Elma Esrig: „Sei eigen-artig und mehr Du selbst“

Nach über einem Jahr fahre ich wieder die holprige Kiesstraße, den Alten Steig in Neuburg am Inn bis zu ihrem Ende, wo sich der altehrwürdige Hof befindet. Ringsum ist es grün, es erstrecken sich Pferdekoppeln, ein Kirschgarten, Wald, Stille. Als ich den Hof betrete, scharren ein paar Hühner herum und verbreiten eine friedliche Stimmung, die keine Eile kennt. Anders wird es, als Elma mit Hund Jim, mittlerweile ein ausgewachsener Jungspund, aus dem Haus kommt – die Energie der beiden ist mit jedem Schritt spürbar, fast sprühen kleine Funken um sie herum…

Nach der herzlichen Begrüßung gehen wir ins Holzhaus, nehmen Platz in der Stube am Holztisch, heimelig duster ist es hier, die Balken und Dielen atmen Geschichte, Elma atmet Feuer, ihre Augen leuchten lustig und ihre Locken sind zwar um einiges kürzer als bei der ersten Begegnung, unterstreichen aber noch genauso ihre wirbelige Art, die in ihrem Gesicht Konzentration findet. Jim hat mit seiner Hundefreundin Wanda hinter dem Ofen Platz genommen, ruht sich ein wenig aus. Elma sitzt da, spricht mit den Händen, eine sich wandelnde Frau, die voriges Jahr ihr Angebot noch mit „Kentaur Pferdetraining“ anpries und jetzt mit ihrem Namen dazu steht, was sie kann. Dazu der Slogan „Be the Difference“. Warum es genau die Essenz beschreibt, zu der Elma gefunden hat, wird sie noch erzählen. Zunächst bringt sie aber auf den Punkt, was sie eigentlich macht: „Ich trainiere Führungskräfte und Privatpersonen mit meinen Pferden. Das nennt sich Präsenztraining. Dazu halte ich Vorträge und gebe Kurse – auch online.“

„Pferde wollen mit uns zu tun haben“

Wie Elmas Präsenztraining aussieht, hat sie mir vor einem Jahr ganz praktisch und eindrucksvoll gezeigt. Kalt war es damals in der Halle, kalt, still und klar: Eine kleine Frau und ein großes Pferd. Schnaubender Atem, der sich dampfend in der Winterluft zeigte. Dumpf dröhnten die Hufe auf dem Sandboden der Halle, als das Pferd in den Trab fiel, es der Frau nachmachte. Ohne Berührung, ohne Worte spielten die beiden zusammen. Die Frau hielt plötzlich an, das Pferd tat es ihr nach, schaute sie an, wartete auf den nächsten Vorschlag, schmiegte seinen Kopf an den ihren. Die Frau nahm ihre Körperspannung wieder auf, schob das Pferd mit unsichtbarer Kraft von sich weg und das Spiel begann von vorn…

Elma arbeitet ohne Zügel und Lounge, ohne Berührungen mit der Gerte und Kommando oder Signal. Sie nutzt die Sprache der Pferde selbst, die grundlegend über die Körperspannung kommunizieren. Auch ihre Mimik und die Bewegungen entspringen dieser inneren Energieveränderungen. „Stell Dir vor, Du würdest nur mit den Hüften einen Einkaufswagen schieben. So trittst Du dem Tier entgegen und führst es,“ hat sie gesagt. Und es funktionierte – Kairon war an mir interessiert, folgte mir und blieb stehen, wenn ich Halt machte. Elma hat wissend gelächelt: „Pferde wollen mit uns zu tun haben.“

Das Bild des Kentauren mag Elma immer noch – Mensch und Pferd in einem Wesen vereint. Doch steht sie nun ganz anders da, hat es gewagt, sich mit ihrem Namen zu zeigen, sich nicht mehr verstecken oder gar schützen zu müssen. Die Veränderungen sind auch der speziellen Zeit geschuldet, die auch sie bewegt hat. „Der erste Lockdown war wie im Märchen. In der Stille hat sich viel entwickelt, das war wir ein Katalysator. Viele Kund:innen haben aufgrund wirtschaftlicher Probleme mit dem Reitsport aufgehört, andere haben sich umorientiert, andere konnten sich aufgrund der Auflagen nicht mehr um ihr eingestelltes Pferd kümmern,“ erzählt die 53-Jährige.

„Wie schaffe ich es, zu wirken?“

Da Elma das Pferdetraining nebenberuflich anbietet, hatte sie zwar keine finanziellen Einbußen zu befürchten, schade fand sie es aber dennoch. Lange sollte die Lücke aber nicht klaffen. Corona brachte eine Bewegung mit sich, die wohl alle Menschen auf die ein oder andere Weise betraf: Die Beschäftigung mit sich selbst, mit dem eigenen Leben. Was macht man? Warum macht man es? Und wer ist man eigentlich? „Dann kamen plötzlich andere Kund:innen, die sich um die eigene Entwicklung und Persönlichkeit kümmern wollten,“ beschreibt Elma die Situation. „Auf diese Strömung habe ich reagiert.“

Hatte Elma zuvor fast nur Klientel, das mit Pferden zu tun hatte, kamen nun immer mehr Anfragen von Menschen, die keinerlei Bezug zu den schönen Tieren hatten. Wenn Elma ehrlich zu sich selbst ist, hat sich diese Entwicklung bereits vor ein paar Jahren angebahnt. Seit 2014 bietet sie für Schauspielschüler:innen pferdegestützte Sensibilisierung an. Dazu muss man wissen, dass sie selbst seit 26 Jahren Schauspielunterricht gibt. „Wie schaffe ich es, so bei mir zu sein, dass ich die Wirkung anderer wahrnehme und selbst wirke?“ – so beschreibt sie die Zielfrage des Präsenztrainings.

„In jeder Bewegung, jeder Geste, ja, in jeder Mimik steckt ein energetischer Kern, der dem Ausdruck Stimmigkeit verleiht – oder eben nicht. Dann ist dieser nur einstudiert, eine Kopfgeburt ohne Leben und Feuer. Der Zugang und die Meisterung dieser inneren Energie, die sowohl mental als auch körperlich ist, macht für mich die Grundlage der darstellenden Kunst aus.“ Mit „mental“ meint Elma Vorstellungsbilder, Absichten, Wünsche und Emotionen, mit „körperlich“ spricht sie unterschiedliche Spannungszustände und Positionen im Raum und zum Partner an.

„Ich brauchte den Blick durch die anderen“

Bislang waren das in Elmas Kopf zwei Bereiche: die Pferdeleute und die Schauspieler. Und nun auch noch Menschen, die weder schauspielern noch Pferde haben… Präsenztraining für alle! Nicht lange nach unserem ersten Gespräch wuchs in ihr der Wunsch, mehr aus dem zu machen, was sie kann. Sie bat ihre Kund:innen um Feedback und bekam Überraschendes zu hören: „Erst dann habe ich überhaupt verstanden, was ich mache und den Wert meiner Arbeit erkannt. Anfangs hatte ich nur im Blick, dass das Training den Pferden und mir selbst gut tut. Jetzt hatte ich es auch schriftlich, dass sich für sie durch das Training entscheidende Erfahrungen und neue persönliche Möglichkeiten eröffnen.“

Manfred Antesberger kommt herein, Elmas Mann, schreitet mit großen Schritten und leisem Hallo durch die Stube, um sich einen Kaffee zu machen. Er ist mit feinem Holzstaub bedeckt, grade ist er mit seinem neuesten Werk beschäftigt. Manfred baut verschiedenste Kunstgegenstände aus Holz und Eisen, Unikate. Elma nickt nachdenklich: „Ich brauchte den Blick durch die anderen, um darüber konkret nachdenken zu können, was ich geben kann.“ Diese Erkenntnis ließ sie handeln: Aus dem Kentaur Pferdetraining wurde Elma Esrig, „Be the Difference“. Es folgten ein neues Logo, eine neue Homepage, ein neues Auftreten nach außen.

Im angehenden Winter 2021 gesellten sich weitere neue Gedanken dazu. Elma fragte sich: „Wie steht es eigentlich um meine eigene Präsenz? Wie performe ich einen Text?“ Der jahrelange Schauspielunterricht hat sie geprägt, sie hat sich in ihrem Schaffen immer auf andere konzentriert. Nach einer langen Bühnenpause gab es im Dezember die erste Vorstellung mit 15 Zuschauern. Elma erkannte, dass sie noch mehr zu geben hatte: „Ich will alles, was ich bin und kann für alle zugänglich machen.“

„Das konnte ich nicht mit Links machen“

Seit Anfang 2022 bietet Elma also nun auch online ihre Kompetenzen an. Als Testlauf diente ein vierwöchiger Probekurs mit vier Modulen und Nachbesprechung. 37 Teilnehmer:innen wollten wissen, wie sie mit Hilfe von Schauspieltechniken einen Text zum Leben erwecken – also einen Vortrag so gestalten, dass die Audienz nicht schnarchend vom Stuhl fällt oder gar nicht versteht, worum es geht. Die Online-Situation war für Elma zunächst gewöhnungsbedürftig. Zwar hatte sie schon Erfahrung mit Online-Schauspielunterricht gemacht, dies aber stets als Notlösung betrachtet. Nun ist sie sich sicher: Online bleibt. Soll es auch, nachdem sie dafür so manche Hürde überwunden hat. Auch das Feedback des Probekurses hat sie bestätigt, weiterzumachen.

Nachdem Elma die meiste Zeit an der Akademie verbrachte, war erst abends Zeit für ihr neues Projekt übrig. Bis in die Nacht hinein hat sie sich damit beschäftigt, „das war was komplett Neues für mich, das konnte ich nicht mit Links machen.“ Um sechs Uhr endete die Nacht, die Vormittage sind für die Pferde da. Eine intensive Zeit, wie sie rückblickend sagt. „Aber weißt Du, wie das ist, wenn man was gefunden hat, was einem total entspricht? Da setzen sich Energien frei, von denen man vorher nichts wusste.“

Das macht es Elma auch leichter, sich mit Themen zu beschäftigen, die die Neuorientierung mit sich bringt, mit denen sie sich aber bislang nicht auseinandersetzen musste: Marketing, Sichtbarsein in den Weiten des Internets, sich zu verkaufen, ohne ihre Sache zu „verkaufen“. Denn die ist so klar wie nie zuvor in ihrem Leben. Dazu hat sie angefangen zu bloggen, „auf Social Media ist einfach zu wenig Platz. Das geht schnell – ich schreibe, wie ich rede und es macht mir irre viel Spaß.“ Beim Spaziergang mit Jim schoss ihr der Slogan in den Kopf, so einfach, schon so lange da, nur nie ausgesprochen: „Be the Difference.“ Elmas Wunsch: „Nach meinen Trainings sollen die Leute verändert und gewachsen sein, eigen-artiger und mehr sie selbst.“

„Mein erstes Pferd war ein echter Feuerstuhl“

Elma steht auf, ruft Jim von seinem Platz hinter dem Holzofen, zieht sich die Jacke über und geht hinaus auf den Hof. Auf einer Seite leben die Pferde im Offenstall, das ist die ursprüngliche Remise. Im selben Gebäudetrakt hat Manfred seine Werkstatt. Und auf der anderen Seite findet sich das Hühnerhaus und ein weiterer Pferdestall. Sechs Pferde, zwei Hunde, zehn Hühner, ein Hahn und neun Katzen – dazu die Familie: Elma, Manfred und vier Kinder zwischen elf und 19 Jahren. Damit ist der Hof gut belebt, was manch einer für ganz unmöglich gehalten hatte, damals, als das Paar auf das Gebäude stieß.

Das war vor zwanzig Jahren, als Elma und Manfred noch keine Kinder hatten und in Haiming bei Burghausen lebten. Ein Haus in Alleinlage, gern alt – das waren die Bedingungen an eine neue Heimat. Schließlich wurde das Paar fündig – zufälligerweise in Manfreds Elterndorf. Da stand er, der alte Hof, der sich mehr schlecht als recht auf den Beinen hielt. „Mein Mann hat ein gutes Gefühl mit Gebäuden und Gegenständen,“ sagt Elma. Und so kam es, dass Elma und Manfred über sieben Jahre lang renovierten, gefördert vom Denkmalschutz, aber viel aus der eigenen Tasche und vor allem mit den eigenen Händen. Nach und nach kamen die Kinder und schließlich zog die Familie ein.

Damals hatte sie mit Pferden noch gar nichts am Hut. Ja doch, als Kind hatte sie schon Reitunterricht, aber ein Pferdemädchen war sie trotzdem nie. Der Kontakt zu den großen Tieren riss ganz ab, als sie in der Pubertät merkte, dass es nichts Gutes war, was da zwischen ihr, dem Reitlehrer und den Pferd geschah: „Da habe ich zum ersten Mal das Ausnutzungsverhältnis der wunderschönen Eigenschaften der Pferde gespürt, ohne das damals benennen zu können.“

Erst als ihr Sohn reiten wollte, kam sie wieder in Berührung mit den Tieren. So intensiv, dass auf dem Hof schließlich vier Pferde lebten: „Pferde sind Herdentiere und brauchen Gesellschaft. Und wenn einer ausreitet, wäre ja eins allein – wenn zwei ausreiten, wäre ein drittes Pferd allein. Also hatten wir vier!“ Das klingt logisch und Elma lacht, als sie weitererzählt: „Mein erstes Pferd namens Cara war ein echter Feuerstuhl und mir zitterten ein jedes Mal die Knie. Bis ich wusste, dass ich ohne Unterstützung nicht weiterkommen würde.“

Nach einiger Suche fand sie die Hilfe, die sie sich wünschte: Eine Horsemanship-Trainerin, deren Ziel es war, Mensch und Tier einander näher zu bringen. Elma war so begeistert von der so ganz anderen Herangehensweise, dass sie sich selbst ausbilden ließ. Nach einem Jahr intensiver Arbeit mit ihrer Herzensstute zeigte sich, dass sich Mensch und Tier nun wirklich nahe waren.

„Pferde reden mittels Energie“

Jetzt klopft sie Andrej den Hals, er schmiegt sich an sich, genießt die Aufmerksamkeit. Um die Bäume kreist ein Falkenpärchen, das bald in der Scheune brüten wird, so wie seit vielen Jahren. „Pferde reden mittels Energie,“ sagt Elma. „Jedes Pferd hat eine andere Art, sich auszudrücken, sie haben ihr eigenes Wesen. Pferde denken, das sehe ich ihnen inzwischen direkt an. Ich sehe, wie sie über Probleme nachdenken. Bei Pferden sind Gedanken emotional behaftet. Und man kann sie zum Staunen bringen, wenn etwas Positives geschieht, mit dem sie nicht rechnen.“ Elma erzählt und dabei spricht die Liebe direkt aus ihren Augen.

Weiter geht es zur Koppel auf der Kirschbaumwiese, wo sich Kairon und Galeon den Platz teilen. Elma weist darauf hin, was Kairon allein mit seiner Körpersprache ausdrückt. Er zeigt Galeon die Seite, drückt so klar aus, dass er jetzt das Sagen hat. Galeon kommt nicht näher, obwohl auch ihn interessiert, was hier vorgeht. Da ist Elma und dann ist da noch die Unbekannte, die eine Kamera in der Hand hat. Was da wohl vor sich geht? Elma betritt die Koppel, möchte die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, was nicht sofort funktioniert. In ihrer Arbeit behält sie immer die Freiwilligkeit der Tiere im Auge, denn sie weiß: Da gibt es nichts, das erst erzwungen werden muss, der Wille zur Zusammenarbeit ist bereits da. „Dafür muss man aber was bieten,“ sagt sie. „Das Ergebnis muss sich für das Pferd gut anfühlen. Sicherheit ist für ein Herdentier am wichtigsten – und Spaß. Pferde lieben Spaß!“

Spaß haben Kairon und Galeon allein schon deshalb, weil sie die Neugierde kitzelt. Und schließlich gelingt es Elma, beide zu sich zu lassen, das Interesse zu halten, die kleine Frau und die großen Tiere, mit denen sie so viel verbindet. Mit denen sie jetzt in diesem Moment Eins ist auf der Kirschbaumwiese. Auch das Reiten empfindet sie als Einssein, so als ob ihr Becken im Pferderücken versinken würde, als ob ihre Beine zu den vier Beinen des Tieres würden, als ob ihr Brustbein mit dem Widerrist des Pferdes verbunden wäre. Ein Kentaur eben, halb Pferd, halb Mensch.

Elma schlüpft wieder aus der Koppel, die Pferde schauen ihr nach, Hund Jim freut sich, nun wieder die Nummer eins bei Frauli zu sein. „Es fühlt sich gut an, in einem neuen Land angekommen zu sein. Ich fühle mich wohl, herausgefordert und wertgeschätzt,“ sagt Elma, als wir uns verabschieden und sie ihre Entwicklung noch einmal resümiert. Analog und digital, mit Tier und Mensch.

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Be the Difference

Elma Esrig

Telefon: +49-160-93113927
Anschrift: Alter Steig 15
94127 Neuburg am Inn

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