Andrea Pichlmaier-Jakob: die mobile Friseurin von Münchsdorf
+++ Hier gibt’s Neues von Andrea +++
Sie lacht, hält Schere und Kamm in einer Hand, holt ein paar alte Geschichten hervor, schnipp – die ersten Haare fallen, ringsum duftet es nach Stiefmütterchen und dicken Gänseblümchen und der Kunde hält sich ganz still, während weitere Haare über den glatten Umhang zu Boden rieseln. An der Schere: Andrea Pichlmaier-Jakob, die mobile Friseurin aus Münchsdorf. Unter der Schere: Rainer Wasmeier, seit kleinauf Stammkunde und Gärtnerssohn. Ort des Geschehens: Das Gewächshaus der Gärtnerei. Ganz normal. Andrea schneidet dort die Haare, wo es ihre Kundschaft wünscht.
„Ich begleite meine Kunden über Jahre“
Im Kofferraum von Andreas Auto stehen Körbe mit Werkzeug: Zum Schneiden und Fönen, zum Haareaufdrehen, Dauerwellelegen und Färben, Spangerl, Bürsten, Einweghandschuhe. Seit 14 Jahren fährt die Friseurmeisterin zu ihren Kunden nach Hause und macht ihnen die Haare schön. Manche kommen auch zu ihr heim, dann wird in der großen Wohnzimmerküche mit Aussicht geschnitten. Und manche, wie Rainer, lassen sich direkt im heimischen Betrieb verschönern. „Weißt noch, Rainer, wie Du als kleiner Bub immer vor mir davongelaufen bist?“ fragt Andrea und lacht herzlich. Rainer nickt: „Mich haben die Haare im Nacken immer so gebissen.“ Heute ist Rainer 18 Jahre alt, trägt die Haare nach einer langen Phase wieder kurz und macht demnächst sein Abitur.
„Das ist das Schöne,“ sagt Andrea. „Ich erfahre immer viel aus dem Leben meiner Kunden und begleite sie oft über Jahre.“ Sie bürstet Rainer den Nacken frei, damit auch ja nichts beißt, nimmt ihm den Umhang ab und redet noch ein paar Worte mit seiner Mama. Rainer macht sich währenddessen über die Käsesahnetorte her, die Andrea mitgebracht hat. Andrea packt ihre Siebensachen ein, schlägt den Kofferraum zu. Heute sind genug Haare geschnitten, Feierabend. Immerhin waren früher am Nachmittag schon die Bio-Mädels da. Brigittes Spitzen mussten geschnitten werden. Die Bio-Mädels!
Bunt, einladend, unbeschwert
Brigitte Schneiderbauer und Angela Naneder hat Andrea beim Einkaufen in ihrem Arnstorfer Bio-Laden „Rundum gsund“ kennengelernt. „So läuft es oft, so ist es auch mit der Gärtnerei gegangen,“ sagt die Friseurin. „Und manchmal entstehen daraus Freundschaften.“ Die Schwestern kommen im Doppelpack, samt den beiden Kindern. Alle sitzen um den großen Tisch, trinken Kaffee und Biosaft, essen Käsesahne und plaudern erst mal, bevor es an den Haarschnitt geht. Andrea lebt vegetarisch, „wegen den Tieren und aus ökologischen Gründen.“ Darum kauft sie auch die meisten Lebensmittel im Bioladen ein. Oder auch gern im Weltladen.
Ein Schildchen am Fenster verkündet ganz richtig: „Die besten Partys finden in der Küche statt.“ Den Tisch schmücken Tulpen, überall stehen bunt bezogene Stühle und Sessel, mitten im Raum baumelt eine Schaukel, auf der Treppe spielen die Katzen Karl und Otto, dort und da hängen farbenfrohe Bilder, manche von Franz Spring alias Franz Frühling, Andreas gutem Freund, manche von ihr selbst gemalt, wie die große Pusteblume. Es ist bunt, einladend, fröhlich, unbeschwert. Ganz anders, wie es Andrea oft geht.
„Was werden wohl die Leute sagen?“
Dann lacht sie nicht so viel, dann ziehen sich die Farben zurück. Dann packen sie die Angstzustände wieder. Andrea rührt ruhig in ihrer Kaffeetasse, zupft an ihrem bunten Halstuch. Seit letztem Jahr ist sie wieder in Therapie, „wie vor zehn Jahren schon mal.“ Da hatte sie die Angstattacken zum ersten Mal kennengelernt. Sie will offen darüber sprechen, weil sie findet, dass es kein Geheimnis sein muss, wenn man sich professionelle Hilfe holt, weil man alleine nicht mehr weiterweiß. „Jeder hat seine Probleme,“ sagt sie. Und in der Therapie kommt sie ihren Problemen mit Unterstützung auf die Spur.
Das einengende Elternhaus, die ständigen Warnungen der Eltern, wenn sie sich Freiheit verschaffte – sei es auf dem Rennrad oder dem Motorrad. Das ständig schwebende Damoklesschwert namens „Was-werden-wohl-die-Leute-sagen? Wie kann ich es allen immer recht machen?“ Inzwischen ist Andrea darüber hinweg, sie lacht: „Mein Therapeut sagt: „Wenn die Leute Schlechtes über Sie reden, wissen Sie, dass Sie alles richtig machen.“ Ich freue mich riesig, dass ich einen so tollen Therapeuten gefunden habe – da hatte ich echt Glück.“ Sie erzählt über Gespräche, die an die Substanz gehen – oft tränenreich, aber auch mit einer gewissen Komik und Ironie, über ihre kleineren und größeren Fortschritte und Erkenntnisse – und ihrer schwere Erfahrung von damals, als die Panikattacken erstmals auftauchten.
Zwischen Angst und Lebensmut
Da war Andrea schwanger. Von Günther, mit dem sie damals schon jahrelang zusammen war. Aber ein Kind, das machte Andrea Angst. Wie sollte ihr Leben dann aussehen, wie sollte sie das alles schaffen, sie, die ihren Beruf so gern hatte und immer wieder ihre kleinen Fluchten brauchte? Und dann musste sie nicht mehr nachdenken über die Frage. Bei einer Vorsorgeuntersuchung waren keine Herztöne mehr zu hören, das Kind war gegangen. Für eine Ausschabung war die Schwangerschaft schon zu fortgeschritten, Andrea musste ihr verstorbenes Kind zur Welt bringen. Sie schweigt kurz und lächelt schief: „Ich hab das damals niemandem erzählt. Nachdem ich aus dem Krankenhaus gekommen bin, hab ich einfach weitergearbeitet.“ Und die Panik, die sich schon in der Schwangerschaft angekündigt hatte, verfolgte sie weiter.
Warum sie jetzt wiedergekommen ist, diese Panik, die alle Fröhlichkeit verschwinden lässt – darüber kann Andrea nur mutmaßen: „Wir haben recht lange gebraucht, bis unser Haus fertig war, weil wir viel selbst gemacht haben. Immer wieder gönnten wir uns ‚kreative Pausen‘, packten unsere Rennräder und fuhren einfach los. Stunden, Tage, manchmal Wochen. Es hat nichts pressiert, weil wir die Wohnung im Haus meiner Eltern hatten.“ Irgendwann war es aber doch fertig, das eigene Haus – und Andrea konnte nach 40 Jahren endlich ihr elterliches Nest verlassen. „Jetzt bin ich frei. Ich weiß, dass manche Konflikte besser in der Pubertät hätten stattfinden wollen.“ Da kann man schon mal Panik bekommen. Andrea nimmt’s gelassen. Sie fühlt sich wohl in der Therapie und trotzdem, dass die Angst ein gewisser Begleiter ist, ist auch immer der Lebensmut an ihrer Seite.
„Hier rührt sich immer was“
Da ist natürlich Günther, da ist ihr Beruf, da sind ihre Freunde. Dazu die lustigen Katzen und der wilde Garten, den Andrea so liebt. Und da ist das schöne Haus, das genau so ist, wie Andrea es sich vorgestellt hat: „Hier rührt sich immer was. Wir haben viel spontanen Besuch und lieben das.“ Im Haus hängen Zettel mit ermutigenden Sätzen – kleine Mantras, die Andrea immer wieder daran erinnern, was wichtig für sie ist. „Man kann mit dem Kopf viel verstehen – aber es dauert, bis die Erkenntnisse in Fleisch und Blut übergegangen sind,“ sagt sie. Und sie fügt hinzu: „Das Leben läuft nicht immer geradlinig. Es gibt immer wieder Erlebnisse, die es zu verdauen gilt.“
Damit dieses Verdauen leichter fällt, hat sie sich fest vorgenommen, wieder mehr auf sich zu schauen und so zu leben, wie es ihr gefällt, ohne übertriebene Rücksicht auf andere. Rennradfahren am Gardasee, ein Urlaub in Amsterdam – und Garteln, das liebt sie. Kräuter und Gemüse selbst ziehen, Lagerfeuerabende und Grillen, darauf freut sie sich. Andrea ist froh, dass ihr ihre Arbeit so viele Freiheiten lässt: „Ich kann von jetzt auf gleich tun, was ich will und zwischendurch ein bisschen Haareschneiden,“ sagt sie und lacht. „Meine Kundschaft kennt mich und begrüßt mich auch gern im Gartengewand.“
„Ich muss keinen Laden unterhalten“
Andreas älteste Kundin ist 96 Jahre alt, lebt allein und versorgt sich noch selbst. „Mit ihr habe ich die schönsten Gartengespräche,“ sagt sie. Außerdem wollen viele junge Familien von Andrea einen Haarschnitt, „weil Kinder oft nicht so gern zum Friseur gehen.“ Daheim ist es einfach anders. Das finden auch viele Männer, die sich die Zeit nicht nehmen wollen, extra zum Friseur zu gehen. So wie der Förster, der sich im Herbst immer einen Bart wachsen lässt, um den Kindern als Nikolaus einen überzeugenden Besuch abstatten zu können. Dieser Heimservice hat sich für Andrea gleich gelohnt – die Nachfrage war sofort da, ihr Angebot hat sich schnell rumgesprochen. „Und ich habe den Vorteil, keinen Laden unterhalten zu müssen,“ sagt sie.
Sie genießt die Hausbesuche, mag es, wenn Kinder herumwuseln. Eigene Kinder wollte sie nach ihrer schicksalshaften Erfahrung nicht mehr. „Ich mag aber kleine Kinder – und ich glaube auch, dass sie mich mögen,“ sagt Andrea. „Bestimmt spüren sie, dass ich Geduld habe. Nicht nur beim Haareschneiden.“ Lieber als Kinder hätte sie ein paar Hühner, Schafe und Ziegen – und einen Schuppen, den ihr Mann bestimmt irgendwann baut. Sie lacht. Günther, „Günni“, hat sie damals vor fast 20 Jahren auf einem Motorradtreffen in Österreich kennen gelernt. „Er kam gerade aus Peru, hat sehr gut und sehr verwildert ausgeschaut,“ sagt sie und lächelt. Schnell ist er zu ihr nach Bayern gezogen, er, der Österreicher. Als er sich bei der Gemeinde anmelden wollte, wurde ihm erst mal ein Asylantrag in die Hand gedrückt. Ein Versehen, über das Andrea immer noch herzlich lachen kann: „Inzwischen ist Günther längst eingebürgert – und er musste auch keinen Deutschkurs machen.“
„Midlife-Crisis ist ein blödes Wort“
Und hätte er doch gemusst, wäre er bei Andrea genau richtig gewesen. Über die Arnstorfer Flüchtlingshilfe hat sie Deutschkurse gegeben, „weil mich die Geschichten der Leute interessiert haben, die hier ohne Heimat angekommen sind.“ Das Unterrichten hat ihr Spaß gemacht und so mancher Kontakt blieb erhalten. „Es ist schön zu spüren, wie sich die Kulturen im gegenseitigen Kontakt öffnen,“ sagt Andrea. Sie ist überzeugt, dass es nur so geht. So manches Mal saßen sie und Günther mit Asylbewerbern ums Feuer in ihrem Garten – und auch sie wurde eingeladen.
Offen sein für’s Leben – das ist gewissermaßen Andreas Devise, die sie auch durch schlechte Zeiten bringt. Neues ausprobieren, obwohl es manchmal Angst macht. Neulich war sie spontan demonstrieren, in Passau, gegen den Agrarwahnsinn. Heuer will sie wieder mal in ein Flugzeug steigen, trotz fieser Flugangst. Oder auf ein Konzert gehen. Oder doch wieder mal malen. „Ich bin wieder mal in einer Selbstfindungsphase. Midlife-Crisis ist ein blödes Wort,“ sagt Andrea und lacht. Und wenn’s wieder mal gar nicht auszuhalten ist, singt sie einfach. Momentan gern Hans Söllner, „Hey Staat, hey Staat, hey Staat.“
Neues von Andrea
Andrea sitzt auf der Stufe ihrer Terrasse in der Frühlingssonne. Sie blinzelt in den Garten, der langsam zum Leben erwacht. Der Star balzt, die Meisen turnen in den Bäumen und die beiden Kater Karl und Otto scherzen auf der Wiese. Andrea lächelt, trinkt ihren Kaffee und sagt: „Es hat sich viel getan nach diesem Jahr. Es geht mir noch besser.“ Das ganze Jahr über war sie in Therapie und hat noch mehr von sich selbst kennen gelernt. Inzwischen weiß sie über ihre Muster Bescheid. Verfällt sie doch wieder in den alten Trott, kann sie sich viel schneller wieder aus dem Sumpf herausholen.
Andrea lacht, sie wirkt friedlich mit sich selbst. Dazu beigetragen hat auch ihre Arbeit. Nach wie vor schneidet sie ihren Kunden mobil die Haare – aber inzwischen hilft sie auch im Salon Heidi in Arnstorf aus. „Im Bioladen hab ich Heidi getroffen – bei ihrer Mama ging ich in die Lehre. Und Heidi hat mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, hin und wieder bei ihr zu arbeiten,“ erzählt Andrea. Zunächst verspürte sie freudige Aufregung über das Angebot, dann holten sie die alten Zweifel wieder ein. Würde sie noch gut genug sein? Wie würden die Kunden reagieren?
„Ich habe gelernt, offen zu sein“
Sie erinnerte sich an die einstige strenge Chefin, an ihre nicht immer leichte Zeit als Lehrmädel. „In der Arbeit begleiten mich auch heute noch die handwerklich eintrainierten Muster aus der Lehrzeit. Und im Kopf gibt es diese Muster eben auch noch,“ sagt Andrea nachdenklich. Nach einer Stunde beim Therapeuten wusste sie aber: „Ich mach’s. Und ich habe großen Spaß mit meinen Friseur-Mädels. Wir sind Freundinnen geworden.“ Durch diesen Schritt hat Andrea nochmal viel aufgearbeitet. Die Angst, nicht gut genug zu sein, das fehlende Vertrauen in sich und die Welt, das alte Muster, schön still sein zu müssen – mit all dem geht Andrea heute lockerer um.
Ihr Psychologe ist mittlerweile umgezogen. Momentan ist sie nicht mehr in Therapie und kommt gut zurecht. „In der Therapie hab ich viel gelacht und geweint,“ sagt sie. „Ich habe gelernt, offen zu sein, selbstverständlich angenommen zu werden, ohne was leisten zu müssen. Ich darf ich selbst sein. Und ich kenne mich heute viel besser als vor der Therapie.“
Dieses wörtlich neue Selbst-Bewusstsein hat Andrea gleich bei Hannes Höchsmann erprobt. In seinem Eggenfeldner Studio ließ sie sich erst schminken, dann fotografieren. „Mein erster Impuls war Begeisterung. Dann war ich wieder sehr selbstkritisch – sah Röllchen und Falten. Schnell hab ich aber die alten Muster enttarnt und gebe jetzt offen und gerne zu: ich gefalle mir. Ich darf zufrieden mit mir sein. Und ich darf Komplimente für bare Münze nehmen.“