Wenn aus dem Nichts eine ganze Welt entsteht – Sebastian Goller und das Theater (2)

Während Sebastian im ersten Teil seines Portraits über seine Theaterlaufbahn erzählt, sind wir nun ganz im Hier und Jetzt angekommen. Sebastian Goller schließt die Tür zum Posthalterstadl auf. Es ist schon dunkel, dazu regnet es. Es fühlt sich eigenartig historisch still an, an diesem Ort in Schönau. Die großen Gebäude atmen eine ruhige Schwere. Schon lange stehen sie da…

„Als würde man in einer Kirche Popcorn essen“

Der Posthalterstadl, gleich neben dem Asylbewerberheim, wurde erst vor ein paar Jahren, nämlich 2014, aus seinem sprichwörtlichen Dornröschenschlaf geholt. Zu verdanken ist dies dem Verein Lebensraum Rottal e.V., dessen erste Vorsitzende Mia Goller heißt. Unter dem Motto „Wir lassen die Kultur im Dorf“ passiert hier so allerlei: Konzerte, Kabarett – und eben Theater. Spätestens hier kommt Sebastian ins Spiel.

Er geht hinein ins Gebäude, links eine Stufe hinunter und da ist er, der große Raum mit Gewölbe, Theke und Bühne. Überall verteilt stehen Stühle und Tische, kaum ein Möbelstück gleicht dem anderen. „Das alles haben wir von Freunden und aus alten Wirtshäusern gesammelt,“ sagt Sebastian und setzt sich auf das gepolsterte Sofa ganz hinten im Raum. „Die Vielfalt ist uns wichtig.“ Er zieht an seiner E-Zigarette, lächelt ein wenig in sich hinein. Wenn er seine Ruhe braucht, kommt er hier her. „Ich schreibe alle Stücke hier. Dann mach ich mir ein Bier auf oder schenk mir einen Wein ein. Das ist, als würde man in einer Kirche Popcorn essen,“ sagt er und lacht kurz auf.

Der Raum wirkt. Es ist unsagbar leise, alles spricht für sich. Das Gewölbe schwingt seine Bögen entlang der Decke, die schmalen Säulen tragen den Raum, der Holzboden strahlt Wärme aus und die große Theke Gemütlichkeit. Bis zu 140 Leute haben hier Platz. Mit minimalen Mitteln entstand der Kultur-Ort im Dorf. „Wir mögen die familiäre Atmosphäre,“ sagt Sebastian. Das ist auch der Grund, warum er und Mia hier ihr Hochzeitsfest hielten. Ganz locker und ohne Trara, nur Leute, die sich mögen und Essen und Trinken und Musik.

Auf Augenhöhe: Helferkreis und Asylbewerber

Bevor der Posthalterstadl zum Gollerschen Kulturuniversum wurde, gab es hier Saufpartys, wie Sebastian sagt. „Das Gebäude hat das nicht verdient.“ Das denkmalgeschützte Gemäuer scheint diese Zeiten schon verziehen zu haben. Immerhin hat es schon ein paar Jahre mehr auf dem Buckel und jetzt ist jetzt. Und weil das so ist, sind die Nachbarn Asylbewerber. Da kam man schnell in Kontakt und eins ergab das andere.

Dazu meint Sebastian: „Viele Kulturstätten meinen, das Thema Asyl ausbeuten zu müssen. Es gibt dafür ja auch Förderungen.“ Er sieht das kritisch, weil er durch seine eigenen Erfahrungen mit den Schönauer Flüchtlingen weiß, wie sensibel und intim das Thema ist – und wie fatal ein leichtfertiger Umgang damit sein kann. Genau deshalb hat sich Sebastian dazu entschieden, gemeinsam mit den Asylbewerbern und dem Schönauer Helferkreis eine Komödie auf die Bühne zu bringen. Unterstützt wurden sie dabei kräftig von Bürgermeister Robert Putz, „das ist ein lustiger Kerl und ein echter Schatz,“ sagt Sebastian.

„Der Helferkreis und die Asylbewerber waren ganz auf Augenhöhe, das war mir absolut wichtig,“ sagt Sebastian. Da die Schauspielerei ganz sprachenunabhängig funktionieren kann, wurde schnell klar: Fehler passieren auf beiden Seiten, niemand ist im Vor- oder Nachteil – alle sind Laien. „Nach einer Krisenzeit ist das Lachen besonders wichtig,“ sagt Sebastian, der Regisseur. „Mir ging es um den ungetrübten Blick auf den Menschen – ganz unabhängig von der Kultur. Und außerdem traue ich keinem Stück ohne Humor.“

„Wir sollten unseren kulturellen Minderwertigkeitskomplex ablegen“

Zum Lachen gab es viel beim Theaterprojekt „Mitten in Niederbayern“. Das Lachen vergeht Sebastian nur, wenn er daran denkt, welche Spaltung die Flüchtlingskrise auch in Deutschland losgetreten hat: „Als Mensch brauche ich ein ganzes Jahr lang, bis ich laufen kann – und dann marschiere ich bei Pegida mit?“ Diese Art von Menschenfeindlichkeit macht ihn wütend, er redet schnell weiter: „Es geht nicht um Intelligenz oder um Bildung. Es geht einfach um den Gebrauch des Gehirns.“ Das beste Mittel gegen Fremdenfeindlichkeit und -angst sieht er im direkten Umgang mit den Geflüchteten selbst.

Für das Projekt wurde Sebastian mit dem Verein Lebensraum Rottal e.V. mit dem Bayerischen Integrationspreis 2016 und sogar mit Söders Heimatpreis ausgezeichnet. „Mia sagt ja immer – die bayerische Kultur ist eine Willkommenskultur. Das stimmt,“ sagt Sebastian. Und weil das Stück „Mitten in Niederbayern“ so gut ankam, tourte es nach der Premiere, die schon 2015 mit Begeisterung gefeiert wurde, durch den gesamten Regierungsbezirk. „Dass das dann so ein Erfolg wird, hätte ich auch nicht gedacht,“ sagt Sebastian und lacht ein bisschen. Stolz ist er auf die Rottaler, auf die „Provinzler“, die eben nicht von vornherein die gängigen Klischees erfüllen. „Die Zuschauer kamen aus dem ganzen Landkreis zum Posthalterstadl. Wir sollten unseren provinziellen Minderwertigkeitskomplex ablegen,“ sagt Sebastian. „Ich mag es nicht, wenn Leute meinen, sie seien zu blöd für Theater. Das ist nicht gut, Theater soll nicht elitär, sondern für alle da sein.“

„Stillsitzen und leise sein? Völliger Unsinn!“

Er schaut in den Raum hinein, denkt weiter, in die entgegengesetzte Richtung: „Der Hass nimmt zu, die sozialen Verbindungen brechen auf.“ Das sagt er und es klingt düster. „Sich frei entfaltende Kinder können nicht nach Krieg streben, sondern nach positiven Beziehungen,“ fügt er hinzu. Das Problem sieht er eben an der freien Entfaltung, die schon im Kindergarten eingebremst wird, wenn schon nicht im Elternhaus.

Darum kommt für ihn und Mia nur eine Schulart in Frage: Montessori. Die großen Kinder gehen alle in die Eggenfeldner „Monte“, wie Sebastian liebevoll sagt. Er selbst hat die Schule mit 130 Kindern sogar mal mit einem Kollegen geleitet, 2015/16 war das. Jetzt hat er auf Teilzeit reduziert,  ist „der Ansprechpartner, wenn’s Probleme gibt.“ Hineingekommen in die Montessori-Gemeinschaft ist er – wie auch sonst? – durch ein Theaterprojekt. Und genau das macht er in dem Rahmen auch heute noch.

„In der Regelschule müssen Kinder still sitzen und leise sein,“ sagt Sebastian. „Das ist völliger Unsinn. Kinder müssen ihre Meinung einbringen dürfen, um konfliktfähig zu werden.“ An die eigene Schulzeit hat er Erinnerungen an „absurde Geschichten, die man nicht hinterfragt hat“, vielleicht auch, weil er sich nicht so hart gelernt hat. Sebastian philosophiert weiter über den Lehrerberuf, der viel zu wenig mit Pädagogik zu tun hat, immer noch. Und über die Wichtigkeit dieses Berufs, dessen Ziel es eigentlich sei, den Kindern selbstständiges Denken beizubringen. Ein Kapital wäre das fürs Land. Mal schauen, wo die Reise hingeht.

„Alles eine Frage der Perspektive“

Irgendwas geht immer, da ist sich Sebastian sicher. Und irgendwas wäre immer noch gegangen, wenn da nicht dieser Optionenreichtum wäre… „Vielleicht mach ich das noch,“ spekuliert er. Was? Kabarettist werden! „Das wollte ich schon immer. Und meine Karl-Valentin-Abende haben mir selbst so gut gefallen.“ Dass es für nichts zu spät ist, hat Sebastian auch mit Mia gelernt. Mit Ende 30 mal geschwind die große Liebe finden – kann alles passieren. „Mit Offenheit ergeben sich viel mehr Möglichkeiten,“ sagt Sebastian.

Selbstverständlich war das für ihn nicht immer. Obwohl er wie ein Macher wirkt, der nicht so gut stillsitzen kann, obwohl man es fast in seinem Hirn knistern und knacksen hört, hat sich Sebastian der Smalltalk-Welt und dem oberflächlichen Blabla früher verweigert. Heute weiß er: So substanzlos muss das gar nicht sein, Menschen sind spannend und scheinbarer Smalltalk kann sich zu richtig guten Gesprächen entwickeln.

Sebastian zieht nochmal an der E-Zigarette, lässt den Blick irgendwo weiter hinten im Raum ruhen. „Es ist ja alles eine Frage der Perspektive,“ sagt er. „Will ich was Positives oder was Negatives sehen?“ Und er hat auch gleich ein konkretes Beispiel dafür: Beim Jahrtausendhochwasser hat es seine Familie ordentlich erwischt. Damals haben die Gollers noch zur Miete in Anzenkirchen gelebt. Möbel, das Klavier, Geräte, Kleinkram – alles weg. Sie waren plötzlich auf Haussuche und sind über den Schusterhof bei Falkenberg gestolpert. „Ohne diese Tragödie würden wir heute nicht in unserem eigenen Bauernhaus leben,“ sagt Sebastian und lacht nochmal.

„Ich brauche die Stabilität“

Diese höchst gesunde und positive Einstellung zum Leben widerspricht der Theorie, dass sich der wahre Künstler über das eigene Leiden definiert. „Das kann ich nicht sagen,“ meint Sebastian. „Mit einem guten familiären Hintergrund kann ich nicht leiden. Ich brauche die Stabilität. Und mit einem privaten Ruhepol ist auch eine ganz andere Kreativität möglich.“ Da ist sie wieder, Mia. Sein Glücksfall, seine Seelenverwandte, wie Sebastian sagt. „Sie hat mich in ihre Familie rein gelassen, das ist der größte Vertrauensbeweis,“ sagt Sebastian.

Er steht auf, geht durch den Raum, die Dielen knarzen ein wenig. Er knipst die Lichter aus, geht durch den Gang, schließt die Tür hinter sich und sperrt sie zu. Jetzt wird Sebastian heimfahren, zu den Seinen. In der Dunkelheit fällt der Regen. Jetzt ist jetzt, die Stille und das Gespräch im Posthalterstadl klingen nach. Ist das Leben Theater und das Theater Leben? Beides. Kein Entwederoder.

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