Lea Spreng: „Ich bin eine Haferldreherin, keine Künstlerin“
Schwanzwedelnd begrüßen die beiden Schäferhunde Dorka und Bubi Besucher in der Werkstatt von Frauli Lea Spreng. Die sitzt bei Radiomusik an der Drehscheibe, hat ein Handtuch über den Schoß gebreitet und formt Henkel, die den großen Tassen auf dem Brett nebenan noch fehlen. Die grauen, langen Haare hat sie locker zum Pferdeschwanz gebunden, die Fleecejacke wärmt sie neben zwei Gasöfen, dazu die Tasse Kaffee, die ihr Mann Klaus bringt, ohne Milch, aber mit Zucker. Lea rückt die Brille zurecht und erzählt aus ihrem 66-jährigem Leben, „so alt hättest Du mich nicht geschätzt, oder?“
Ihre Mundwinkel umspielt immer wieder ein Lächeln, das hinter ihrer vordergründigen spröden Art eine große Herzlichkeit verrät. Ihr Blick aus den grünen Augen ist direkt, aber auch weich und sie sagt ganz unbedingt, was sie denkt, klar, deutlich, mit Nachdruck, entrüstet, dann auch wieder nachdenklich. Die Hunde nehmen unter dem großen Arbeitstisch Platz, auf dem sich Glasuren, Pinsel, Töpfchen, gegossene Figuren drängen. Lea ist ausgebildete Keramikerin und heißt eigentlich Kornelie Kempter. Kornelie, weil das ihr „richtiger“ Name ist, den sie aber schon als Kind nicht mochte und sich kurzerhand Lea nannte. Und Kempter, weil sie mit Klaus verheiratet ist und seinen Namen angenommen hat. Geboren wurde sie als Kornelie Elisabeth Friederike Maria Henriette Spreng – alle Verwandten wollten ihren Namen unterbringen. Ach, Namen, was soll’s – Lea ist Lea.
„Ich wurde als wildes Kind ins Allgäu verschickt“
Die Hunde springen auf, als Klaus aus dem Wohnbereich kommt, um in seine Werkstatt zu gehen – dort, wo keine Keramik hergestellt wird, sondern Autos repariert, Teile sortiert und für den Verkauf bereit gemacht werden. Eine gemeinsame Leidenschaft des Paares, ebenso wie die Hunde, immer Schäferhunde, immer aus dem Tierschutz. In wenigen Wochen wird sich ein dritter Hund hinzugesellen, Ella, ein ehemaliger Bombenspürhund aus Serbien. „Meine Tierliebe habe ich von meinem Opa. Der hat sich ausgedienten Polizeihunden angenommen,“ sagt Lea und biegt einen Henkel zurecht.
Lea ist keine gebürtige Rottalerin, weshalb sie anfangs Zweifel hatte, ins Format zu passen. Sie wurde in München geboren, ist im Allgäu aufgewachsen, beim Onkel und der Tante, ihren zwei Cousins und zwei Cousinen. „Ich wurde als wildes Kind ins Allgäu verschickt,“ sagt sie sachte schmunzelnd. „Heute würde man bei mir wohl ADHS diagnostizieren.“ Sie pendelte zwischen dem Allgäu, das sie als ihr Daheim ansah und München, immer wieder zu den Eltern, die nicht gut zurecht kamen mit ihrer Tochter, die weder angepasst noch biegsam war, sondern ihren ganz eigenen Kopf hatte. „Ich hatte ein Leben außerhalb der Familie, bin mit 17 ausgezogen, weil ich vieles nicht mehr ertragen habe. Lieber war ich allein in der Natur unterwegs oder habe mit meinen Tanten Kräuter gesammelt.“
Ihr Vater, Professor Blasius Spreng, ein Künstler, der es mit Malerei, Bildhauerei, Mosaikkunst und Glasmalerei zu was brachte, unter anderem den Mainzer Fastnachtsbrunnen gestaltete, Aufträgen hinterherjagte und dozierte, wollte gern eine Künstlerin aus Lea machen. Die hatte hingegen anderes im Sinn: Automechanikerin – zu einer Zeit, in der sich ein derartiger „Männerberuf“ nicht für ein Mädchen schickte. Daraus wurde also nichts – aber auch nicht aus dem Kunststudium, das ihr der Vater ans Herz legte. Ein paar Semester in Wien und München, ein paar heftige Auseinandersetzungen mit den Professoren und vorbei war es mit Leas Hochschullaufbahn. Zu der Zeit hatte sie sich bereits mit allen Kunsthandwerksdisziplinen auseinandergesetzt, die der Vater praktizierte. Alles war ganz interessant, gebrannt hat Lea aber nur für die Keramik. Also ließ sie sich ausbilden, machte 1974 ihre Gesellenprüfung und wollte gleich hinten die Meisterin dranhängen. Das nötige Kleingeld dazu hatte sie nicht, also tingelte sie ein wenig durch Europa, Portugal, Spanien, Italien, ein Jahr Florenz, wo sie eine „Art italienischen Meister“ machte, der in Bayern aber nicht anerkannt wurde.
Lieber erarbeitete sie sich ihr Leben…
Ärgerlich für Lea, die immer Power hatte, nichts ausließ: „Ich hörte immer: Erst denken, dann reden.“ Lea lacht auf, in ihren Augen steht deutlich geschrieben, wie sie hinter ihrer Eigenart steht. In ihren Händen liegen Ruhe und Kraft, während sie die Henkel an den großen Tassen befestigt. Über ihren Vater hatte sie die Möglichkeit, Lehrlingswart zu werden und damit die Erlaubnis, doch auszubilden. Schon im Jahr 1970 hat sie sich selbstständig gemacht – Lea feiert heuer also ihre 50-jährige Selbstständigkeit.
So widersprüchlich das Verhältnis zu ihren Eltern, so anders sie dachte und leben wollte, so nützte ihr der Name ihres Vaters aber auch zu ihren Vorteilen. Lea wusste das und scheute nicht, zu gegebenen Anlässen darauf zurückzugreifen. Mit der Vorstellung „Ich bin die Tochter von Professor Blasius Spreng“ wurde ihr so manche Tür geöffnet – und Lea trat mit einem Lächeln ein, triumphierend und durchaus ein wenig das Geknickse vor Obrigkeiten verachtend. Ein Triumph bedeutet für Lea bis heute nicht Ruhm und Ehre. Vielmehr die Freude an der Unabhängigkeit und das zu tun, wofür ihr Herz wirklich schlägt. Und das war eben nie das Wandeln in Künstlerkreisen, das Sonnen im eigenen Licht, das Tänzeln in Fußstapfen. Lieber arbeitete Lea mit ihren Händen, lieber erarbeitete sie sich ihr Leben. Sie verbrachte fünf Sommer auf einer Alm und hütete Kühe, „um Ausdauer zu kriegen“, wie sie sagt. Immer hatte sie eine Werkstatt, in der sie ihre Keramiken herstellte, sich weiterbildete und weiterentwickelte, mit Glasuren und Techniken experimentierte.
„Mein Vater war ein guter Künstler“
So eigensinnig sich Lea entwickelt hat, so stark ist auch die Verbindung zu ihrer Familie spürbar, auf die sie beim Erzählen immer wieder zurückkommt, nachdenklich, kritisch und doch auch anerkennend. „Mein Vater war ein guter Künstler,“ sagt sie und nickt, während sie den Henkel an der letzten Tasse für heute befestigt. Und da gibt es noch ihren Bruder Martin Spreng, der als Goldschmid in Paris lebt. Und die Halbschwester Henrike Caspary, die unter anderem die drei schlummernden Löwen im Birnbacher Kurpark entworfen hat. Die Sprengs und die Kunst lassen sich nicht trennen, auch wenn sich Lea nicht als Künstlerin, sondern als Haferldreherin bezeichnet.
Mit einem hintergründigen Schmunzeln erzählt sie von ihrem ersten Auftrag, Kachelofenfliesen. Für den Lohn hat sie sich ein Dirndl gekauft. „Und wovon kaufst jetzt Deinen nächsten Ton?“ hat der Vater trocken gefragt und seiner Tochter dann doch ausgeholfen. Derweil war Leas handelndes Geschick erwacht. Mit dem Tandeln von Auto- und Motorradteilen und alten Bauernmöbeln hat sie sich ihr Geld neben der Keramik verdient. Die Leidenschaft für Autos lebt sie auch heute noch aus, hat sich mit Klaus auf Alfa Romeo spezialisiert, er schraubt herum und schlachtet aus, handelt und werkelt. Früher, da hat sie der Stiefbruder der Stiefschwester über die Schulter geschaut und sich alles gemerkt, um ja mitreden zu können. Später ist sie im Allgäu Ralley gefahren. Lea lacht trocken, nein, sie hat nichts ausgelassen.
„Er steht immer hinter mir“
25 Jahre lang war sie verheiratet, drei Kinder gingen aus der Ehe hervor. Glücklich wirkt Lea nicht, wenn sie an dieses Vierteljahrhundert zurückdenkt. Ihre Augen beginnen erst zu lächeln, wenn sie von Klaus erzählt, einen Allgäuer, den sie 2005 kennengelernt hat, als sie neben all dem anderen noch ein Spielwarengeschäft in München führte, das sie vom Onkel übernommen hatte. Klaus, der gerade aus der Autowerkstatt zurückkommt, das Käppi tief über die Augen gezogen. Klaus, der ganz anders ist als ihr Mann, wie Lea sagt. „Mit ihm ist es ein Miteinander, das ich mir immer gewünscht habe. Er steht immer hinter mir. Schon nach einem halben Jahr hat er gesagt, dass er mit mir alt werden möchte.“
Lea wischt sich die Hände ab, steht auf, zeigt die Regale voller Keramiken, die noch auf die Glasuren warten. Tassen, Teller, Figuren für den Frühling, Gartenkugeln, Schalen… Nebenbei erzählt sie weiter von ihrem Leben mit Klaus. Zunächst sind sie nach Ichenhausen bei Günzburg gezogen, dann nach Berchtesgaden. „2009 sind wir in Bad Birnbach gelandet und haben mit nichts angefangen. Mit nichts außer einem alten Ofen, einer Drehscheibe, ein paar Formen, Glasuren und Resten von Ton.“ Lea schüttelt den Kopf fast ein wenig ungläubig darüber, was sich in der Zwischenzeit alles getan hat. Das Paar hat das Haus in Leithen gemietet, Leas Werkstatt eingerichtet, dazu die Autowerkstatt, die sie vermieten. Klaus bietet einen Dienstleistungsservice für Haus und Garten an, dazu der Handel mit Alfa Romeo-Teilen.
Leas erster Laden in Birnbach war an der einen Ecke des Neuen Marktplatzes, bevor sie im April 2019 in die andere Ecke in einen größeren Laden zog. Acht Jahre lang war sie auf bis zu 50 Märkten im Jahr unterwegs. „Da habe ich viel Kundschaft gewonnen,“ sagt sie. „Aber dann hat es auch gereicht. Das war anstrengend.“ Da investiert sie ihre Energie heute lieber in ihren neuen Laden. Täglich muss sie die Regale neu auffüllen, die Kunden mögen ihren Stil – die verspielten, farbenfrohen Glasuren, die großzügigen, bodenständigen Formen und auch die fairen Preise für ihr Handwerk. Beim klotzigen Rohton fängt Leas Arbeit an, beim Einwickeln der Stücke in Papier hört sie auf. Dazwischen liegen viele Stunden Handarbeit, viele Schritte, viel Energie.
„Ich mag hier nicht mehr weg“
An der Keramik haben sie schon zu ihren Anfängen die Glasuren in den Bann gezogen. „Damit probiere ich bis heute viel herum. Experimentierfreude gehört dazu,“ sagt Lea. 42 Variationen an Rosen- und Pünktchentassen hat sie erdacht – und wer einen Sonderwunsch hat, bekommt diesen gern erfüllt. Die Keramikmalerei war Teil ihrer Ausbildung. Neben dem Drehen und Formen sitzt sie heute bis zu zehn Stunden am Tag mit ihren Pinseln in der Werkstatt in Gesellschaft der Hunde, der Musik aus dem Radio und hin und wieder einem Kaffee. „Abends mag ich dann gut essen und ein Weißbier. Das ist wichtig – und Hauptsache die Knochen tun morgen noch weh.“ Da lacht sie wieder, ein wenig verhalten und trocken.
An drei Tagen in der Woche wird Lea von Irene Brunmeier beim Verkauf unterstützt. Die beiden Frauen haben sich richtig angefreundet, gehen mittlerweile oft zusammen in die Natur, sei es zum Kräutersammeln im Frühjahr oder zum Schwammerln im Herbst. Die Rottaler brauchen manchmal ein wenig Zeit, das hat Lea schon verstanden: „Mit Arbeit und Fleiß sind wir hier schließlich angekommen. Ich mag hier nicht mehr weg. Das ist mein Zuhause.“ Am Rottal schätzt sie die Natur und die vielen schönen Aussichten, „die viele Luft zum Schnaufen“. Und am Daheim das Miteinander mit Klaus, der ihre Wünsche nach Ruhe und Zufriedenheit erfüllt hat, dazu die Hunde, ihre Arbeit. „Ich möchte nichts in meinem Leben missen,“ sagt Lea, die nichts ausgelassen hat. Auch nicht das Finden einer Heimat.