Kater Karl und Taylan Güner laden zu Trank und Schmaus
Fünf Jahre ist es her, als ich mit Taylan Güner im Lazy Cat Coffeehouse saß, das damals noch nicht geöffnet hatte und einer kleinen Baustelle glich, der aber schon sehr wohl anzusehen war, dass hier bald Gemütlichkeit, Stil und Raum zum Zusammenkommen sein würden. Obwohl das Lazy, wie es nun in aller Munde genannt wird, das wohl kleinste Café der Region ist, ist es doch das größte seinesgleichen. Güner hat einen Ort inmitten der Rottaler Kleinstadt geschaffen, der auch irgendwo in Berlin oder Hamburg sein könnte. Der regional geröstete Kaffee in den regional gedrehten Tassen wurde schnell legendär, dazu die fein belegten Bagels – Güners Geheimnis ist sicherlich, auf jedes Detail zu achten, damit ein großartiges Ganzes entstehen kann. Genau das beherzigt er auch bei seinem neuen Stern, der Pfarrkirchens Stadtplatz nun erhellt…
Doch verweilen wir noch einen Augenblick im Lazy Cat. Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als Güner und ich einander gegenübersaßen und er große Zweifel bekundete, ob das was werden würde. Das Café seiner Träume, in dem sich einst ein Blumenladen, dann ein Dönerimbiss befand – immer im gleichen Gebäude mit den öffentlichen Toiletten der Stadt. Güners Zweifel waren von Herzen echt und so lernte ich den bald 32-Jährigen kennen, sein Wesen, das ihn immer rastlos bleiben lässt, auch wenn alles gut wird – auch wenn alles mehr als gut wird und bleibt. Wohl ist es überflüssig zu sagen, dass genau das mit dem Lazy Cat geschah: Es wurde gut und immer besser. Nichts konnte die Beliebtheit bremsen, auch nicht Corona, als Güner niemanden mehr anstellen konnte und selbst den ganzen Tag im Café verbrachte – Kaffee zum Mitnehmen war erlaubt, lohnend war das natürlich nicht. Aber wer weiß, wofür es gut war, dass Güner die meiste Zeit lesend oder am Laptop in der hinteren Ecke sitzend verbrachte, seinen Geist weiterschulte und schließlich eine große Gelassenheit entwickelte.
Das kann er: eine Stimmung erzeugen
In der Zeit wurde er auch Vater, da verschob sich sein Fokus nochmal. Ich erinnere mich, als wir auf den Stufen der soeben gebauten Terrasse hinter dem Café saßen und Güner zu philosophieren begann. Die Gelassenheit hat er nun in sich, gleichzeitig ist er getrieben. Das muss kein Widerspruch sein, wie er beweist. Fokussiert geht er seine Ideen an, setzt sie um – und weiß im Innersten, dass nichts für immer und es darum so wichtig ist, zu Lebzeiten seinem Antrieb nachzugehen. Als die Beschränkungen wegbrachen, fielen die Menschen wieder regelrecht über sein Café her, sitzen seitdem auf der Terrasse, wann immer es das Wetter zulässt – und auch, wenn dem eigentlich nicht so ist, den großen Schirmen sei Dank. Die Konzerte sind eine kulturelle und gemeinschaftliche Bereicherung, wenn in den Abendstunden Musik durch die Ringallee klingt, die Gäste auf mitgebrachten Decken auf der Wiese sitzen und lauschen und genießen. So klar wird dann, was Güner kann: eine Stimmung erzeugen.
Güner selbst hält sich dabei am liebsten im Hintergrund. Mit seiner Art zeigt er, dass es auch Zweifel braucht, um nicht abzuheben, um schließlich etwas Gutes schaffen. Damals wie heute ist seine Intention, Pfarrkirchen, seine Stadt, ein Stück schöner zu machen. Damals – ja, im Grunde begann das schon vor dem Lazy Cat. Denn nicht zu vergessen ist das Cookies, die Cocktailbar und Lounge, die so vieles erklärt, wenn man Güner näher kennenlernen will. Denn damals, da führte eins zum anderen, da wuchs der Wunsch erst, Pfarrkirchen schöner zu machen, da war zunächst einmal die Not der Ursprung des Handelns.
Auf der Suche nach Anerkennung
Wie das Leben eben so spielt, ergab eins das andere. Aufgewachsen in Arnstorf, machte Güner dort eine Ausbildung zum Bäcker. Diese Zeit sollte ihn ganz schön prägen, denn sein Meister Karl-Heinz schaffte es, ihm die Freude am Backen zu vermitteln. Bis heute, doch dazu später mehr. Auch die bairische Sprache lernte Güner vom Meister. Geblieben ist er trotzdem nicht, stattdessen arbeitete er nach der Lehrzeit drei Jahre auf dem Trockenbau mit dem Papa. Es folgte ein Findungsjahr, nachdem Güner sein Fachabitur nachmachte, gleichzeitig jobbte und schließlich „das Cookies passierte“, wie er es damals formulierte. Wie einem das Cookies passiert, kann so gehen: Das Lokal hatte ein Spezl des Vaters, der Vater wollte übernehmen, wurde aber krank. Und Güner, der Sohn, wollte seinen Dad unterstützen und fing den Laden auf, gestaltete ihn nach seinen Vorstellungen und schaffte es mit gebrochenen Daumen, das Cookies zu schmeißen und gleichzeitig sein Abitur zu machen.
An dieser Zeit ist Güner sehr gewachsen. Vielleicht klingt es hochtrabend, aber er hat dadurch die Lehren seines Lebens gezogen, wenn auch erst im Nachhinein: Was es für einen Sohn heißt, einen Vater zu haben. Welche Rolle Anerkennung dabei spielt – die ständige Suche nach Anerkennung. Wie hart der Weg ist, sich erst mal selbst anzuerkennen. Wer man ist, wofür man lebt. Und schließlich, ja schließlich ist Güner heute selbst Vater eines Sohnes. Dazu die Anerkennung als Hybrid, wie sich Güner schon beim ersten Gespräch bezeichnete: der deutsche Türke und der türkische Deutsche in ihm. Als das Cookies „passierte“, schrieb man das Jahr 2015, Güner war damals gerade mal 23. Und weil er sich für den Laden schämte, da er selbst noch den alten Spielothekenmief darin spürte, lief es zunächst auch gar nicht gut. Bis ihn Pfarrkirchens Studenten entdeckten und Güner selbst immer mehr Freude darin fand.
Philosophie gehört zum Leben
Inzwischen hat Güner das Cookies einem Freund weitergegeben, Merlin Löwecke war einst selbst oft Gast in der Cocktailbar und Lounge. Für Güner war es damals Zeit, sich zu verabschieden, das forderten seine Erkenntnisse, die er zu Beginn der Pandemie erlangte. Damals hatte das Lazy Cat gerade mal eineinhalb Jahre geöffnet, als die ungewisse Zeit anbrach, Güner nur noch Kaffee zum Mitnehmen anbieten durfte, seine Angestellten heimschicken musste und selbst den ganzen Tag im Café verbrachte. Viel Loyalität erfuhr er damals von seinen Stammgästen, die aus Prinzip eifrig kamen, viele davon jeden Tag. Die Gespräche waren sich ähnlich, es schien nur ein einziges Thema zu existieren. Güner schwankte zwischen Belastung und Gleichmut und entschied sich schließlich für Gelassenheit.
Das Leben ging weiter. Erst recht, als er selbst Papa wurde. Güner begann, sich verstärkt mit Philosophie zu beschäftigen, dazu mit möglichen Alternativen, denn wer wusste schon, wie es weitergehen würde, damals im Frühjahr 2020? Philosophie gehört für Güner zum Leben und ist ein guter Ort, wenn auf der Welt viel Ungutes geschieht. Und als zwei Jahre und ein wenig später langsam Ruhe einkehrte, hatte sich viel getan. In all unseren Köpfen und Herzen, die sich einerseits immer nach der viel besagten „Normalität“ sehnten, aber auch widersprüchlicher geworden waren. Vorsichtiger und lebenshungriger, ängstlicher und ignoranter, nachdenklicher und zurückgezogener, auf der Suche nach Wahrem und Echtheit, aber auch verloren zwischen Gedanken, Plänen, Netflix und Sinnhaftigkeit. All das mochte auf Güners Gäste zutreffen, die sich längst wieder im Lazy Cat einfinden, alle Generationen lieben diese Insel in der Stadt, die auch Gespräche zwischen Unbekannten möglich macht – aber auch das Für-sich-sein mit einem Chai Latte und einem Magazin.
Die Dinge nehmen, wie sie kommen
Nach fünf Jahren sitze ich nun mit Güner im Kater Karl. Ja doch, es herrscht Chaos, wobei sich gut erahnen lässt, was das mal wird. Ein paar Wochen später sitzen wir nochmal zusammen und es hat sich viel getan: Die Wände strahlen in einem satten Dunkelblau Ruhe aus, das Gewölbe schmiegt sich in den Raum, die Bildergalerie hält den Blick fest, die Spiegel vergrößern die Räumlichkeit, die Siebträgermaschine ruft in fröhlichem Orange nach Kaffee, die Kissen harmonieren mit dem Holz der Möbel, das alte Geschirr vereint Ästhetik und Nachhaltigkeit, die Pflanzen machen alles lebendiger, es gibt so viel zu entdecken. Das Gebäude selbst ist ein feines Beispiel gelungener Denkmalschutzsanierung, sogar preisgekrönt.
Dazu die Musik, die erahnen lässt, wie es mal sein wird, wenn die Gäste trinken und schmausen und lachen und reden und das Zusammensein genießen. Die Musik hat er in der Zeit, als er den Kater Karl zu dem machte, was er heute ist, nochmal ganz neu für sich entdeckt. Echte, ehrliche Musik aus den 60ern und 70ern, alte, türkische Musik ist dabei, melodisch, verträumt und zugleich aufgeräumt. Güner weiß, wie es sein wird, er wünscht sich, dass sein Konzept aufgeht. Dabei wirkt er freudig unruhig, ohne drückende Zweifel. Es ist nicht mehr wie mit dem Lazy Cat, er weiß inzwischen, was er kann und will. Das Lazy Cat war für ihn die Voraussetzung, den Kater Karl zu schaffen, die gemütliche Art. Der neue Anstrich im Lazy, dazu sein Kollege Refi, der fast immer da ist – all das ist die Liebe, die das Café jetzt braucht, da sein Chef jetzt einem anderen Kater etwas mehr Zuwendung schenkt, bis sich alles eingespielt hat.
Güner lacht. Eigentlich war das so nicht gedacht mit dem Kater Karl. Eigentlich hatte er sich bei sich daheim schon eine komplette Küche eingerichtet, eine Backstube, um den Leuten aus der Region Catering anzubieten. Abgenommen war das Ganze auch schon. Und dann, so könnte man jetzt sagen, passierte der Kater Karl. Güner erfuhr, dass das Lokal frei werden würde und packte die Gelegenheit beim Schopf. Das Cookies war eine Sache für den Abend, das Lazy etwas für den Tag – und der Kater Karl bot sich an, den ganzen Tag für Gäste da zu sein. Vom Frühstück bis zum Abendessen. Man muss die Dinge so nehmen, wie sie kommen, dachte sich Güner, der sich um keine kreative Herausforderung scheut.
Die Welt nicht nur denken, sondern verändern
Nun verbindet Kater Karl Güners innere Welten: Hier vereint er die niederbayerische Gemütlichkeit mit der türkischen Gastfreundschaft, ohne seine Person nach vorn zu drücken. Lieber versteckt er sich hinter seinen Logos – und im Kater Karl sogar gleich in der Küche, wo er seinen kulinarischen Ideen ganz anders nachgehen können wird, als in der winzigen Küchenecke im Lazy Cat. Güner lässt mich in die Kühlschublade schauen: Kürbissoße, Zitronensoße, Gemüsesalate – feine Reste vom Probekochen tags zuvor. Die Gastronomie bezeichnet Güner als die reinste Form seines Ich. Hier kann er sich ausprobieren, Kind sein. Die Speisen kommen auf Platten, von denen alle am Tisch schmausen können. Deutsch, vegan, Hummus, Mezze, Antipasti, all die kleinen Köstlichkeiten, die schön zu einem Glas Wein passen und sich in Geselligkeit am besten genießen lassen. Aber auch selbstgemachte Pasta mit Sauerteig, Sandwiches, Salate, Flammkuchen und Pinsa. Dazu eine kleine, feine Auswahl an Cocktails und Longdrinks, auch antialkoholisch, versteht sich.
Was hat es denn nun mit dem Kater Karl auf sich? Erst das Lazy Cat, dann die nächste Katze namens Karl? Und hieß nicht der einstige Chef…? Ganz recht, der hieß Karl-Heinz, nach dem wiederum Güners eigene Katze benannt ist und sich nun im neuen Lokal wiederfindet. Als liebenswürdigen, manchmal menschenscheuen Grantler beschreibt Güner den Ex-Chef und den Kater zuhause – und auch sich selbst. Vielleicht ginge es zu weit, auch noch den Bezug zu Karl Marx herzustellen, wobei Güner natürlich auch dessen Theorien gelesen hat. Was er mit dem großen Sozialisten und Kommunisten gemein hat: Er will die Welt um sich herum nicht nur durchdenken, sondern auch verändern.
Zum Guten, versteht sich. Das war bereits Güners Absicht, als ich mit ihm im Lazy Cat saß, kurz bevor es eröffnete und das ist es jetzt mehr denn je. Pfarrkirchen bezeichnet er als seine Heimatstadt, hier lebt er mit seiner Familie, hier will er seinen Beitrag leisten, um seinem Kind mit seinen Mitteln ein positives Umfeld zu schaffen. Das Leben hier macht es erst möglich, etwas zu erschaffen – denn Fantasie entwächst aus dem Mangel, sagt er mit einem Lächeln. Mit seinen Lokalitäten will Güner positive Menschen anziehen, sie inspirieren – so versteht er gelebte Nachhaltigkeit. Die Orte, die Güner kreiert, sieht er als Basis eines schönen, funktionierenden Miteinanders.
Mut aus Erfahrung, Dankbarkeit und Demut
Freilich bedarf es einer guten Portion Mut, ein weiteres Lokal zu eröffnen in einer Zeit, die weiterhin geprägt ist von Unbeständigkeit und gesellschaftlichen Ängsten. Woher Güner seinen Mut nimmt, kann er gut formulieren: Aus Erfahrung und aus tiefster Dankbarkeit und Demut. Aus der Tatsache, dass wir hier und jetzt in der Lage sind, mit unseren Möglichkeiten unser Leben zu gestalten. Opfer zu spielen sei immer leicht, sagt Güner. Seine Weltanschauung hat viel damit zu tun, dass er sich als Hybrid sieht, als Vermittler zwischen den Welten. Die Gastronomie sieht er als idealen Weg, Barrieren aufzuheben.
Güner schüttelt den Kopf, schiebt die Kappe und die Brille zurecht. Ja, es würde so viel ausmachen, wenn wir aufhören würden zu urteilen, uns einfach in unserer Verschiedenartigkeit annehmen könnten. Weil die Leute immer auf verschiedenen Frequenzen senden, finden sie nicht zueinander und Social Media sorgt wie der häufige Blick in den Spiegel, dass wir alle miteinander zu sehr auf uns selbst fokussiert sind. Was Güner antreibt und ihm Mut macht, ist das, was er schon im Lazy Cat erlebt: Die Leute sitzen in guter Atmosphäre zusammen, Fremde kommen ins Gespräch, jeder darf so sein, wie er ist. Diese zwischenmenschlichen kleinen Gesten machen glückliche Gäste aus. Das Drumherum, das Güner kreiert, angefangen von der Wandfarbe über die Bilder, die Getränke und Speisen bis zur Musik – all das bezeichnet er als schöpferischen Akt, den Grund, weshalb sich sein Leben lohnt.
Leben, um zu arbeiten – oder arbeiten, um zu leben?
Die Konzentration auf das Jetzt rührt wohl auch daher, da sich Güner viel mit Philosophie beschäftigt hat. Heute sitzen die Menschen gemeinsam an einem Tisch und trinken und schmausen, ohne wissen zu können, was morgen ist… Güner stutzt, macht sich zwischendurch Gedanken, ob seine innere Welt nicht zu viel sein mag für das Außen, für die Menschen, die seine Gäste sind und alle anderen auch. Da sind sie wieder, die kleinen Zweifel, die ihn so sympathisch und nahbar machen, die schließlich eine jede und ein jeder von uns kennt, nur eben viel zu selten ausspricht. Güner spricht davon, wie schwierig es oft ist, die Waage zu halten zwischen dem, was er schaffen will und auch noch die Freude daran zu behalten. Denn es ist schon so: Seine Leidenschaft braucht viel Zeit. Ist es leben, um zu arbeiten – oder arbeiten, um zu leben?
Güner steht auf, wirft einen Blick auf die Galerie, die weitaus mehr ist als eine zufällige Aneinanderreihung an Bildern. Vergangenheit, Moderne, Kontroverse, die Verschiedenheit der Welt, der lebende Widerspruch, der auch in Güner steckt – all das findet sich hier wieder. Worauf sich Güner am meisten freut, wenn er unangekündigt irgendwann seine Türen öffnet? Auf die Gesichter, auf die erfreuten Gesichter, auf die sein Gesamtkunstwerk aus Gestaltung, anderen Menschen, Musik, Essen und Licht einwirkt. Jetzt nur noch aufräumen und aufsperren.
Güners Philosophien:
„Wir haben eine schöpferische Kraft bekommen. Wenn wir die nicht nutzen, vergeuden wir unser Leben.“
„Wenn einmal der Tod kommt – ich hatte immer eine positive Intention im Leben.“
„Jedes Lebewesen ist schön – aber nur im gesellschaftlichen Ganzen.“
„Ich muss nicht reisen, um etwas zu entdecken. Es liegt alles in mir.“
„Auch wenn es pathetisch klingt: Das Leben ist ein Wimpernschlag. Genieße es.“
Einfach eine wunderbare Geschichte, die einem auch durch die erfrischende Erzählweise in den Bann zieht! Ich freue mich jetzt schon, diesen sehr bemerkenswerten und eindrucksvollen Menschen persönlich kennenzulernen. Morgen werde ich mit einer Freundin den „Kater Karl“ zum 1. Mal besuchen, auf Empfehlung meiner Tochter.
Viel Erfolg und nette Gäste!
Sabine Vetter