheit“ von Peter Axt und Michaela Axt-Gadermann. Untertitel: „So teilen sie sich ihre Lebensenergie richtig ein“.
„Ich hab eine Ausbildung wie Jesus von Nazareth“
Genau das muss Rupert gelungen sein, so ruhig, wie er da zwischen den in der Sonne tanzenden Staubkörnchen sitzt, leise glucksend lacht, während seine Erzählungen wie ein wahrhaftiger Lebenssturm klingen, der unaufhörlich mit ihm herumwirbelt. „Ich hab eine Ausbildung wie Jesus von Nazareth. Ich bin psychologischer Berater und Schreiner,“ sagt Rupert und gibt beiläufig pointiert ein weiteres Detail seiner Lebensgeschichte preis. Im zweiten Lehrjahr hat sich Rupert mit einer Versicherungsagentur selbstständig gemacht. Und irgendwann inmitten seiner Zeit bei Bulthaup hat er als Controller bei Weko gearbeitet. Und als ob dies noch alles nicht für ein Leben genügte, verkaufte Rupert nach alldem zwanzig Jahre lang Holzbearbeitungsmaschinen der Firma Fröhlich. „Ich halte es mit Roger Willemson. Der hat gesagt: ‚Man kann das Leben nicht verlängern, aber verdichten,'“ fasst Rupert sein Bündel an Berufungen zusammen.
Draußen vor dem Gartentor steht sein Mini. Früher standen da die Porsches. „Ich bin Rennen gefahren, damals mit 23. Am Salzburgring, den Porsche-Cup.“ Seinen ersten Porsche hat Rupert seinem damaligen Chef bei Weko abgeschwatzt. Kurz bevor er das Rottaler Möbelhaus wieder verließ. Denn: „Ich bin kein Möbler, da riechts nach Spanplatten.“ Und Rupert lacht wieder glucksend in sich hinein. Sein Lebensweg deutet trotz aller Abwechslung niemals auf Orientierungslosigkeit hin. Er erzählt so fließend und abgeklärt, wodurch deutlich wird, dass er einfach nur die Möglichkeiten ergriffen hat, sich eingelassen hat auf das Leben und seine vielfältigen Spielereien. „Ich finde. Ich suche nie. Wer sucht, der hat schon verloren,“ sagt Rupert und erinnert dabei an Janoschs kleinen Tiger, der aus Prinzip immer Pilze finden geht. Gefunden hat Rupert mit der Fotografie auch irgendwann das Theater. Ach ja, das Theater…
Seit Karl M. Sibelius am Theater an der Rott Intendant war, ist Rupert Rieger Theaterfotograf. Inzwischen zieht Uwe Lohr die Fäden und Rupert darf sich ganz auf das Geschehen auf der Bühne konzentrieren – er fotografiert nun für die Dauerausstellung in den Räumen des Theaters, für den Facebook- und den Online-Auftritt des Theaters. Ganz nah dran ist er an den Schauspielern, in der Maske, hinter den schweren, samtenen Vorhängen, zwischen Kostümen und Seilzügen. „Mir erzählen sie alles,“ sagt Rupert über die Schauspieler. „Für sie bin ich das, was der Friseur für die Models ist.“ Und dann sagt er diesen Satz, der zeigt, warum die Fotografie für ihn so unwiderstehlich ist: „Du nimmst jemanden ein Stück seiner Seele und gibst es in Form eines Fotos zurück.“
„Bearbeitete Bilder sind nur noch eine Illustration“
Trotz dieses gewichtigen Ausspruchs folgt Rupert keinem Konzept beim Fotografieren. „Es gibt immer nur diesen einen Moment, den es einzufangen gilt. Und ich bin militant und gehe meinen Weg,“ sagt er über sich als Fotografen. Da wird nicht groß gezoomt, da gibt es eben keine monströsen Objektive – und schon gar keine Bildbearbeitung. Rupert justiert nicht nach, weder an der Bildschärfe noch an Kontrast, Helligkeit oder Farbintensität. „Das bildet nicht die Realität ab. Das ist Betrug. Bearbeitete Bilder sind nur noch eine Illustration,“ sagt Rupert. Deswegen heißt die Dauerausstellung am Theater auch „Presseuntauglich“. Um die Pressefotos muss er sich nicht mehr kümmern, „da wurde ich von einem Jüngeren abgelöst.“ Oder vielmehr erlöst. Rupert Rieger lacht dazu, winkt ab, schaut aus dem Fenster, irgendwo in die Ferne, schlägt die Beine übereinander, lehnt sich zurück.
„Ich bin zu aufgeschlossen, um etwas als fremd zu empfinden“
Von einem Jüngeren abgelöst zu werden, das kennt Rupert auch aus dem Privatbereich. Unten in seinem Elternhaus ist das Atelier, oben wohnt er mit seinen Kindern Quirin und Anna. Noch ist er nicht geschieden, aber bald. Und demnächst wird seine baldige Exfrau wieder heiraten. Er spricht gelassen über den Bruch in seinem Leben. Damit kennt er sich aus. Es war seine zweite Ehe. Beide Male wurde er verlassen. „Eine Schauspielerin hat das so begründet: ‚Du bist zu lieb.'“ Er selbst denkt an den Gewöhnungseffekt, der irgendwann bei jeder Beziehung eintritt und schwört sich gleichzeitig, so zu bleiben, wie er ist. „Ich war zwanzig Jahre lang mit einer Feministin verheiratet,“ sagt er über die Mutter seiner Kinder. „Ich liebe Frauen – und hätte nie schwul werden können. Aber Feministinnen können auch militant sein.“ Er sagt das ernsthaft und gleichzeitig mit einem zwinkernden Auge, bevor er weiter über Mütter sinniert. Seine eigene floh einst aus dem Sudetenlang nach Bayern. Schon allein deshalb sieht sich Rupert als Weltbürger. Die aktuelle Flüchtlingssituation betrachtet er global, „ich sehe die Zusammenhänge.“ Und: „Ich bin zu aufgeschlossen, um etwas als fremd zu empfinden.“
Genauso, wie er die Zusammenhänge in seinem eigenen Leben sieht. Als später Vater hatte er das Gefühl, alles erlebt zu haben. Deshalb war er bei beiden Kindern daheim, während seine Frau arbeiten ging. Nebenbei blieb ihm dennoch Zeit, die Ausbildung zum Psychologischen Berater zu machen und für ein Call-Center zu arbeiten. „Die Kinder bedeuten mir alles, die Tochter hat mich fest in der Hand“, gibt er zu. Fest steht für ihn auch: „Ich bin die Mutter.“ Weil: „Was nützt dir das Geburtserlebnis, wenn du die erste Grundschullehrerin siehst?“
Ausstellungen am Theater an der Rott und in Österreich
Früher hat Rupert Rieger seine Fotos regelmäßig im Kloster Hebertsfelden ausgestellt. Die Zeiten sind vorbei: „Ich stelle nicht mehr in Deutschland aus. Da stimmt das Verhältnis zwischen Miete und Verkauf einfach nicht.“ Eine Ausnahme ist das Theater an der Rott, wo im ganzen Haus seine Dauerausstellung „Presseuntauglich“ zu sehen ist. Und seine Fotos sind regelmäßig in Österreich zu sehen. Im Zillertal im Europahaus sowie in der Herzogsburg in Braunau.
Genialer Artikel über einen genialen Künstler – ja, so is er!