Tobias Hanig und das Zwischengas: „Ich hätte da mal eine Idee“ (1)

Tobias Hanig steht in der Tür zu seinem Büro in der Pfarrkirchner Bahnhofsstraße. Sein Scheitel streift fast den Türstock, der rote Pulli leuchtet und er selbst strahlt Ruhe und Besonnenheit aus. Gleichzeitig funken in seinem Kopf die Synapsen, dass es nur so schnalzt. Er hat viele Ideen und er würde sich gern als Ideengeber verstehen. Das weiß man, sobald man mit ihm fünf Sätze gewechselt hat.

[Eine seiner Ideen nennt sich „Zwischengas„. Gemeinsam mit der Bogaloo-Koryphäe Reinhard Wimmer wollte er den „Verein zur Förderung von Möglichkeiten“ gründen. Noch hat das nicht geklappt. Was der Verein Schönes vorhätte, erzählt Tobias im ersten Teil des Portrait-Interviews. Im zweiten Teil werden wir unter anderem erfahren, warum das bisher nicht geklappt hat.]

„Es geht um die Kultur des Scheiterns“

Warum möchtest Du denn Zwischengas geben?

Ich mag gar nicht Gas geben. Ich möchte, dass die Leute Gas geben. Zwischengas soll ein Verein zur Förderung von Möglichkeiten sein. Wir haben das Machen verlernt. Man traut sich nicht mehr. Das ist kein Vorwurf, sondern ein gesellschaftliches Phänomen. Stadt und Land spielen dabei eine große Rolle. Traut sich die Stadt mehr als das Land? Teilweise ja. Es geht um die Kultur des Scheiterns. In der Wirtschaft ist Scheitern total wichtig. Ich kann nicht Start-Ups haben wollen, ohne das Scheitern zuzulassen. Wenn von zehn Start-Ups vielleicht eins was wird, ist das gut. Aber die neun Gescheiterten hätten’s auf dem Land schwer. In der Stadt weiß man, das gehört dazu. Ich höre auf dem Land oft die Formulierung „auf Sichtkontakt“. Das Risiko muss abschätzbar sein. Scheitern geht nicht.

 

[Der 47-Jährige ist gebürtiger Gräfelfinger, kam im zarten Alter von gerade mal zwei Wochen nach Pfarrkirchen, wo er seine Kindheit, Jugend, Sozialisations- und Schulzeit verbrachte. Bis er auszog. Nach Österreich. Er hat in Graz und Wien gelebt. In der Landeshauptstadt wurden seine zwei Töchter geboren, heute acht und neun Jahre alt. Das war ihm wichtig, „Wien“ im Personalausweis „klingt einfach toll“. Das Österreichische hat sich angenehm auf seine Zunge gelegt, wohingegen er nie Niederbairisch gesprochen hat. Vater aus Böhmen, Mutter aus Ostpreußen , da redet man halt Hochdeutsch daheim.]

Bei der Idee von Zwischengas kamen zwei Ideen zusammen. Ich bin einer, der von der Stadt wieder aufs Land gezogen ist. Ich bin im Rottal aufgewachsen, habe eine romantische Vorstellung von der Vergangenheit. Mit 18 wollte man weg. Mit 40 wird einem bewusst, dass man als Kind auf dem Land doch recht viel machen konnte. Mit eigenen Kindern kann man seine Kindheit nochmal reflektieren. Das Schulsystem prägt ganz schön – nicht immer zum Guten. Es kann einen auch total blockieren. Kreativität ist eigentlich das Allerwichtigste – in meinem Beruf, aber vor allem für Kinder. Deshalb hab ich mich gefragt, wie das Land wieder kreativer werden kann. Vom Land kommen viele Querdenker, schlaue Leute, Wissenschaftler. Zum Beispiel war der Joseph von Fraunhofer ein Glasschleifer aus Straubing. Das Fraunhofer-Institut ist heute das größte deutsche Forschungsinstitut.

„Der Freiraum wird immer knapper“

Das Land hat extrem viel Potenzial. Wenn wir an unsere Kindheit denken, war uns doch wurscht, wie Spielplätze ausschauen. Mittlerweile braucht man die. Das liegt aber allzu oft an uns Eltern. Nochmal zu meiner Ausgangsfrage: Was kann ich tun, damit Kinder und Jugendliche das Schönste tun können – nämlich, kreativ zu sein? Die Frage ist dank der Hirnforschung leicht zu beantworten. Potentialentwicklung bei Kindern braucht eigentlich nur den Freiraum, Dinge auszuprobieren. Gehen lernen. 50 mal hinfallen und dann geht’s. Aber irgendwann dürfen die Kinder halt nicht mehr fallen. Der Freiraum wird auch immer knapper.

[Seit 2011 ist Tobias wieder in der Pfarrkirchner Heimat, ein größerer Familienkreis in der Nähe hat einfach seine Vorteile, wie alle Eltern mit jüngeren Kindern bestätigen werden – und das Rottal weiß er durchaus zu schätzen. Tobias Hanig ist ein Zurückgekommener. Nicht nur deshalb hat er den „anderen Blick“. Er hat auch darum eine weitwinklige Sicht der Dinge, weil er Kreativwirtschaftler ist. Das muss man nicht mit Überlebenskünstler übersetzen, schon gar nicht, wenn man wie er ein erfolgreiches Büro für „Webentwicklung, Strategie und Design“ betreibt, das sich scalar nennt. Tobias Hanig hat sich mit seiner Familie ein neues Sacherl gebaut, da alte Sacherl nicht nur wegen seiner Körpergröße nicht in Frage gekommen wären.]

Wir haben uns schon gefragt, was uns das Land bieten kann, bevor wir zurück sind. Zwei Dinge waren dabei ganz entscheidend: Das Theater und das Bogaloo. Beides grandiose Einrichtungen: Ich wollte Musik und Konzerte haben, meine Frau Theater und etwas zum Hirnanstrengen. Als wir dann da waren, haben wir bemerkt, dass es dem Theater und dem Bogaloo gar nicht so gut geht. Von beiden Einrichtungen haben wir sogar bis nach Wien was gehört – und die Leute hier wissen es gar nicht zu schätzen. Eigentlich Wahnsinn. Hier fordern die Leute Unterhaltung. Kultur muss Unterhaltung sein – ein ganz falscher und etwas trauriger Ansatz! Das Theater bekommt Geld, es wird gefördert – das ist auch gut so. Immerhin hat es als Landkreistheater ein Alleinstellungsmerkmal in ganz Deutschland. Man müsste nur hingehen. Dann würde sich keiner mehr drüber aufregen. Das Bogaloo ist medial deutschland- und europaweit, wenn nicht weltweit aber noch interessanter. Jede Band, die da kommt, trägt das weiter – und die Musiker kommen aus Toronto, Paris, Wien… Der Reini (Anmerkung der Redaktion: Reinhard Wimmer, Betreiber des Bogaloo) hatte drei Seiten in der GEO und zwei halbe Seiten in der Süddeutschen. Das ist beste Werbung für Pfarrkirchen. Für eine Stadt unbezahlbar.

„Blasmusik Ja, Bilderbuch Nein“

[Im Vorraum zu seinem Büro gibt es neben der Kaffemaschine, die heißen, starken Kaffee brüht, noch zwei Arbeitsplätze. Hier werkt ein Designerpaar, das für Marken wie Hugo Boss und Escada Hübsches entwirft. Mitten in Pfarrkirchen. Durch die Tür ist Tobias Hanigs Büro, ein paar Schreibtische und Stühle, ein brummender Drucker, eine baumelnde Lampe, alles unkompliziert. Auf dem freien Tisch stehen Plunderteilchen und der Kaffee dampft klein und kräftig in henkellosen Tassen.]

Trotzdem hat das Bogaloo bislang keinen einzigen Euro an Kulturförderung gekriegt. Das liegt auch daran, weil wir nicht unterscheiden können, was Wirtschaft und was Kultur ist. Und das, was man vor allem auf dem Land zum Beispiel unter – auch förderfähiger – Musikkultur versteht, hat sich in den letzten 70 Jahren nicht wirklich geändert. Blasmusik Ja, Bilderbuch Nein. Damit sind wir bei der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die fällt immer dazwischen durch. Ich mach was, weil ich damit Geld verdienen will und muss, ich bin also Gewerbetreibender. Und damit fliege ich aus der Kulturförderung raus. Wenn ich eine Wirtschaftsförderung will, wird mir aber auch der Vogel gezeigt. Konzerte zu veranstalten ist keine sichere Sache, Gewinne sind nicht selbstverständlich. Man weiß nie, ob genug Leute kommen. Ich falle also immer durch dieses Raster. Darum kam die Idee auf, einen Verein zu gründen. Nur ein gemeinnütziger Verein kann dank der Gemeindeordnung und Steuergesetzgebung gefördert werden. Was soll also der Verein machen? Es geht uns nicht nur um tolle Konzerte im Bogaloo, Musik ist nur ein kleiner Teilbereich, es geht um noch mehr Breitenwirkung. Die jungen Leute sollen ihre Sachen machen können – und mit „jung“ meine ich kein bestimmtes Alter, sondern den Kopf. Daraus ist Zwischengas geboren – ein Verein zur Förderung von Möglichkeiten.

[Tobias Hanig zeigt auf das Vereinskonzept, datiert mit September 2015. Als LEADER-Projektvorschlag wurde das Ideenkonstrukt zum Landratsamt und der Stadt Pfarrkirchen getragen, mit einigermaßen viel Hoffnung. Vier Aufgaben wollte der Verein wahrnehmen: Finden und vernetzen. Entwickeln und umsetzen. Beraten und fördern. Einen Ort bereitstellen.]

„Die Kreativwirtschaft ist extrem auf dem Vormarsch“

Erzähl mal, Tobias, wie hattet Ihr Euch das vorgestellt?

Das Finden und Vernetzen ist die erste Aufgabe. Wir müssen schauen, wen es gibt, der unter „Kreativwirtschaft“ zu verbuchen ist. Wo sind die Journalisten, Fotografen, Architekten und so weiter? Nicht nur die, die noch hier sind, ganz wichtig auch die so genannten Ausheimischen, also die, die in die Städte gegangen sind, aber immer noch einen Bezug zu daheim haben. Und wo gibt es auf der anderen Seite die Leute, die gern was machen würden? Kreative Schüler, die auch außerschulisch gern etwas ausprobieren möchten, aber nicht wissen, wie und wo.

Das ist wahrscheinlich schwer rauszufinden. Wahrscheinlich werden viele Ideen zunächst gar nicht ausgesprochen, oder?

Bestimmt. Ich glaube nicht, dass ein Siebtklässler von sich aus auf die Idee kommt, das 3-D-Drucken zu lernen, eine Metal-Band sich trauen würde, ihren Bürgermeister um eine Förderung für ein Debüt-Album zu fragen. Weil sie auch gar nicht wüsste, wohin und wie man es anstellen soll. Darum ist das Finden und Vernetzen so wichtig. Auch, um den Berufszweig der Kreativwirtschaftler zu fördern. Fest steht, dass die Kreativwirtschaft extrem auf dem Vormarsch ist – sie macht zum Beispiel in Ostbayern mehr Umsatz als die Landwirtschaft. Da schau her. Grade für den ländlichen Raum ist das eine ziemliche Chance. Dort sind kleine Strukturen vorhanden, es gibt kleine Flächen in Ortszentren – die idealen Leerstandfüller, als Start-up, FabLab oder Coworking-Space. Gentrifizierung funktioniert in der Stadt. Und ländliche Gentrifizierung kann auch ohne die negativen Folgen ziemlich gut sein. Es geht darum, wieder Leben in die Orte zu kriegen.

[Tobias Hanig weiß um die Gegebenheiten, um den Status Quo. Doch er denkt nicht an eine Unabänderlichkeit. Die Mühlen mahlen langsam, es läuft viel Wasser die Rott hinab, das ja, aber das ist kein Grund, keine Ideen zu haben. Und Tobias Hanig liegt nichts ferner, als dass es nur bei den Ideen bleibt. Er schaut ruhig und manchmal lächelt er ein wenig wieselig.]

 

„Der Einzelhandel wird die Ortskerne nicht retten“

Noch wird das aber nicht erkannt…

Nein, noch nicht. Man denkt: Ortszentren, Einzelhandel, Parkplätze, Konkurrenz, Internet – alles ganz schlimm. Der Einzelhandel wird aber die Ortskerne nicht retten – er schrumpft extrem. Ein Umdenken ist nötig: Was kann ein Ortskern noch sein außer ein Einzelhandelszentrum? Wohnen, Arbeiten, Manufaktur – und schon wäre da wieder Leben. Schon ein kleiner Dorfladen ist ein gutes Projekt, oder eine interessante Zwischennutzung. Zunächst geht es also ums Finden und Vernetzen. Das ist für uns wichtig, weil der Verein ein Handwerkszeug braucht. Und es wäre auch für den Landkreis wichtig. Wenn ich weiß, dass es da zum Beispiel einen jungen Grafiker in der Stadt gibt, dann lass ich den doch was machen für mich – er ist frisch und motiviert – ich bekomme gute Qualität und hab ihn wieder am Haken. Ob er dann mal wiederkommt, sei dahingestellt, aber die Chance steigt damit zumindest. Die Politik „sudert“ gern, wenn es um den Wegzug der jungen Leute geht. Im nächsten Atemzug kommt dann wie ein Reflex der Facharbeitermangel. Bis dato kümmert sie sich aber nicht darum, wie man die Weggezogenen wieder zurückholen könnte. Eventuell nicht den Facharbeiter, dafür aber den Robotik-Ingenieur – denn die so genannte Industrie 4.0 wird mit etwas Verspätung auch auf dem Land ankommen.

Und schlagartig sind wir beim Thema Politik…

Ja. Die Denkweise der Politik ist schwach an Ideen. Man riskiert nichts in neue Ideen – sondern in etwas, wovon man weiß, dass es wahrscheinlich funktionieren wird. Man jammert so lange, bis man von einem Ministerium erhört wird, man ist ja schließlich strukturschwach… Das Bewusstsein, dass man in Ideen investieren muss – vielleicht auch Geld – ist noch nicht da. Die Ideen werden den Stadt- und Gemeinderäten und der Verwaltung überlassen, nicht den Experten. Das soll nicht chauvinistisch klingen, aber gelernt ist halt gelernt.

Also ist das freie Denken von Ideen abhanden gekommen – weil alles zweckgebunden sein muss?

Da wird so gedacht: Was kostet die Idee? Und wie wird sie gefördert? Das ist einerseits verständlich. Die Gemeinden knabbern. Andererseits muss man investieren, um Neues zu machen. BMW zum Beispiel finanziert Kreativlabors. So weit sind wir aber noch nicht. Deshalb hätte Zwischengas unter anderem ein Branchenverzeichnis für die Kultur und Kreativwirtschaft erstellt. Das wär ja schon mal was, zu wissen, wo die ganzen Kreativen eigentlich sitzen.

„Gute Räume muss man bespielen“

[Tobias Hanig spricht laut genug und ruhig. Beim Reden sind die vielen Gedanken fast spürbar, die ihm im Kopf herumsausen. Dennoch schafft er es mühelos, sie so zu formulieren, dass man ihn versteht in seinem Ideenreichtum, in seinen Ansichten, seinen Absichten und Vorstellungen. Der „andere Blick“ lässt ihn wach sein für sein Umfeld. In der Kulturwissenschaft gibt es eine Forschungsmethode namens „teilnehmende Beobachtung“. Und genau das ist es, was Tobias Hanig tut: Er lebt hier im Rottal, doch er hat den Beobachterblick.]

Das zweite Anliegen von Zwischengas ist das Entwickeln und Umsetzen…

Genau. Wenn ich in die Gestaltung investiere und mein Handwerk gut mache, bekomme ich mehr für mein Produkt. Bei uns ist diese Denkweise noch nicht so ausgeprägt. Gutes Handwerk ist ok, muss aber auch günstig sein. Um die Gestaltung macht man sich weniger Gedanken. Klar kostet das erst mal – aber es zahlt sich auch aus.

Da spricht der Gestalter in Dir. Du bist ja auch Architekt…

In der Architektur ist das nochmal was anderes. Da ist Gestaltung wichtig – aber erst, wenn man sich die Zeit genommen hat, alle Fragen, Zukunftsszenarien  und Optionen durchzuspielen. Das gilt vor allem für Städtebau. Wenn dabei auch noch gute Architektur eine Rolle spielt, ist das super. Wie beurteilt man also guten Städtebau? Im Grunde ist das leicht. Fahre mal mit zwei Kindern auf dem Fahrrad durch die Stadt, dann merkt man recht schnell – zumindest in Pfarrkirchen -, für wen hier Stadtplanung gemacht wurde. Freie Fahrt für freie Bürger, aber halt nur, wenn du einen Führerschein hast. Oder stell dir die Frage, wo du dich gerne in der Stadt aufhältst, auf welchem Platz, an welchem Ort – auch ohne zu konsumieren. Wenn die Antwort ein Schulterzucken ist, ist was schiefgelaufen. Hätte man in den letzten 40 Jahren unsere Orte für die Menschen und nicht um die Autos herumgeplant, hätten wir sicher mehr dieser guten Orte und Plätze, manchmal sind es auch gute Räume. Diese muss man aber auch bespielen. In Österreich gibt es zum Beispiel offene Technologielabore, das Projekt heißt Otelo. Da stellen Gemeinden Räume zur Verfügung, damit die Leute gemeinsam was machen können. Das geht in die Richtung von Repair-Cafés, autonomes Bildungswerk, Weitergabe von Wissen. Davon profitieren alle Generationen. Es geht nicht nur um Fachwissen, sondern um Wertschätzung.

[Tobias Hanig macht noch einen Kaffee und zeigt mir ein Buch, das er gerade gelesen hat: „Die Kultur der Reparatur“ von Wolfgang M. Heckl. „Ein total nettes Buch,“ sagt er. Der 47-Jährige ist runduminteressiert. Will heißen: Er hat die Vorstellung, wie ein Miteinander sein soll – und das setzt sich aus vielen Komponenten zusammen. Arbeit zum Beispiel. Mit seiner Familie lebt er das holländische Modell: Beide Partner arbeiten 30 Stunden, beide investieren ähnlich viel Zeit in das Familienleben. Seine Frau Irene arbeitet bei Lindner im Marketing, er in seinem Unternehmen und für seine Ideen. ]

„Lehrpläne sind das Betonierteste, was es gibt“

Das trifft ja genau Euer Anliegen: Das Zwischenmenschliche und das Zusammenbringen von Leuten, die sonst nichts miteinander zu tun hätten…

Genau. Damit kämen auch Berufsschüler und Gymnasiasten zusammen. Gemeinsame Lehrwerkstätten wären eine wunderbare Sache. Da könnte der Gymnasiast vom Berufsschüler lernen, wie eine Kreissäge funktioniert, der Mittelschüler ein Fotokolleg besuchen. Lehrpläne sind aber leider das Betonierteste, was es gibt. Ich selbst würde mich einfach so auf Zwischengas freuen, weil ich dann wieder mehr Kontakt zu jungen Leuten und ihren Interessen bekäme. Und mich mit den Lehrkräften unterhalten könnte, wie man’s anders machen könnte. Vom Kultusministerium wird immer der Begriff „Durchlässigkeit“ gepredigt – davon ist aber nichts zu sehen. Man müsste einfach mal machen. Ich würde zum Beispiel gern mit Berufsschülern und einem guten Gestalter die Allee möblieren. Davon hätte jeder was.

 

Ist der Rottaler speziell unempfänglich für Neues?

Ich könnte das jetzt glorifizieren: Der Rottaler ist ein Eigenbrötler, das ist super. Schau, wer erfolgreich ist, schau Dir die großen Firmen an. Das waren und sind alles Tüftler. Die haben auch das Scheitern riskiert. Da ist dem einen sicherlich der ein oder andere Ofen explodiert, dem anderen die Akustikdecke auf den Kopf gefallen. Und dann sind sie erst Unternehmer geworden. Jetzt haben wir ein Unternehmergymnasium. Wozu? Meine Kinder sollen ja nicht zum Unternehmer ausgebildet werden, sie sollen extrem kreativ sein können, Ideen haben, Erfinderinnen werden und dann können sie immer noch ein Unternehmen gründen. Oder Tierärztin werden. Man darf Kindern nicht die Berufswünsche der Erwachsenen aufs Auge drücken.

Da wird das Pferd von hinten aufgezäumt…

Oder schau Dir das Börsenplanspiel an. Warum lernt man Kindern, ohne geistige und handwerkliche Wertschöpfung Geld zu verdienen? Da lernt man ihnen Zocken, sonst nichts. Wenn sie wirtschaftlich arbeiten wollen, sollen sie sich lieber mit Gemeinwohlökonomie auseinandersetzen, oder mal die regionale Wertschöpfung von Kulturförderung errechnen. Da steht zunächst nur eine Zahl, die den Steuerzahler arg belastet – aber wie viel das auch generiert, wird nicht gesehen. Das fände ich total interessant. Besser als das Planspiel. Der Hirnforscher Gerald Hüther hat was Wichtiges gesagt: Kinder müssen lernen, Probleme zu lösen – sie brauchen Problemlösungskompetenz. Das ist neben sozialer Kompetenz, Kreativität und Neugierde das Allerwichtigste. Für die meisten schulischen Aufgaben gibt es nur eine einzige Lösung – für die Probleme im Leben gibt es aber viele Lösungen. Wir haben unsere Problemlösungskompetenz verloren.

„Zwischengas vermindert Risiken und wertschätzt Ideen“

Die dritte Aufgabe von Zwischengas ist das Beraten und Fördern…

Im Idealfall haben wir nun ein schönes, großes Netzwerk, wir kennen unsere Experten und unsere Bügermeister. Und wir haben Leute, die was machen wollen. Die kommen mit ihren Ideen zu uns und sagen: „Ich hätte da mal eine Idee.“ Das wäre das Schönste. Dann könnten wir unsere Experten vermitteln und auf die Gemeinden und Förderungen zugehen. Was bekommen diese im Gegenzug? Die Gewissheit, dass das Projekt gut für den Ort ist, die Idee, wenn auch spontan, nicht unüberlegt umgesetzt wird und eine gute Öffentlichkeitsarbeit. Und als gemeinnütziger Verein wären wir durchaus spendenfähig. Die Gemeinde darf uns Geld geben – wir sind die Vermittler zwischen denen, die was machen wollen und denen, die das Geld haben. Firmen könnten diejenigen, die etwas versuchen möchten was machen wollen, sponsern und bekommen von uns eine Spendenquittung. Und wenn sich ein Gewerbetreibender an uns wendet, wollen wir auch den unterstützen. Er soll wieder aufstehen können, sollte er auf die Schnauze fallen. Im diesem Falle würden wir einspringen – wenn die Idee funktioniert, braucht er uns eh nicht. Wir übernehmen nur eine Art Ausfallshaftung. Zwischengas ist der Layer dazwischen, Trampolin und/oder Fangnetz.

Und zuletzt – Zwischengas soll ein Ort sein. Wie ist das gemeint?

Das ist ganz wichtig, um eine niederschwellige Förderung zu bekommen. Unsere Interessenten brauche eine Anlaufstelle, die kein Amt ist. Und eine Anlaufstelle, die auch Platz bietet, was zu machen. Zwischengas vermindert Risiken und wertschätzt die Ideen. Es kommt auf die Möglichkeit des Versuchs an. Der monetäre Erfolg steht nicht im Vordergrund.

„Die Gesellschaft“ sieht das aber anders…

Wenn ich was für Jugendliche mache, muss ich schauen, dass ich einen Draht zu ihnen hab. Ich glaube, es gibt eine Generation, in der die Männer den Draht zu ihren Kindern vernachlässigt haben. Weil die Gesellschaft das so vorgesehen hat: Der Mann geht arbeiten, die Frau erzieht die Kinder. Drum glaube ich, dass in unserer Politik die Frauen besser wären, wenn es um unsere Jugendlichen geht. Ich selber bin kein solcher Klassiker – meine Frau und ich arbeiten beide 30 Stunden. Beide sehen wir uns als gleichwertig an. Das ist aber auch in meiner Generation noch die Ausnahme. Nochmal zurück – Zwischengas soll ein Ort sein. Hier soll jeder seine Ideen herbringen, man soll zusammen mal ein Bier oder einen Kaffee trinken können – und sich Zeit nehmen, überhaupt Ideen zu haben.

„Man soll die Jungen einfach spielen lassen“

Und dazu ist Augenhöhe ganz wichtig…

Genau. Belehren ist das Schlimmste überhaupt. Fördern bedeutet nur zu zeigen, wie es geht, oder besser „gehen könnte“. Wobei der Begriff „Fördern“ auch nicht gut ist. Man soll die Jungen nicht fördern, sondern einfach spielen lassen. Und das zieht sich bis ins Alter durch.

[Tobias Hanig schaut kurz aus dem Fenster, der Drucker rattert, der Bürokollege verabschiedet sich, draußen wird der Feierabendverkehr lauter. „Zwischengas“ begeistert mich, ich entwickle selbst viele Gedanken, die sich überschlagen. Tobias Hanig traut sich zu denken – tut das gut! Kurze Pinkelpause und gleich geht’s weiter. Jetzt wissen wir von den tollen Plänen des Vereins zur Förderung von Möglichkeiten. Warum es ihn bis heute nicht gibt, lest Ihr in Teil zwei…]

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2 Kommentare

  1. Super Bericht hochinteressant, es super das so tolle Menschen gibt mit tollrt Einstellung und Köpfchen. SUPER!!!

  2. Ja, es ist großartig, wenn Menschen mit idealistischen Ideen zur Tat schreiten und die Frustration nicht die Oberhand behält!
    Ich wünsche Zwischengas Erfolg und vielleicht hätte ich auch eine Idee?

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