Michael Wagner: Auf Schatzsuche im Rottal
Es summt und brummt ein bisschen so, als ob sich Außerirdische unterhalten würden. Dabei geht’s hier ums Unterirdische. „Hier könnte was sein. Hoffentlich nicht nur ein Kronkorken,“ sagt Michael Wagner, legt den Detektor beiseite und sticht mit seinem Spaten vorsichtig ein Stück Wiese ab. Mit dem Grabungsmesser schabt er in der Erde, bevor er mit einem handlangen Stab, den so genannten Pinpointer, darübertastet. Es piepst durchgehend. Da muss es drin sein. Nur was? Er zerkrümelt die Erde, wühlt weiter. Da ist es! Michael dreht das Teilchen zwischen den Fingern. „Wird wohl ein Ventil sein,“ sagt er, zuckt die Schultern und lässt den ersten Fund des Tages in einer Tüte verschwinden. Nicht alles, was er zu Tage befördert, ist gleich ein Schatz. Aber der nächste Fund – der könnte ja einer sein…
Die Sondler-Szene ist groß
Michael setzt das Wiesenstück mit dem Gras nach oben wieder fein säuberlich an seinen ursprünglichen Platz, tritt ein paar Mal drauf. Und weiter geht es mit der Suche. Wieder lässt er den Detektor mit gleichmäßigem Schwung über die Wiese am Waldrand gleiten. Noch ist das Gras nicht zu hoch, sondern gerade richtig. „Später mögen das die Bauern nicht – sie wollen ja gutes Heu machen. Dann warte ich, bis sie gemäht haben,“ sagt Michael, den alle Mike nennen. Ärger hat er sich so noch nie eingehandelt, vielmehr reagieren Grundstücksbesitzer und Passanten interessiert, wenn sie den 35-Jährigen bei seinem Hobby „erwischen“.
Seit sechs Jahren geht er regelmäßig „Sondeln„, so nennen die Schatzsucher ihre Leidenschaft. Infiziert hat ihn ein Freund, über Youtube und Facebook hat er schnell andere Sondler aus der Region und ganz Deutschland kennengelernt. Michael hat schon so manches Schatzsuchertreffen besucht, bei dem die Teilnehmer spielerisch versteckte „Schätze“ aufspüren und Preise gewinnen können. Die Szene ist groß. Darum weiß Michael auch nicht, ob diese Wiese irgendwo hinter Bad Birnbach nicht schon ein Kollege abgesucht hat.
Vom Misthaufen auf Äcker und Wiesen
Jetzt gurgelt der Detektor wieder sphärisch. Michael schüttelt den Kopf. Das Display verrät ihm den Leitwert des Metalls – und der ist in diesem Fall uninteressant. Der Malgersdorfer erzählt von seinem ersten Fund: Ein BRD-Fuchzgerl um 1970. Später gesellten sich noch so manche 50-Pfennig-Stücke hinzu, auch welche aus der Weimarer Republik: Hintendrauf ein Bündel Ähren und der Spruch „Sich regen bringt Segen“. „Das ist das Motto vieler Sondler,“ sagt der 35-Jährige und lächelt. Gefunden hat er die Münze auf einem Acker. Und wie kommt sie da hin? 50 Pfennig waren doch grad früher viel Geld? „Schon,“ sagt Michael und nickt. „Aber mit so mancher Währungsreform hat Geld seinen Wert verloren.“
Und dann? „Dann hat man es auf den Mist geworfen.“ Auf den Mist, weil die längste Zeit der Menschheitsgeschichte keine Mülltonne samt Abfallwirtschaftssystem kannte. Darum landete alles auf den Misthaufen, was man nicht mehr brauchte. Viel war das früher nicht. Es gab ja weder Verpackungswahnsinn noch Wegwerfgesellschaft. Und der Mist? „Der wurde auf die Felder ausgebracht. Und untergeackert.“ So wurde so manches Fundstück über die Jahrzehnte oder Jahrhunderte einen guten halben Meter in die Tiefe und wieder nach oben befördert. Manches kam dabei durch den Pflug zu Schaden, manches blieb gut erhalten. Manches wird gefunden – und vieles liegt noch unter der Erde. So viel Geschichte auf den Äckern und Wiesen. Das verursacht Herzklopfen!
„Das könnte interessant sein“
Michael kennt das. Jetzt meldet sich der Detektor wieder. „Das könnte interessant sein,“ sagt er mit einem Blick aufs Display und zückt den Spaten. Die Erde bröselt, Michael kehrt die Krümel zur Seite und zum Vorschein kommt eine eigelbgroße gewölbte Scheibe. Der Schatzsucher lächelt und wischt einen Rest Erde von der Oberfläche, die ein feines Muster aufweist. Er dreht das Ding um, nickt: „Das war einmal ein Knopf. Da war er festgemacht.“ Er deutet auf eine kleine Stelle in der Mitte, zieht eine andere, etwas kleinere Tüte aus seiner Hüfttasche und lässt den Knopf zufrieden hineinrutschen.
Den Knopf darf er behalten, weil er ihn gefunden hat – und weil er nicht von hohem historischen oder materiellen Wert ist. Wäre das der Fall, müsste Michael den Wiesenbesitzer verständigen und den Freistaat Bayern gleich mit. Was ihm bliebe, wäre nebst ein wenig Ruhm und Ehre ein Finderlohn, den er sich mit dem Grundstückseigentümer teilen müsste. Das Fundstück selbst verschwände wohl in irgendeiner Schublade in irgendeinem Archiv – im besten Fall in einem Museum. Doch so einen Schatz hat Michael noch nicht gefunden. Er hofft auch nicht darauf. Er sondelt, weil er den gemächlichen Ablauf mag, weil es gleichzeitig entspannend und aufregend ist. Weil es schön ist, was zu finden und zu identifizieren.
Sondler, Magnetangler und Goldwäscher
Sondeln ist ein bisschen so wie Fischen. Das tut Michael auch gern. Gewiss ist es nicht, ob man was findet oder fängt. Aber die Tätigkeit an sich ist schön und man ist draußen an der frischen Luft. So sieht Michael das. Freilich – eine schöne Münze oder ein Schmuckstück freuen ihn schon – genauso wie eine besonders prächtige Bachforelle oder ein ordentlicher Waller. Während die Bestimmung des Fischfangs jedoch eine eindeutige Sache ist, läuft es mit der Identifizierung der Fundstücke nicht immer so leicht.
Behilflich sind Michael dabei nebst Facebook-Gruppen und Sondler-Foren Fachbücher und -magazine, die da heißen „Butznickel“ oder „Abenteuer Schatzsuche„. Vorgestellt werden darin neben Sondlern auch Magnetangler und Goldwäscher. Die einen fischen sämtliche Gegenstände aus Gewässern, die anderen hoffen, noch irgendwo Gold herauszusieben. Michael reizt das wenig. Ihn interessieren die Dinge unter der Erde, all das, was im Laufe der Zeit seinen Weg ins Dunkle gefunden hat. Gern auch auf einem Freibad- oder Badeseegelände – wo meist eine Menge Kleingeld und Schmuck zu finden sind. Die Erlaubnis holt sich Michael zuvor vom Freibadbetreiber ein. Oder er sucht Spielplätze ab und entfernt gleichzeitig Verletzungsgefahren wie Nägel oder Schrauben aus Sand und Kies. Eine stattliche Menge Geld, nämlich gut 250 Euro, hat er sich so schon ersondelt, die er in einer Kiste aufhebt.
„Brathering – delikat zubereitet“
Da schlägt der Detektor wieder Alarm. Michael steht zwischen den Bäumen, ein paar Meter im Wald und sticht mit dem Spaten vorsichtig in den Boden. „Waldboden ist empfindlicher. Der wird nie umgegraben,“ weiß er. Zum Vorschein kommt der Deckel einer Konservendose. Der gleich darauffolgende Fund ist die Dose selbst. „Brathering – delikat zubereitet“ informiert die Aufschrift über den einstigen Inhalt – wahrscheinlich die Brotzeit eines Waldarbeiters. Nicht nur das grelle Orange, sondern auch das aufgedruckte Ablaufdatum verraten, aus welcher Zeit die Dose stammt: Im Jahr 1977 wäre die Fischspezialität abgelaufen. Und da man weiß, dass sich Konserven recht lang halten, kann man sich in etwa ausrechnen, wann die Dose langsam im Waldboden verschwunden ist.
Weitaus schwieriger identifizierbar sind da platte, stark verwitterte und abgeschrammte Münzen, deren Prägungen nicht mal mehr zu erahnen sind. Oft verrät die Farbe des oxidierten Metalls etwas über das Material – und das wiederum etwas über die Zeit. So konnte Michael bereits ein paar handgeschlagene Silbermünzen ausmachen – darunter 20 Kreuzer aus den Jahren um 1700. Noch älter sind die römischen Münzen, die er in der Gegend um Mamming entdeckte. Dort fand Michael auch seine bislang wertvollsten Stücke: Einen Meißel und eine verzierte Haarnadel, beide aus Bronze und vermutlich aus der Keltenzeit.
Fund des Tages: ein besonderes Fuchzgerl
Noch einmal meldet sich der Detektor im Wald. Michael gräbt und befördert schließlich das Erwartbare ans Tageslicht: eine Patrone. Die kommt ins Müllsackerl. Scharf ist sie nicht mehr – aber auch solche hat der Schatzsucher schon gefunden und sachgemäß bei der Polizei abgegeben. Noch schärferes Material hat er glücklicherweise nicht entdeckt. „Bei einem Granatenfund muss der Kampfmittelräumdienst anrücken,“ weiß er. Die Menschheitsgeschichte ist halt keine friedliche und darum liegen auch Kriegsrelikte unter der Erde.
Auf dem Weg zurück zum Auto quietscht der Detektor nochmal wie Kurzwellen auf Speed. Einmal mag Michael noch graben – noch ein Loch zu den geschätzten 20.000 dazu, die sein Spaten bereits gestochen hat. Der Pinpointer piept, Michael wühlt und findet tatsächlich noch eine Münze. Da schau her, ein Fuchzgerl aus der Weimarer Republik. Er lächelt gemütlich. Obwohl auf dieser Wiese vergleichsmäßig wenig los war, wie er sagt, hat diese Suchstunde noch ein schönes Ende genommen.
Bäckermeister und Hobbygärtner
Später am Küchentisch packt Michael seine bereits gefundenen Schätze aus. Noch mehr Knöpfe, jede Menge Bleigeschosse, eine Unzahl an Münzen, Glocken und Glöckchen, Gürtelschnallen und Zaumzeugrelikte, Orden, Zinnfiguren, Hufeisen, Modeschmuck und wertvoller Schmuck. Alles hat er ordentlich sortiert und beschriftet, die wertvolleren Dinge in schöne Schmuckschatullen angeordnet. Beim Erzählen schwingt die Begeisterung mit und vielleicht auch ein wenig Verwunderung darüber, dass er selbst schon so viel gefunden hat. Obwohl – er winkt ab. „Was da andere auf Lager haben, …“ sagt er und lächelt.
Wobei… Michael hat noch weitaus mehr auf Lager als „nur“ ein paar Schätze. Er ist Bäckermeister, seine Tage beginnen um zwei Uhr früh. Dann fährt er mit dem Roller zur Bäckerei am Ort, um zuerst den Semmelteig anzurühren. Er mag seinen Beruf, nicht zuletzt wegen der freien Nachmittage, an denen sich Michael nicht nur ausruht. Vor allem jetzt nicht, wo die Gartensaison längst im vollen Gang ist und jede Menge Tomaten- und Paprikapflanzerl versorgt werden wollen. Ein knappes Duzend Tomatensorten und 30 Sorten Paprika und Chilis tummeln sich im Gewächshaus und entlang der Hauswand.
Bisamfänger und Schwammerlsucher
Und weil Michael nicht nur gern Brot und Gemüse isst, sondern auch gern Fisch auf dem Teller hat, hat er sich mit einem Spezl gleich selbst zwei Weiher gepachtet. „So eine Forelle braucht nicht mehr als Salz und Pfeffer und einen Grill,“ sagt Michael. Wenn er die Fische nicht aus dem eigenen Weiher fängt, setzt er sich gern an die Kollbach und wartet auf eine Bachforelle. Manchmal marschiert er auch ohne Angelrute zum Bach. Dann stellt er Fallen auf. Michael ist beim Landratsamt registrierter Bisamfänger. „Das sind eingeschleppte Tiere, die heimische Arten wie die Flussperlmuschel gefährden. Durch ihre Wühltätigkeiten bringen sie viel Erdreich ins Wasser, was für kieslaichende Fische schlecht ist. Den meisten Schlamm bringen freilich die Bauern mit ihrem Maisanbau und fehlenden Uferrandstreifen in die Gewässer,“ sagt Michael. „Der Bisam kann aber auch gefährlich werden – wenn er zum Beispiel Hochwasserschutzdeiche oder andere Uferbefestigungen beschädigt.“ Die speziellen Schlagfallen bekommt er vom Jäger, für jedes Tier erhält er vier Euro. Für diese „Nebentätigkeit“ erntet er nicht nur Applaus. Er selbst sieht die Sache nüchtern.
Wenn Michael nicht am Wasser, auf den Wiesen oder Äckern unterwegs ist und es herbstelt, findet man ihn vielleicht im Wald. „Ich bin ein leidenschaftlicher Schwammerlsucher,“ sagt er und erzählt von seinen besten Funden. Mit dem Suchen und Finden hat er’s. Er erinnert sich an den faden Geschichtsunterricht in seiner Schulzeit. Das Interesse für die Vergangenheit wurde erst durchs Schatzsuchen erweckt. „Ich würde gern Schulklassen meine Funde zeigen oder mal einen Wandertag mit Detektoren organisieren,“ sagt er. „Das würde die Geschichte gleich viel anschaulicher machen.“ Denn die Geschichte steht in keinem Buch. Sie liegt im Boden.
Möchte ein Lehrer oder eine andere interessierte Person Michael Wagners Angebot annehmen? Bitte schreib eine Mail an servus@rottalergsichter.de Ich leite die Anfrage gern weiter!
Und hier ein kleine Auswahl von Michaels Funden: